In meinen vielen Begegnungen mit dem Land Israel fasziniert mich immer wieder die Verbindung zwischen Landschaft und Botschaft, oder anders gesagt: zwischen Geografie und Theologie. Das Evangelium des Markus etwa beginnt seinen Bericht über Jesus am Jordan bei Jericho, also unweit des tiefsten Punktes der Erde. Und es erreicht einen vorläufigen Höhepunkt am nördlichsten Ende des Landes und zugleich auf seinem höchsten Gipfel: Dem Berg Hermon (Markus 9,7).
Aus dem Felsen am Fuß dieses Berges entspringt nicht nur der Fluss, der dem ganzen Land Israel Wasser und Leben bringt, sondern auch das Bekenntnis des Felsenmannes Petrus, aus dem die weltweite Gemeinde Jesu entsteht (Matthäus 16,18). Landschaft und Botschaft, Geografie und Theologie.
Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch.
1. Mose 2,13
Besonders eindrücklich wird dieser Zusammenhang für mich auch an der Quelle Gihon am Fuß Jerusalems. Trägt diese Quelle ihren Namen aus Zufall? Oder haben Menschen der Quelle diesen Namen gegeben, weil sie ihr Leben und ihre Stadt ganz bewusst verbinden wollten mit der Quelle des Lebens, die im Garten Eden floss (1. Mose 2,13)?
Das Leben dieser Stadt entspringt aus dem Leben, das Gott seiner Schöpfung gab, als ein Geschenk. Und nur wer verbunden ist mit dieser Quelle, kann auch am Strom des Lebens Anteil haben. Zadok, der Priester, salbte den König von Israel an dieser Quelle, um deutlich zu machen: Selbst der mächtigste König verdankt sein Leben nur dieser Quelle (1. Könige 1,45). Ein Ereignis, von dem sogar noch bei der Salbung von König Charles III. gesungen wurde.
Gottes Lebensstrom vom Garten Eden
König Hiskia ließ dann den berühmten Wassertunnel bauen, um das Wasser der Quelle ins Innere seiner Stadt zu führen. Am Ende des Tunnels füllte das Wasser den Teich von Siloah, der den Menschen Zugang zu Trinkwasser, Reinigung und Erfrischung brachte (2. Chronik 32,30).
Wieder ein Stück handfeste Geografie mit einer tieferen geistlichen Bedeutung: So wie die Wasser der Gihonquelle den Felsen unter Jerusalem verborgen durchströmen, um am Ende wieder zum Vorschein zu kommen und Leben zu spenden, so zieht sich auch der Lebensstrom Gottes vom Garten Eden verborgen durch die Geschichte der Bibel und die Geschichte Israels hindurch bis in unsere Zeit. Und selbst wenn Gottes Gegenwart, Gottes Wirken und Gottes Segen nicht zu allen Zeiten für alle Menschen offensichtlich sind, ist er doch im Verborgenen wirksam, durch sein Volk und seine Gemeinde zu allen Zeiten, und die Ströme des Lebens fließen.
Die Freude des Wasserschöpfens
Jesus sendet einen Menschen, den er heilt, zu diesem Teich Siloah. Und der Teich wird zu einem Bild für die geistliche Welt: Wer sein Leben hineintaucht in den Strom des Lebens, der von Gott her kommt, dessen Leben wird wirklich heil. Die Schriften der jüdischen Rabbinen berichten vom „Fest der Freude im Haus des Wasserschöpfens“, bei dem am letzten Tag des Laubhüttenfestes jedes Jahr Krüge mit Wasser vom Teich Siloah hinauf in den Tempel getragen wurden, begleitet von Musik und Tanz.
„Wer das noch nicht erlebt hat, der hat noch nie echte Freude erlebt“, heißt es im Talmud (Sukkah 51a). Dieses Fest war ein Ausblick auf die zukünftige Zeit der Erlösung, in der das lebendige Wasser vom Inneren des Tempels aus fließen und dem ganzen Land Heilung bringen würde (Hesekiel 47,1–12). Und es ist dieses Fest, an dem Jesus selbst sich in den Tempel stellt und ruft: „Wer Durst hat, der komme zu mir und trinke“ (Johannes 7,37). Denn, so sagt es die Schrift, „aus seinem Innersten werden Ströme lebendigen Wassers fließen“.
