Etwas unbeholfen sind sie schon, die zwölf Damen, zwischen 77 und 95 Jahren alt, als sie die Bühne betreten und ihre Schrittfolgen üben. Sie sind Teilnehmerinnen des israelischen Schönheitswettbewerbes für Holocaust-Überlebende. Dass sie einmal an einem solchen Wettbewerb teilnehmen würde, hätte wohl keine von ihnen für denkbar gehalten. Aber um die perfekte Bühnen-Performance oder äußere Schönheit geht es hier nicht.
Für seinen Dokumentarfilm „Miss Holocaust Survivor“ hat Regisseur Radek Wegrzyn einige der Teilnehmerinnen in Israel besucht und für mehrere Tage begleitet. Sein Film startet am heutigen 9. November – dem Tag des Gedenkens an die Reichspogromnacht vor 85 Jahren, in etwa 15 Kinos in Deutschland.
Der Wettbewerb, der bis 2021 jährlich stattfand, wurde von der israelischen Organisation „Jad Eser LeHaver“ (Helfende Hand für einen Freund) ins Leben gerufen. Sie bietet in einem Heim in Haifa über 80 Holocaust-Überlebenden ein Zuhause. „Finanziert durch evangelikale Christen“, wie der Film erklärt. Gemeint ist die Internationale Christliche Botschaft Jerusalem (ICEJ).
„Diese Damen bekommen hier etwas zurück“
Zu den Klängen des Liedes „I Will Survive“ von Gloria Gaynor betreten die Damen nacheinander die Bühne. Mehrmals proben sie ihren großen Auftritt. Allen ist klar, dass es hier nicht um dieselbe Schönheit geht wie bei klassischen Schönheitswettbewerben. Fünf etwas jüngere Frauen sitzen in der Jury. Sie interviewen die Damen einzeln. Und dabei erzählen diese auch, was sie zur NS-Zeit erlebt haben.
„Es geht nicht um die 90-60-90-Maße, sondern vor allem um die Persönlichkeit“, sagt eine der Jurorinnen. „Uns interessiert, was für ein Mensch du geworden bist.“ Es stellte sich heraus: Die Teilnehmerinnen haben eine große Freude daran. Ein Jurorin stellt fest: „Und sie haben es wirklich verdient. Dank ihnen sind wir hier.“
Eine der Veranstalterinnen sagt: „Diese Damen bekommen hier etwas zurück. Etwas, das in der Kindheit vielleicht verloren ging. Ein Maß an Weiblichkeit, sich schön zu fühlen.“
Die eine oder andere alte Dame braucht etwas Hilfe, um die Stufen zur Bühne hoch zu kommen. Dabei hat der Text des Liedes durchaus auch etwas mit der Situation von Holocaust-Überlebenden zu tun. Das lyrische Ich hat bei Gloria Gaynor „viele Nächte wach gelegen“ und versucht, das Geschehene zu verarbeiten. „Aber ich wurde stark“, heißt es im Lied, „und ich lernte, damit weiterzuleben“. Das Leben mancher Holocaust-Überlebenden trifft das ganz gut. „So lange ich weiß, wie man liebt, werde ich weiter leben“, heißt es im Liedtext. „Ich habe ein ganzes Leben zu leben.“
Stretch-Limo, Medienpräsenz und Ehrerbietung
Aber besteht nicht die Gefahr, dass vor allem die schlimmen Geschichten bewertet werden? Dass die schrecklichste Lebensgeschichte gesucht wird? Kritik blendet Wegrzyn in Form von hörbaren Kommentaren ein, die offenbar im Zuge der Diskussion um den Wettbewerb geäußert wurden.
