„Heute ist einer der größten Feiertage in der Geschichte des jungen Staates Israel“, schrieb die sozialdemokratische Tageszeitung „Davar“ am 25. Januar 1949, vor 75 Jahren: „Auf allen Straßen des Landes werden Bürger Israels die konstitutive Versammlung wählen.“ „Wählen“, so hatte der provisorische Regierungschef David Ben-Gurion am Vorabend im Radiosender „Kol Israel“ die neuen Staatsbürger gemahnt: „das ist eine nationale Pflicht“.
Es waren die ersten Wahlen in der Geschichte des neuen Staates Israel. Die Unabhängigkeitserklärung vom 14. Mai 1948 hatte festgelegt, dass spätestens zum 1. Oktober eine Verfassung verabschiedet sein sollte, die die Errichtung regulärer Staatsorgane regeln würde. Der Unabhängigkeitskrieg gegen die arabischen Nachbarn kam dazwischen. Gewählt wurde die sogenannte „HaAssefa HaMechonenet“ daher schließlich erst an jenem 25. Januar 1949.
Organisatorische und politische Herausforderung
Die Wahlen bedeuteten für den jungen Staat, der zu diesem Zeitpunkt nicht einmal über gesicherte Grenzen verfügte, eine organisatorische Herausforderung. Es stellten sich zahlreiche grundsätzliche Fragen, zum Beispiel: Wie viele potentielle Wähler gab es überhaupt im Land? Um die Bürger durchzuzählen, schickte die Regierung am 8. November 1948 das gesamte Volk für mehrere Stunden in den Lockdown.
Ergebnis: Gut eine halbe Million Menschen würden wahlberechtigt sein. Der Staat händigte ihnen Identifikationskarten aus, damit sie sich ausweisen konnten. Doch das Prozedere zog sich in die Länge. Noch kurz vor dem 25. Januar war unklar, ob die Wahl nicht noch einmal verschoben werden müsste, weil nicht alle Wahlberechtigten ihre Karten rechtzeitig erhalten hatten.
Die Frage, wer abstimmen durfte, musste aber nicht nur organisatorisch, sondern auch politisch geklärt werden. So kursierte etwa der Vorschlag, auch jüdische Flüchtlinge in Europa – quasi als Staatsbürger in spe – in die Wahl einzubinden. Andere hätten wiederum am liebsten ultra-orthodoxe Juden wegen deren Anti-Zionismus ausgeschlossen. Beide Ideen konnten sich nicht durchsetzen.
Dürfen Araber wählen?
Am heikelsten war die Frage, wie man mit den Arabern in Israel verfahren sollte. Einigen Israelis war unwohl bei dem Gedanken, dass jene über die Zusammensetzung der verfassungsgebenden Versammlung Israels mitbestimmen würden. Die Araber standen teils im Verdacht, eine fünfte Kolonne der arabischen Staaten zu sein, die zu diesem Zeitpunkt noch im Krieg mit Israel waren.
Am Ende aber war klar: Die Araber würden das gleiche Stimmrecht haben wie alle anderen auch. Nicht ohne Stolz schrieb die „Palestine Post“ (später: „Jerusalem Post“) am Vortag der Wahl: „Erstmals werden Araber danach gefragt, wer sie regieren soll.“ Um den Befindlichkeiten der arabischen Gesellschaft gerecht zu werden, richteten einige Wahllokale getrennte Wahlzeiten für Männer und Frauen ein.
Was genau aber sollte eigentlich gewählt werden? Eine Versammlung mit 71 Sitzen vielleicht? Oder doch lieber mit 171 Sitzen? Am Ende legte sich der provisorische Staatsrat auf 120 Sitze fest: Dies entsprach der Größe der „Knesset HaGdolah“ nach dem babylonischen Exil. Die Entscheidung fiel mit knappestmöglicher Mehrheit.
Drei Juden, fünf Parteien
Verschiedene Meinungen gab es auch zur Frage des Wahlmodus: Sollte es ein Mehrheits- oder ein Verhältniswahlrecht sein? Der Teilungsplan der UN-Generalversammlung vom 29. November 1947 hatte vorgegeben, dass jeder Staat später einmal eine repräsentativ-proportional zusammengesetzte Legislativversammlung haben sollte. So beschloss es die Regierung dann auch für die verfassungsgebende Versammlung.
Letztlich standen am Wahltag 21 Listen zur Wahl. Ein Autor der „Palestine Post“ stellte am 23. Januar fest, er habe während einer Fahrt mit einem Egged-Bus unter 27 Passagieren 18 parteipolitische Präferenzen identifiziert. Sein süffisanter Kommentar: Das Sprichwort „drei Juden, fünf Parteien“ sei eine „leichte Übertreibung“. Aber eben nur eine leichte.
