Jeweils ganz persönliche Sichtweisen auf Israel geben 14 Journalisten, Schriftsteller und andere Intellektuelle in dem Buch „Israel – Was geht mich das an?“ des österreichischen Verlags Thespis. (Streng genommen sind es 15, Wolf Biermann ist mit mehreren Gedichten vertreten.)
Zu den Ländern Norwegen, Marokko oder Uruguay hat nicht jeder Deutsche oder Österreicher eine Meinung. Das Wissen darüber hält sich in Grenzen, und die Medien hierzulande haben keine ständigen Korrespondenten in diesen Ländern. Warum auch? Geht es aber um Israel, herrscht ein „massives, ja manchmal obsessives Interesse“ vor, stellt Ben Segenreich, langjähriger Israel-Korrespondent, fest.
In seinem lesenswerten Essay wundert sich Segenreich: „Von Teilnehmern der ‚Revolutionären 1. Mai-Demonstrationen‘ in Berlin über die Church of Scotland bis zum Afrikanischen Nationalkongress, warum haben sie ein Anliegen, sich ausgerechnet als Antizionisten auszuweisen?“ Nirgendwo höre man etwas von einem „Anti-Kosovismus“ oder von einem „Anti-Eritreismus“, um nur zwei umstrittene Staatsgründungen jüngeren Datums zu nennen.
Der Deutsch-Israeli, der er fast 30 Jahre lang als Israel-Korrespondent für Medien wie „Ma’ariv“ und ORF arbeitete, geht auf die geradezu chronische Israelfeindlichkeit von Amnesty International und der UNO ein. Er thematisiert die Neigung unter Journalisten, Israel reflexartig alles Böses zuzutrauen und dann zu Meldungen übernehmen, die Israel schlecht darstellen, aber falsch sind.
Auch wenn es 122 andere territoriale Konflikte auf der Welt gebe, auch wenn es „den“ Nahost-Konflikt gar nicht gebe, sondern fast jedes arabische Land seinen eigenen Konflikt habe, und auch wenn dieses Land am Mittelmeer klein und von der Bevölkerungszahl eher unbedeutend sei: Für viele hängt von Israel offenbar der Weltfrieden ab, jeder hat seine Meinung dazu, und die Streits darüber haben schon Freundschaften entzweit. „Wieso nur?“, fragt der Nahost-Experte.
Autoren haben etwas zu sagen
Und so geht es weiter in dem sehr lesenswerten Buch. Denn die, die für diese Textsammlung angefragt wurden, haben allesamt etwas Hörenswertes zu sagen zum Thema Israel. Da ist Harry Bergmann, der in Israel geboren wurde, Karriere in der Werbebranche in Österreich machte und heute als Kolumnist tätig ist.
Seine Erinnerungen an Israel, aus dem er als Dreijähriger wegzog, verknüpft er mit seinem Vater, einem Taxifahrer. Er beschreibt ein „überhöhtes, typisch israelisches Selbstbewusstsein“, ausgelöst vielleicht auch durch den gewonnenen Unabhängigkeitskrieg. „Wer gleichzeitig vier übermächtige Feinde besiegen kann, wird sich doch nicht vor dem Gegenverkehr in der nächsten Serpentine ins Hemd machen“, schreibt er über den Fahrstil der Busfahrer.
Sein lockerer Ton wird immer wieder unterbrochen vom Antisemitismus in Österreich, der zu diesem Land „genauso untrennbar gehört wie die Alpen“. Dass Bergmann seit dem Jahr 2000 auch einen Wohnsitz in Israel hat, ist der Sorge um den Aufstieg des Politikers Jörg Haider geschuldet. Spätestens als dieser in einer Rede den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, verhöhnte („Wie kann einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben“) und große Begeisterung auslöste, war klar, dass man als Jude durchaus nicht ganz sicher in Österreich leben kann.
