2019 und Anfang 2020 kamen Israels arabische Bürger immer wieder zu Großkundgebungen zusammen, um gegen die Gewalt in ihrer Gesellschaft zu demonstrieren. Vor allem wollten sie ein Zeichen gegen die steigende Zahl der Morde, begangen von Arabern an Arabern, setzen. Dennoch stieg die Zahl der arabischen Mordopfer kontinuierlich an. 2015 klagte die arabische Gesellschaft des Landes über 58 Ermordete.
Die Zahlen stiegen immer weiter und erreichten 2020 mit 96 einen ungekannten Höhepunkt. Doch schon 2021 zählte das Land dann 126 arabische Bürger, denen durch ein zumeist mit Schusswaffen verübtes Gewaltverbrechen das Leben genommen wurde.
Die Zeichen schienen auf Sturm zu stehen. Obwohl 2021 ein weiterer Anstieg der arabischen Mordopfer registriert wurde, kam damals die Hoffnung, dass das Ruder herumgerissen werden könnte. Die Mordstatistik des Jahres 2022 schien diese Hoffnung zu bestätigen. Erstmals seit langer Zeit wurde eine rückläufige Zahl verzeichnet. „Nur“ 111 Morde bedeuteten rund 10 Prozent Rückgang im Vergleich zum Vorjahr.
Ein blutiger Monat nach dem anderen
Jeder Monat des Jahres 2023 führte jedoch vor Augen, dass sich diese Entwicklung wieder umkehrte – und zwar massiv. Schnell wurde klar, dass 2023 zum blutigsten Jahr in der Geschichte der arabisch-israelischen Gesellschaft werden wird. Ende 2023 blickte Israel tatsächlich auf die unfassbare Zahl von 244 Morden, die von arabischen Bürgern des Landes an arabischen Männern und Frauen verübt wurden und denen auch Kinder zum Opfer fielen.
Dieser Anstieg um rund 220 Prozent ist umso schockierender angesichts der Tatsache, dass in dem Jahr in Israel insgesamt 299 Morde verübt wurden. Somit wurden in der arabischen Gesellschaft Israels, die knapp 22 Prozent der Gesamtbevölkerung stellt, fünf Mal so viele Mordtaten verübt wie in der jüdisch-israelischen Gesellschaft.
Nicht weniger bedenklich ist, dass die Jahresbilanz sogar noch fataler hätte ausfallen können. Infolge der Ereignisse vom 7. Oktober und der Nachwirkungen des Hamas-Überfalls ging die Zahl der Morde in den Monaten November und Dezember 2023 stark zurück. Sie begann allerdings schon im Dezember wieder anzusteigen. Was war geschehen, dass es 2023 zu diesem schockierenden Anstieg kam?
Zwischen Licht am Horizont und schwindender Hoffnung
Das Jahr 2021 brachte Israel erneut eine Parlamentswahl. Alt-Premier Benjamin Netanjahus (Likud) Koalitionsverhandlungen scheiterten, so dass die Veränderungskoalition unter Naftali Bennett (Jamina) und Jair Lapid (Zukunftspartei) im Sommer die Regierungsgeschicke mit Hilfe der koalitionsstützenden arabischen Partei Ra‘am übernahm.
Ra’am war die erste arabische Partei, die sich an die Seite einer israelischen Regierung stellte. Sie vermochte einen umfassenden Regierungsplan zu erwirken, der zur Bekämpfung der Gewalt in der arabisch-israelischen Gesellschaft einen konzertierten, Ministerien übergreifenden vielseitigen Ansatz verfolgte. Zudem stellte er die dafür erforderlichen Geldmittel in präzedenzloser Höhe in Aussicht.
Keiner hegte Zweifel, dass der Kampf gegen die massenhaft in der arabischen Gesellschaft Israels kursierenden illegalen Waffen ebenso wie gegen das organisierte Verbrechen und Korruption lange dauern würde. Er sollte einhergehen mit Bildungskampagnen und Maßnahmen zur Anhebung des sozioökonomischen Status dieser geschwächten Minderheit des Staates Israel. Trotzdem brachte bereits des Kalenderjahr 2022 die ersten Anzeichen, dass sogar die lediglich teilweise angelaufenen Maßnahmen des von der Koalition verabschiedeten Fünf-Jahresplans greifen.
Doch kaum zeichnete sich das ab, kam schon wieder das Aus. Der erneute Regierungswechsel brachte ein Wechselbad. Anstatt einer koalitionsstützenden arabischen Partei, die an Regierungsentscheidungen beteiligt war, übernahm die jüdisch-national orientierte Rechtsaußenflanke die Rolle des Züngleins an der Waage. Sie begann, ein mächtiges Wörtchen bei Regierungsentscheidungen mitzureden. Dass Itamar Ben-Gvir (Jüdische Stärke) zum neuen Minister für nationale Sicherheit ernannt wurde, brachte fast umgehend Konsequenzen für den Kampf gegen Gewalt in der arabischen Gesellschaft.
