Die Skulpturen von Alberto Giacometti, 1901 in einem kleinen Schweizer Alpendorf nahe der italienischen Grenze geboren und 1966 in Chur gestorben, gehören zu den bedeutendsten Kunstwerken nach dem Zweiten Weltkrieg.
Als Kind kam er durch seinen Vater Giovanni Giacometti, einen postimpressionistischen Maler, mit Malerei und Bildhauerei in Berührung. 1922 zog Alberto Giacometti nach Paris, um Kunst zu studieren. In der Seine-Metropole lernte der Künstler Vertreter der Avantgarde-Bewegungen seiner Zeit kennen und richtete sich in einem winzig kleinen und schäbigen Atelier in Montparnasse ein, wo er bis zu seinem Tod 1986 lebte und arbeitete. Trotz schäbigem Ambiente, der Ort einer bemerkenswerten Schaffensperiode.
Schon früh war Giacometti von der antiken und nicht-westlichen Kunst sowie von zeitgenössischen Stilen, darunter dem Kubismus, fasziniert. Vier wichtige Merkmale des Kubismus sind die Anwendung multipler Perspektiven, die Verwendung geometrischer Formen, eine monochromatische Farbpalette und eine abgeflachte Bildebene.
Der Kubismus hat die Behandlung der Form neu definiert, indem er die Traditionen der Perspektive, des Modellierens und des Verkürzens verwarf. Das Ergebnis dieser Methode war eine stark abstrahierte Komposition, die das Motiv aus allen Blickwinkeln oder mit sich überlappenden Bildebenen darstellte. Pablo Picasso, Georges Braque und Juan Gris gelten als die Gründer des Kubismus.
Später zog es Alberto Giacometti in die Welt des Unterbewusstseins, der Künstler schloss sich den Surrealisten an.
Einzigartige künstlerische Sprache
Obwohl er während seiner gesamten Laufbahn am intellektuellen Leben in Paris teilnahm, schloss er sich weder einer künstlerischen noch literarischen Strömung an, sondern blieb in seiner Vision stets unabhängig und schuf eine einzigartige künstlerische Sprache.
Giacomettis tiefgründiges Studium der menschlichen Figur und seine wiederholten Versuche, die Erfahrung des Sehens in eine physische Form zu bringen, diktierten einen faszinierenden künstlerischen Prozess, der sich ständig zwischen Schöpfung und Zerstörung, Tun und Lassen, Fortschritt und Rückzug bewegte. Seine Skulpturen und Gemälde sind in gewissem Sinne permanente „works in progress“, ohne Aussicht auf Katharsis oder Vollendung.
Wie der mythische Held Sisyphos, der dazu verurteilt war, einen Felsbrocken immer und immer wieder den Berg hinauf zu rollen, war Giacomettis Werk von einem ständigen Kreislauf aus Verzweiflung und sturer Beharrlichkeit geprägt, denn Alberto Giacometti begann immer wieder von vorne. Sein Werk ist vom Kubismus, Surrealismus und den philosophischen Fragen um die „condition humaine“ (Umstände des Menschseins), vom Existentialismus und von der Phänomenologie beeinflusst.
Begegnung mit Sartre
1939 begann Giacometti Büsten und Köpfe zu modellieren, die nur noch nussgross waren. Im selben Jahr lernte er im Café de Flore den französischen Philosophen Jean-Paul Sartre und dessen Lebensgefährtin, die Schriftstellerin Simone de Beauvoir, kennen.
Nicht lange nach der ersten Begegnung Sartres mit Giacometti verfasste der Philosoph sein Hauptwerk L’Être et le Néant. Essai d’ontologie phénoménologique, „Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie“. Es wurde 1943 erstmals veröffentlicht, und einige Gedanken Giacomettis flossen ein. Die Phänomenologie beschäftigte Giacometti zeitlebens.
In der Nachkriegszeit entstanden Giacomettis bekannteste Werke; in den extrem langen, schlanken Skulpturen führte der Künstler seine neue Distanzerfahrung nach einem Kinobesuch aus, in der er den Unterschied zwischen seiner Sehweise und jener der Fotografie und des Films erkannte.
Mit seiner subjektiven Seh-Erfahrung schuf er die Plastik nicht als körperhafte Nachbildung im realen Raum, sondern als „ein imaginäres Bild, in ihrem gleichzeitig realen und imaginären, greifbaren und unbetretbaren Raum“.Giacomettis malerisches Œuvre (Gesamtwerk) war anfangs ein kleinerer Teil seines Werks. Nach 1957 trat die figurative Malerei gleichberechtigt neben die Skulptur. Seine nahezu monochromatische Malerei lässt sich keiner Stilrichtung der Moderne zuordnen.
Alberto Giacometti blieb zeitlebens seinem heimatlichen Gebirgstal Bergell eng verbunden; dort traf er seine Familie und widmete sich seiner künstlerischen Arbeit.
Ausstellung und Pavillon ergänzen einander
Die gemeinsam mit der Fondation Giacometti organisierte Ausstellung weiht den renovierten Ejal-Ofer-Pavillon ein, der 1959 als Helena-Rubinstein-Pavillon für zeitgenössische Kunst gegründet wurde. Ofer war Geldgeber der Modernisierung.
Die Architektur und die darin ausgestellte Kunst ergänzen sich gegenseitig: Der Pavillon – eine Ikone von Tel Aviv, entworfen von den Architekten Se’ev Rechter, Jakov Rechter, Mosche Sarhy und Dov Karmi – umgibt Giacomettis Kunst in einem beeindruckenden modernistischen Rahmen. Zusammen manifestieren sie einen starken Sinn für die ästhetischen Innovationen der Nachkriegszeit.
Die Ausstellung ist über die vier Stockwerke des Pavillons verteilt. Gemeinsam präsentieren sie die vier Jahrzehnte von Giacomettis Schaffen, das Skulpturen, Malerei, Zeichnung und Druckgrafik umfasst, und geben den Besuchern einen umfassenden Überblick über eine der einzigartigsten und lebendigsten künstlerischen Stimmen des 20. Jahrhunderts.
2 Antworten
Eine wirklich beeindruckend hässliche Ausstellung.
Ich sah sie noch nicht, Andrea, Sie schon?
Ihren Kommentar deutend.
OT: Ejal Ofer, der Sponsor, schrieb u.a. “ Die Mauer.“