„Das Leiden der Überlebenden wird hier in aller Öffentlichkeit vorgeführt“, beschwert sich eine Frau. Ein Mann sagt: „Niemand sollte auf einen kurzen Abschnitt seines Lebens reduziert werden. Wir sollten sie dafür feiern, wer sie nach dem Holocaust geworden sind. Aber: Sie sind auch die letzte Generation.“
In jungen Jahren hätten Holocaust-Überlebende kaum Zeit gehabt, das Erlebte wirklich zu reflektieren, sagt im Film die Traumatherapeutin Izabella Grinberg. „Da sind Familie, Kinder und die Arbeit. Aber im Ruhestand angekommen, haben sie viel freie Zeit, und aus dem Unterbewusstsein kommen traumatische Erinnerungen hoch. Plötzlich.“
Und so kommt es immer wieder zu rührenden Szenen. Viele der Damen haben viel Hunger in ihrem Leben gelitten. Noch heute, erzählt eine, werde sie wütend, wenn irgendwo Essen weggeworfen wird. Eine Dame sitzt während der Veranstaltung mit den anderen an einem Tisch, doch sie weigert sich, sich am Buffet anzustellen. „Dreieinhalb Jahre lange habe ich im KZ an solch einer Theke täglich angestanden und habe um Essen gebettelt, um eine wässrige Suppe mit wenigen Bohnen darin.“
Immer wieder kommen in kurzen Erinnerungsstückchen auch die schlimmen Erlebnisse der Frauen zum Tragen. Manche erzählen, wie ihre Familie es schaffte, zu überleben. Etwa weil sie rechtzeitig flüchten oder sich versteckten konnten. Die einen können über die Erlebnisse sprechen, andere nicht.
Doch im Zentrum dieses Films steht nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart; nicht die Gräuel der Nazis, sondern das Leben im Jetzt in Israel. Gezeigt werden die Frauen, wie sie ihren Hobbys nachgehen oder sich im Fitnessstudio fit halten.
Überlebende fühlen sich geehrt
Eine Teilnehmerin teilt eine weise Erkenntnis mit den anderen: „Alle diese zwölf Damen haben schon gewonnen. Das Beisammensein, die Geschichten jeder einzelnen zu hören … Es ist etwas Besonderes. Hier geht es nicht darum, Schönheitskönigin zu werden.“ Dass sie so bevorzugt behandelt werden, tut den Damen sichtbar gut. Und als am Tag des Wettbewerbes eine große Stretch-Limousine vorfährt, um sie unter großer Medienpräsenz abzuholen, merkt man vielen von ihnen an, dass sie sich geehrt fühlen.
„Miss Holocaust Survivor“ ist eine wunderbare Dokumentation, die oft zu Tränen rührt. Die 85-jährige Rita Kasimow-Brown berichtet, wie sie als Kind nach anderthalb Jahren aus ihrem Versteck, einer Grube in einer Scheune, kroch und die Luft des Waldes atmete und die Tiere und Pflanzen wieder sah. Ihr schoss nur ein Gedanke durch den Kopf: „Ich will leben.“
Der Film blendet ein: „Rita wanderte 1945 in die USA aus. Sie hat Universitätsabschlüsse in Theologie, Psychologie und Kunsttherapie. Sie hat zwei Kinder und drei Enkelkinder.“ Am Ende ist ganz egal, wer den Wettbewerb gewinnt. Es ist das Leben selbst, das Wunder des Überlebens, das dieser Film zu Recht mit den Damen feiert.
2 Antworten
Boker tov v‘ Shalom
Gebet allen was ihnen gebührt, die Ehre dem die Ehre gebührt!
Römer 13,7
Ehre auch der ICEJ!
Aber vor Allem gebet Gott JHWH die Ehre
Psalm 29, 2: Gebet JHWH die Herrlichkeit seines Namens; betet JHWH an in heiliger Pracht!
Psalm 144, 1: Von David. Gepriesen sei JHWH mein Fels, der meine Hände unterweist zum Kampf, meine Finger zum Kriege:
Psalm 144, 2: Meine Güte und meine Burg, meine hohe Feste und mein Erretter; mein Schild und der, auf den ich traue, der mir mein Volk unterwirft!
Nie wieder ist Jetzt! Gedenkveranstaltung
zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht
HEUTE DONNERSTAG in HAMBURG
09. November 2023 – 16.30-17.30 Uhr
auf dem Joseph-Carlebach-Platz (ehemals Bornplatz)
Die Stiftung Bornplatzsynagoge und die Jüdische Gemeinde in
Hamburg laden ein zur Gedenkveranstaltung anlässlich des 85.
Jahrestages der Reichspogromnacht vom 9. November.
Wir werden auch da sein.
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