Von „Kaltland“ ins warme Israel
Die deutsche jüdische Schriftstellerin Mirna Funk beschreibt ihre Beziehung zu Israel zunächst als wohliges Gefühl der Wärme und Nähe. Als Teenager kam sie aus Deutschland (Kaltland) nach Israel, ans Mittelmeer – in Krieg, Bomben und Sirenen, aber auch in eine Gemeinschaft, eine Familie. „Aus Kaltland kommend, begriff ich plötzlich, was Nähe überhaupt bedeutet. Man umarmte mich innig, kitzelte meine kleinen, dünnen Arme, küsste mein Haar, streichelte mir über die Wange. Es war, als würde ich in diesem heißen Land auftauen.“
Funks Blick auf Deutschland und die dortige Sicht auf Israel schärfte sich. „Die deutsche Gesellschaft und ‚ihr‘ Israel. Apartheid Israel. Und noch ein ekliges Spiegel-Cover mehr und noch ein krasser Facebook-Post.“
Sie, die den Krieg in Israel vor Ort mitbekam, las die Kommentarspalten, die Zeitungsartikel und die TikTok-Posts über Israel aus deutscher Sicht. Und wollte verzweifeln. „Mit welcher Obsession die Welt auf dieses kleine Land blickt. Ein Land so groß wie Hessen.“ Und sie erlebt, wie der Antisemitismus, oft getarnt als politische Kritik, immer schlimmer wird. „Nichts ist stabiler als Judenhass“, schreibt Funk. „Deswegen geht er auch nicht weg. Er ist gekommen, um zu bleiben.“ Und dann ist da am Ende – zum Glück – das warme Land Israel, das sie umfängt.
Antisemitismus im arabischen Fernsehen
Ahmad Mansour wurde 1976 in Kfar Saba bei Tel Aviv geboren. „Ich bin mit einem arabischen TV-Sender in der Region groß geworden, auf dem Israel immer als der Feind dargestellt wurde – und immer noch wird“, schreibt der Psychologe und Autor, der mittlerweile in Berlin lebt. „Antisemitismus war in meinem Alltag so normal, dass ich lange nicht auf die Idee kam, ihn zu hinterfragen.“ Mit 13 radikalisierte er sich islamistisch, erst im Studium in Tel Aviv und später in Berlin änderte sich seine Meinung über Israel und die Juden drastisch.
Ihm ist klar: „Trotz all der negativen Aspekte werden sich kaum arabische Israelis finden, die bereit wären, in einem arabischen Staat zu leben. Denn demokratische, rechtsstaatliche Bedingungen und Wohlstand wie in Israel – das ist nirgendwo sonst im Nahen Osten zu finden.“ Heute blickt er entsetzt auf den Antisemitismus in mittlerweile vielen Teilen der deutschen Gesellschaft, der sich als Israelkritik tarnt oder offen hasserfüllt daherkommt. „Antisemitismus ist nicht ‚wieder da‘ – er ist immer noch hier, er wird lauter und aggressiver, in nahezu allen Milieus.“
Und auch Mansour fragt sich in Bezug auf den Titel des Buches: „Warum ist man (in Deutschland) so fixiert auf diese kleine Demokratie im Nahen Osten, die sich gegen sämtliche feindselige Nicht-Demokratien in ihrer Nachbarschaft behaupten muss?“
„Fragt mich etwas, was ein Schweizer sinnvoll beantworten kann“
Der Schweizer Drehbuchautor und Schriftsteller Charles Lewinsky will die Frage, was ihn Israel angeht, eigentlich gar nicht beantworten. „Ich bin ein Schweizer Schriftsteller, verdammt nochmal! Fragt mich doch etwas, was ein Schweizer sinnvoll beantworten kann.“
Lewinsky werde – ist er doch Jude – die Frage oft gestellt. „Egal, was man über Israel sagt, es ist immer, immer falsch. Äußere ich mich positiv, kommt von der einen Seite als Echo zurück: ‚Natürlich, er ist Jude, und diese Juden halten immer zusammen.‘ Und sage ich etwas Kritisches, schallt es aus der anderen Ecke: ‚Da äußert sich mal wieder der typisch jüdische Selbsthass.‘“