Der Wahlkampf war geprägt durch Massenveranstaltungen in öffentlichen Räumen wie Kinos oder Theatern. Gleichzeitig versuchten Vertreter der verschiedenen Parteien, ihre Losungen mit Lautsprechern auf Häusern und Autos an den Mann oder die Frau zu bringen. Im Radiosender „Kol Israel“ erhielt jede Partei eine festgelegte Sendezeit. Flugblätter waren laut „Palestine Post“ zwischenzeitlich wegen Papierknappheit verboten worden.
Es war noch die Ära der linken Zionisten
Inhaltlich debattierten die Kandidaten über alle möglichen politischen Fragen. Ein großes Thema war etwa die Haltung zum anhaltenden Unabhängigkeitskrieg: Sollte man Waffenstillstände schließen oder vorher ganz Eretz Israel erobern? Auch die außenpolitische Positionierung gegenüber den beiden Supermächten im Kalten Krieg wurde diskutiert.
Der Wahltag selbst war dann als Feiertag festgelegt worden. Die Abstimmung lief ohne größere Zwischenfälle ab. Die Wahlbeteiligung lag bei 87 Prozent. Insgesamt schafften zwölf Listen den Sprung in die Knesset. Klarer Wahlsieger war Ben-Gurions 1930 gegründete sozialdemokratische Mapai (35,7 Prozent). Ihr folgte mit großem Abstand die stärker klassenkämpferisch und an der Sowjetunion ausgerichtete Mapam (14,7 Prozent).
Menachem Begins rechts-revisionistische Cherut-Partei, die später im Likud aufgehen und 28 Jahre später die Macht im Staat übernehmen sollte, spielte zu diesem Zeitpunkt mit 11,5 Prozent der Stimmen noch eine klar nachgeordnete Rolle. Als einzige arabische Vereinigung schaffte die „Demokratische Liste von Nazareth“ den Sprung in die Knesset, eine sogenannte Satellitenliste der Mapai.
Eine Verfassung kam nicht zustande
Ihre erste Zusammenkunft hielt die neue Versammlung am 14. Februar 1949 in Jerusalem ab. Zwei Tage später gab sie sich den Namen „Knesset“. Ihre wohl wichtigste Aufgabe – die Verabschiedung einer Verfassung – schloss sie nie ab. So hat Israel bis heute keine Verfassung – ein Grund und zugleich Symptom für die schweren gesellschaftlichen Verwerfungen der vergangenen Jahre.
Insgesamt legte die erste Knesset-Wahl viele Grundsteine, die bis heute nachwirken: Zu nennen ist hier insbesondere die Entscheidung für ein stark repräsentatives System, das die Regierungsbildung erschwert. Vor allem aber waren die Wahlen ein wichtiger Schritt, um den vorstaatlichen jüdischen Jischuw in einen konsolidierten Staat zu überführen, der das gesamte Volk integrierte. Angesichts innerzionistischer Auseinandersetzungen in den Monaten und Jahren zuvor war das keine Selbstverständlichkeit.
12 Antworten
„Ihre eigentliche Aufgabe – die Verabschiedung einer Verfassung – schloss sie nie ab.“
Schade das man bei der eigentlichen Aufgabe völlig versagt hat.
Na ja, in der BRD “ versagt“ gerade vieles, wobei “ wir schaffen das“.
Das ist doch Whataboutism.
und das ein totschlag-Argument, also ein Pseudo-Argument
In der Tat. Whataboutism dient nur zur Ablenkung von den eigentlichen Problemen.
@Am Israel chai
Na ja, in der BRD “ versagt“ gerade vieles, …
Aber bei weitem nicht so viel wie in Israel .
@Sam
Scholz ist gut, aber Netanjahu ist besser.
@AlbertNola
Die Einen sagen so,die Anderen so….
Danke @ Redaktion
25. Januar 1949, erste Knesset-Wahl: die Araber, fünfte Kolonne der arabischen Staaten, dürfen wählen.
Ich wünsche ISRAEL die gleiche Begeisterung, die Schlauheit der Gründungsväter, die Einigkeit aller (!) aus der Bevölkerung, den Elan neue demokratische Experimente zu wagen ohne sich von anderen Ländern zwingen zu lassen. Tja Israel ist nicht nur ein säkularer Staat, das ist den Heiden (u.a.) in der Welt ein Dorn im Auge, warum sollte das zu einem Mangel an Demokratie führen? Schließlich sind die Juden wegen ihrer Religion verfolgt worden … AM ISRAEL CHAI * SHALOM
Die aktuelle Situation in Bezug auf ISRAEL und PLO erinnert mich an die Prophezeiung in JESAJA 35, wonach in Wüsten wieder Quellen sprudeln werden.
Die vor 75 Jahren in Erfüllung gegangene Prophezeiung mit Israels neuer Staatsgründung gib mir nicht nur Hoffnung, sondern erscheint mir als logisches Vorspiel, die Quellen in den Wüsten sprudeln zu lassen. Meteorologische Voraussetzungen teile ich gerne mit. Die Kosten betragen nur einen Bruchteil dessen, was heutige Meerwasserentsalzung per Umkehrosmose fordert.