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Der lange Weg zu neuer Stärke

Nur um Haaresbreite haben Menachem und Haggai ihre Einsätze im Gazakrieg überlebt. In einer Jerusalemer Klinik begann ihr Leben bei null. Nun müssen sie neue Pläne für die Zukunft finden.
Von Valentin Schmid

Lange Narben erstrecken sich über Menachems Arm. Seine Einheit kämpfte am 7. Oktober im Kibbutz Kissufim, 2 Kilometer östlich des Gazastreifens. Mittlerweile kann er wieder über diesen Tag sprechen – beginnt dann aber doch nach zwei Minuten schon zu stottern. „Als wir um 13:30 Uhr ankamen, warteten die Terroristen schon auf uns. Sie eröffneten das Feuer von allen Seiten.“

Der 22-Jährige zieht sein T-Shirt hoch. Das Einschussloch in seiner Brust ist noch immer erkennbar. „Ich wurde getroffen, als ich meinen verwundeten Kommandeur aus dem Gefecht ziehen wollte.“ Eine Kugel durchdrang Menachems Arm, den Magen, die Lunge. Nur knapp hat er überlebt.

Foto: Valentin Schmid
Eine Kugel der Hamas hatte den Oberkörper von Menachem getroffen

Nicht weniger schmerzhaft sind seine Erinnerungen. „Auf dem Weg nach Kissufim fanden wir eine junge Französin, die dem Massaker entflohen war und nahmen sie in unseren Militärbus.“ Um ihr den Anblick weiterer Toter zu ersparen, verbanden die Soldaten ihr die Augen. Doch Menachem selbst hatte nicht das Privileg, wegzuschauen. „Es ist sehr schwer. Ich wache nachts auf und weine.“

Neue Mission: Leben retten

Sechs Soldaten der Einheit seien getötet worden, darunter sein enger Freund Bar Jankolov, dessen Beerdigung er leider nicht besuchen konnte. Doch während der zwei Monate in der Klinik auf dem Jerusalemer Skopusberg hat Menachem auch neue Pläne gefasst: „Selbst im medizinischen Bereich arbeiten“, sagt er. „Weil ich gesehen habe, wie wichtig es ist, Leben zu retten.“

An der Wand im Besucherraum hängen mehrere vergilbte, aber sorgfältig eingerahmte Zeichnungen. Die Baupläne des Krankenhauses. 1939 wurde es von der zionistischen Frauenorganisation „Hadassah“ eröffnet. Deren Motto: „Eine Hand für alle ausstrecken, ungeachtet Rasse und Religion.“

Über Jahrzehnte wurde der Leitsatz von „Hadassah“ zur Tradition in Israel. Heute ist der Anteil von Arabern im Gesundheitswesen sogar noch höher als in der Gesellschaft allgemein. Und weiterhin wird jeder behandelt. Vereinzelt sogar Hamas-Terroristen, wie mehrere Fälle seit dem 7. Oktober belegen.

Militär und Kliniken Hand in Hand

Zugleich arbeiten die Jerusalemer Kliniken eng mit dem israelischen Militär  zusammen. „Jeder in Israel kennt jemanden, der gerade in die Kämpfe verwickelt ist“, erklärt Mari. Die Kommandeurin ist für die Vernetzung des Militärs mit den Krankenhäusern zuständig. Sie informiert Angehörige über Notfälle – und über die Entscheidungen, wer nach der Genesung zurück in den Dienst muss.

Foto: Valentin Schmid
Kommandeurin Mari kümmert sich um verwundete Soldaten

„Das sind sehr schwere Gespräche“, meint sie. „Wir wünschten, dass es unsere Position nicht geben müsste.“ Zum Glück gehört zur Klink auf dem Skopusberg auch ein Reha-Zentrum, in dem sich die Soldaten mit ergotherapeutischer Behandlung wieder ins Leben zurückarbeiten können.

„Ich musste lernen, alleine zu atmen“

„Ich musste alles von vorne beginnen“, sagt Haggai in leisem Ton. „Ich musste lernen, alleine zu atmen, alleine zu laufen. Zu sprechen und meine Stimme wiederzugewinnen. Das Leben wieder neu schätzen zu lernen.“ Gleich am ersten Kriegstag hatte der 25-Jährige freiwillig seinen Kanada-Urlaub abgebrochen, war noch in der ersten Woche mit einem Panzer in den Gazastreifen gefahren.

Dann hat eine Panzerfaust der Hamas seine Mission jäh beendet. Haggai brannte, als Kameraden ihn aus dem Fahrzeug zogen. Über zwei Wochen wurde er künstlich beatmet. Noch immer ist sein halbes Gesicht rot, rund um das Ohr tritt Wundsekret aus. Am Hals fällt ein Stück hellere Haut auf. Es ist implantierte Haut. Selbst das Lächeln scheint im Schmerzen zu bereiten.

Doch auf die Frage, ob er seinen Militäreinsatz bereue, grinst Haggai trotzdem über das ganze Gesicht: „Ich würde mich nicht anders entscheiden. Es gibt andere, die viel mehr verloren haben.“ Falls er einmal in der Lage dazu sein sollte, kann sich Haggai sogar vorstellen, wieder in einem Panzer zu sitzen. Was er aus den vergangenen Monaten gelernt hat? „Das Gute wird gewinnen und das Licht die Dunkelheit besiegen.“

Valentin Schmid studiert derzeit an der Hebräischen Universität Jerusalem.

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Eine Antwort

  1. so unfassbar tragisch diese Berichte aus Israel seit Wochen sind…so helfen sie mir letztlich dabei…mein Herz immer mehr in Israel zu investieren mit Gebet und Hoffnung für Gottes geschundenes Volk

    24

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