Ein Minister, der nicht zum Wohl aller Bürger agiert
Auch als Minister hielt sich der rechte Hartliner Ben-Gvir nicht mit seinen populistisch-reißerischen Parolen zurück. Sogar ein Jahr nach Amtsantritt darf man ihm bescheinigen, nicht im Ministeramt angekommen zu sein, denn eine sachorientierte Arbeit zum Wohl aller Bürger des Landes hat er nie aufgenommen.
Seine Entscheidungen, bei denen er zudem professionelle Empfehlungen fast grundsätzlich in den Wind schlägt, stehen im Zeichen seiner Weltanschauung, die von der in Israel verbotenen Kach-Ideologie geprägt ist. Bei der Durchsetzung von Forderungen, die seinen Zielen entgegenkommen, spielt ihm in die Hände, dass er Premier Netanjahu denkbar einfach unter Druck setzen kann. Denn würde seine Partei die Koalition verlassen, stünde dessen Regierung vor dem Aus.
Ben-Gvir hat nicht nur alles auf dem Kieker, was sich als „links“ etikettieren lässt, sondern fährt von jeher eine harte Linie gegen Palästinenser. Er ist der Ansicht, er und seine national extremistischen religiös-jüdischen Mitstreiter seien die „Herren im Haus“. Entsprechend fallen seine Entscheidungen aus, wenn es um die arabische Gesellschaft Israels geht.
Er mottete etliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Gewalt in der arabischen Gesellschaft, die in sein Resort fallen, einfach ein. Statt ein umsichtiges Vorgehen, das das Problem bei den Wurzeln anzugehen versucht, propagiert er blindwütige punktuelle Reaktionen, die von einem harten Durchgreifen gegen Bürger gezeichnet sind, die aus seiner Sicht grundsätzlich Feinde des jüdischen Staates sind. Er ist mit dem Kampf gegen das Phänomen, aber nicht gegen die Ursachen beschäftigt.
Zuständigkeit bedeutet verantwortlich sein?
Tatsächlich ist unter Ben-Gvirs Amtsführung die Spirale der Gewalt in der arabischen Gesellschaft Israels regelrecht explodiert. Er ist gegenwärtig der für diesen Bereich zuständige Minister. Nicht wenige Organisationen führen diese Entwicklung auf Ben-Gvirs fragwürdige Amtsführung zurück. Darüber hinaus bekräftigten einige arabische Knesset-Abgeordnete wieder einmal, dass die Gewalt in der arabischen Gesellschaft grundsätzlich und ausschließlich das „Produkt des israelischen Rassismus“ sei.
Ben-Gvir muss sich vorwerfen lassen, viele gute Ansätze zur Bekämpfung dieses schmerzlichen Phänomens ausgesetzt und dadurch die Situation bestimmt nicht verbessert zu haben. Doch zugleich muss man auch festhalten: Er zahlt einen Preis für den Erfolg von Maßnahmen, die schon vor seiner Amtszeit anliefen.
Der Fünf-Jahresplan der Bennett-Lapid-Regierung wurde zwar nur in kleinen Teilen implementiert, zeigte aber dennoch Wirkung. Großrazzien zum Einsammeln von illegalen Waffen, die Verhaftung von Bandenchefs und beispielsweise Maßnahmen der Steuerbehörden, um Geldwäsche und anderen Machenschaften des organisierten arabischen Verbrechens im Land auf den Pels zu rücken, lösten einen Krieg unter den Verbrechern um die Vorherrschaft aus.
Viele Morde, die 2023 von arabischen Gangstern begangen wurden, galten der Ausschaltung von Rivalen. Das ereignete sich unter Ben-Gvir im Amt, steht aber nicht zwangsläufig mit seiner fragwürdigen Amtsführung in Verbindung. Sehr wohl anlasten kann man ihm, dass die Aufklärungsrate von rund 25 auf gerade einmal 10 Prozent sank.
Mitverantwortung
Längst nicht alle Morde gingen auf das Konto des organisierten Verbrechens. Unter den Ermordeten der israelischen Araber waren auch 2023 mehrere Frauen, die „Ehrenmorden“ zum Opfer fielen. Ebenso forderten Fehden, die Großfamilien unter- oder gegeneinander austragen, Menschenleben. Zudem brachte das vergangene Jahr Morde, die auf eine zunehmende Gewaltbereitschaft ohne Aggressionskontrolle zurückzuführen sind. Solche Morde stehen unter anderen auch mit Traditionen und internen Gepflogenheiten der arabischen Gesellschaft des Landes in Zusammenhang.