Aber auch Lewinsky fällt auf: Geht es um die Türkei und die Kurden, oder um China und die Uiguren, ist das Interesse nicht so groß wie beim Thema Israel und die Palästinenser. „Dafür geht ihr auf die Straße und ruft zu Boykotten auf?“, wundert sich Lewinsky. „Warum eigentlich?“
„Von keinem Konflikt gibt es mehr Bilder“
Die deutsche Journalistin und Filmemacherin Esther Schapira hatte in ihrem ARD-Film „Das Kind, der Tod und die Wahrheit – Das Rätsel um den Palästinenserjungen Mohammed Al-Durah“ jahrelang zu einem Vorfall recherchiert, der um die Welt ging. Ein Junge, der tot in den Armen seines Vaters liegt, der im Gazastreifen hinter einem Betonfass kauert. Sie fand heraus: Auch wenn diese Meinung damals als so gut wie sicher galt und noch heute verbreitet wird – israelische Soldaten können ihn nicht getötet haben.
Die Szene sei „typisch für die Situation Israels“, schreibt Schapira. „Nirgendwo drängen sich mehr Journalisten, von keinem Konflikt gibt es mehr Bilder. (…) Dämonisierung, Delegitimierung, doppelte Standards – Israel bleibt der Jude unter den Staaten, stets mit Misstrauen von der Völkergemeinschaft beäugt.“
Die ehemalige Direktorin des Jüdischen Museums Wien, Danielle Spera, bringt ihr Verhältnis zu Israel so auf den Punkt: „Israel ist das Land, das mich aufnehmen wird, wenn es auf der ganzen Welt keinen Platz mehr für Jüdinnen und Juden gibt.“
Geistliche Sicht am Schluss
„Israel – Was geht mich das an?“ ist ein gutes und wichtiges Buch. Denn es liefert neue Blickwinkel, mal persönlich, mal professionell-analytisch. Und die Frage, was Israel für sie bedeutet, beantwortet hier selbsterklärend keiner wie vielleicht die nach irgendeinem anderen Mittelmeerland – lediglich vom sonnenreichen Traumland mit netten Menschen und guter Stimmung spricht hier keiner. Israel geht dann eben doch – uns alle etwas an.
Es fehlt in diesem Buch eine christliche Sicht – ist doch das Interesse an und die Liebe zu diesem Land unter Christen in ähnlicher Weise verbreitet. Notwendig ist das freilich nicht, zumal die Skepsis gegenüber Christen gerade in Bezug auf Antisemitismus groß ist. Der Historiker Peter Huemer analysiert genau das und hält etwa den Satz „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ im Matthäus-Evangelium für fatal.
Eine geistliche Sicht auf Israel gibt es dann aber doch. Der Oberrabbiner Wiens, Jaron Engelmayer, zeigt sich im allerletzten Text des Buches überzeugt davon, dass nur eine historisch umfassende (und damit biblische) Sichtweise dazu führt, dieses Land ganz zu verstehen. „Das göttliche Versprechen ruht auf diesen beiden Säulen: Land und Volk Israel“, meint Engelmayer. „Worin liegt die besondere spirituelle Kraft Israels?“, fragt der Rabbiner und schreibt: „Es ist ein Land, auf welchem die Augen Gottes stets ruhen, es steht unter direkter göttlicher Beobachtung.“ Offenbar geht selbst Gott Israel etwas an.
7 Antworten
In Deutschland ist das Interesse an Israel Staatsraison. Selbst wenn man sich persönlich gar nicht für das Land interessieren würde, kommt man spätestens in der Schule nicht mehr an dem Thema vorbei. Daneben gibt es auch unzählige Medienangebote speziell über Israel, z.B. Israelnetz. Vielleicht tragen ja auch diese dazu bei, dass mehr über Israel als über andere Länder gesprochen wird.