Bei Jesus finden wir Zugang zum Strom des Lebens: Er verbindet uns nicht nur mit der Quelle des Lebens, sondern auch mit der langen Geschichte des Volkes Gottes, durch die dieser Strom zu uns hin fließt. Und er verbindet uns mit der Zukunft, die Gott für die Welt bereithält. All das spiegelt sich ganz greifbar und erlebbar wider in diesem Strom, der bis heute durch den Felsen fließt, der die Stadt Gottes trägt.
Von Guido Baltes
Guido Baltes (Jahrgang 1968) ist evangelischer Pfarrer und Dozent für Neues Testament am MBS Bibelseminar in Marburg, an der theologischen Hochschule Tabor und an der Philipps-Universität Marburg.
9 Antworten
Sehr schön! Danke für diesen Bericht.
Psalm 36, 9: Denn bei dir ist der Quell des Lebens, in deinem Lichte werden wir das Licht sehen.
Jesaja 2, 5: Kommt, Haus Jakob, und laßt uns wandeln im Lichte JHWH!
Shabbat Shalom!
Eine Quelle beim Wandern zu entdecken, vielleicht sogar eine, die kartographisch noch gar keine Erwähnung fand, ist so ziemlich das Schönste, was einem Wandersmann (wie mir) passieren kann.
Trotzdem habe ich die biblischen Gedanken von Herrn Baltes nicht ganz verstehen dürfen. Es mag an mir liegen. Wie auch immer:
Den -wenn ich es recht sehe- noch zwei jüdischen Kommentatoren hier „Shabbat Shalom“, den Christlichen etwas vor der Zeit einen gesegneten Sonntag. Und den Atheisten dasselbe sieben Tage die Woche.
Eigentlich sind es nur ganz normale Quellen, aus denen Grundwasser fließt, das zuvor als Regen vom Himmel kam. Funktioniert alles rein physikalisch und hat keine übernatürliche Erklärung oder Bedeutung.
Gott ist auch für alle physikalischen Gesetze verantwortlich! Ohne den Schöpfer läuft nichts!
Ja, wir haben schon einen gewaltigen Gott! Gott ist der Schöpfer von allem und steht auch noch darüber. Ein Beispiel die Freunde Daniels im Feuerofen – wie gewaltig ist doch unser Gott.
L.G. Martin
@Horst:
Ganz so einfach scheint es mir doch nicht zu sein. Bis aus eingetragenem Regenwasser Grundwasser wird, kann viele Jahre dauern. Und die feinen Mineralien, die häufig im Grundwasser vorhanden sind, die sind Ergebnis der jahrelangen Reise des Wassers nach unten.
Natürlich haben Sie aber damit Recht, dass man auf übernatürliche Erklärungen getrost verzichten kann.
Ich bin so begeistert von dem Gott der Bibel, ein Gott der Wundert tut, damals, heute und in Ewigkeit.
Lieber Gruß Martin
Bzgl. der festlichen Ausgießung ans Sukkot des Wasser gibt es einen jüdisch-karaitischen Wissenschaftler, der herausstellt, dass diese besondere Opfer nirgendwo in der schriftlichen Thora von Gott geboten wurde, und als heidnischer Brauch, als eine Art „Regentanz“ eingeführt wurde.
https://www.nehemiaswall.com/john-6-4-new-testament-part-4
Jeschua hat demnach einen Kontrapunkt zu diesem unbiblischen Ritual gesetzt, in dem er sagte „Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“
Der Bericht ist gut und hilfreich. Man lernt immer Neues ! Israel hat viele wunderbare Dinge, die Gottes Werke zeigen. Um so wichtiger ist der Erhalt der Schöpfung, gegen den Verschwendungswahn der Natur !