Außerdem ist festzuhalten, dass die Führungsschicht der arabischen Bevölkerung Israels, sowohl die säkularen, die religiösen wie auch die verwaltungstechnischen Instanzen, samt und sonders kurzfallen, wenn es um eine aktive Kampfansage gegen die Gewalt geht. Selten ist daher ein Vorbild wie der Vorsitzende der arabischen Partei Ra‘am Mansur Abbas, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es darum geht, Mitverantwortung der arabischen Gesellschaft einzufordern.
Beim Blick auf die Evaluationen von Experten wird klar, dass eine Vielzahl von Schieflagen, Faktoren und Entwicklungen eine Rolle spielen. Dazu gehören zum Beispiel die sozioökonomische Kluft zwischen der jüdischen und der arabischen Gesellschaft, die Vernachlässigung des arabischen Bildungssektors und die fehlenden beruflichen Zukunftsaussichten arabischer Jugendlicher. Dass die Beseitigung dieser und anderer Missstände nicht in Angriff genommen wurde, geht auf das Konto unzähliger israelischer Regierungen im Verlauf von Jahrzehnten.
Solche Konstellationen, die sich über viele Jahre verschärft haben, sind niemals leicht aus der Welt zu schaffen. Israels Bürger müssen wohl noch lange mit diesem blutigen Phänomen ringen.
Antje C. Naujoks studierte Politologie an der FU Berlin und an der Hebräischen Universität Jerusalem. Die unter anderem freischaffende Übersetzerin lebt seit fast 40 Jahren in Israel, davon mehr als ein Jahrzehnt in Be‘er Scheva.
6 Antworten
Der erneute Anstieg von Toten, Araber auf Araber, führt auch auf Clankriminalität zurück, wobei Herr Netanhahu sich kümmern wollte, da sie Israel. Staatsangehörigkeit haben. Ben- Gvir kann und wird das nicht lösen. Dem traut die eigene Bevölkerung nicht.
Ich vermute, Israel. Araber haben nicht die gleichen Voraussetzungen wie Israelis. Ist ja leider auch in der BRD teils so. Migranten mit doppelter oder D- Staatsangehörigkeit. Viele finden nicht den Wohnraum und Arbeit wie Deutsche.
Durch den „Ehrenmord“ will der Mörder die verletzte Ehre wiederherstellen. Strafmilderung ist oft die Folge. Ist das gerecht? Nein. Härtere Strafen? Ja.
Ich find es nicht in Ordnung ,dass hier sozusagen die jetzige Regierung allein verantwortlich gemacht wird. Es ist eigentlich ein innerarabisches Proplem das von Ihrer Kultur abhängt. Und die Israelische Polizei hat ja auch nicht gerade Lust, sich die Köpfe einschlagen zu lassen ( Pack schlägt sich Pack verträgt sich ).
Liebe und Konsequenz gehören zusammen, die Menschen lieben, aber ihre Straftaten schnell und hart verfolgen! Dazu wünsche ich Israel (und natürlich auch Deutschland) in Zukunft besseres Gelingen und Gottes Segen.
Geht es Israel wieder besser, wird auch das besser. Es ist kein Wunder vor der allgemeinen Lage, aber es wird wieder besser. Sind wir im tiefen Tal, können wir uns das manchmal nicht vorstellen. War heute bei uns zum Friedensgebet. Psalm 36 ADONAI, Die Quelle des Lebens1 Von David, dem Knecht des HERRN, vorzusingen. 2 Es sinnt der Sünder auf Frevel / im Grund seines Herzens, er kennt kein Erschrecken vor Gott. 3 Er schmeichelt Gott vor dessen Augen und findet doch seine Strafe für seinen Hass. 4 Seine Worte sind falsch und erlogen, verständig und gut handelt er nicht mehr. 5 Er trachtet auf seinem Lager nach Schaden und steht fest auf dem bösen Weg und scheut kein Arges. 6 ADONAI, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen. 7 Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes / und dein Recht wie die große Tiefe. ADONAI, du hilfst Menschen und Tieren. 8 Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben! 9 Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses, und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom. 10 Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht. 11 Breite deine Güte über die, die dich kennen, und deine Gerechtigkeit über die Frommen. 12 Lass mich nicht kommen unter den Fuß der Stolzen, und die Hand der Frevler vertreibe mich nicht! 13 Da sind gefallen die Übeltäter, sind gestürzt und können nicht wieder aufstehen.
Wenn ich es richtig verstanden habe, wird hier ein hartes Durchgreifen gegen die organisierte Kriminalität als mitursächlich kritisiert. Das ist wahrlich grotesk und erinnert an die Grünen in Berlin, die Dealer und arabische Clankriminelle gewähren lassen wollen, weil polizeiliches Vorgehen sei gleich Rassismus und Diskriminierung.