„Nirgendwo höre man etwas von einem „Anti-Kosovismus“ oder von einem „Anti-Eritreismus“
Es gibt ja auch nur zwei Antis-ismen auf der Welt, den Antiamerikanismus und den Antisemitismus. Nur diese beiden Länder können Kritik pauschal unter dem Anti-ismus abhaken und sich somit als Opfer unberechtigter und überzogener Kritik darstellen. Einen Antirussismus gibt es dagegen z.B. nicht, denn bei Russland ist jede Kritik natürlich berechtigt.
Philosemitismus, die unkritische Liebe zu Juden, nur weil sie Juden sind, unabhängig von ihrer Persönlichkeit, Moral oder Handlung, ist nicht nur ein deutsches Phänomen: Trumps USA bieten es sogar als Exportware an: Nachdem der US-amerikanische Antisemitismusbeauftragte sein Land als das philosemitischste Land der Welt deklarierte, erklärte er, philosemitische Narrative auch in anderen Ländern zu entwickeln und voranzutreiben.
Wenn der Philosemitismus einen blind macht für israelische Ungerechtigkeiten oder Menschenrechtsverletzungen, dann ist er eher böse als gut. In Deutschland führt der israelbezogene Philosemitismus de facto zu einer Unterstützung von Israels Besatzungspolitik, der Besiedlung palästinensischer Gebiete und der Unterdrückung ihrer Bevölkerung. Jeder Bundestagsabgeordnete muss sich darüber im Klaren sein.
Beim Versuch, mit Philosemitismus Antisemitismus zu bekämpfen, lohnt es sich an den Spruch des jüdischen Parodisten Robert Neumann zu erinnern: „Philosemiten sind Antisemiten, die die Juden lieben.“
Deutschland ist verständlicherweise besonders sensibel für alles, was mit Juden verbunden ist, und reagiert empfindlich darauf wenn ein zunehmender Antisemitismus immer wahrnehmbarer wird.
Einige sind daher überzeugt, dass Philosemitismus die passende Antwort auf Antisemitismus sei. Dieser Philosemitismus bezieht meist auch den jüdischen Staat Israel ein und die besonders aktiven Philosemiten sind oft von Israel oder jüdischen Themen besessen. Was wir dann erleben, ist eine zuweilen bis zur Absurdität geratenen Vergangenheitsbewältigung.
Die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland wird von der Palästinensischen Autonomiebehörde unterdrückt und die Palästinenser in Gazastreifen von der Hamas – nicht von der israelischen Regierung. Weshalb sonst ergaben Umfragen im Westjordanland, dass die Mehrheit der Palästinenser gerne einen israelischen Pass erhalten möchten. Israel in Menschenrechtsfragen mit einem anderen Maßstab zu messen als andere Staaten oder Regierungen ist ein charakteristisches Kriterium für Antisemitismus.
Absurd ist nur eines: ihr Kommentar.
Herr Luley, hatten Sie diesen Beitrag nicht fast wortwörtlich schon in den letzten Tagen woanders verarbeitet?
Merken langsam auch Sie, dass sich Ihre „Argumente“ letztlich immer wiederholen?
YAWN! Nothing new under the sun! Keep on complaining – who cares!?
btw.: Wenn JEMAND hier von Israel besessen ist und seinen „rund um die Uhr-Lebensinhalt“ daran findet, dann sind das SIE und ein paar Gleichgesinnte.
„Dieser Philosemitismus bezieht meist auch den jüdischen Staat Israel ein und die besonders aktiven Philosemiten sind oft von Israel oder jüdischen Themen besessen.“ Das finden Sie nicht gut. Das Umgekehrte: Antisemiten, die zu jedem Thema, das Israel betrifft, mit Hass und Hetze reagieren und von diesem Hass sprichwörtlich besessen sind, der stört Sie aber nicht. Konsequent?