Jahrzehntelang basierte die deutsche Außenpolitik auf der Annahme, es gäbe keine Gegner, sondern nur mehr oder minder komplizierte Partner. Damit einher ging die Maxime vom „Wandel durch Handel“. Mit anderen Worten: Man müsse autokratische und unliebsame Regime nur in den weltpolitischen Handel einbinden, um sie zu demokratisieren und zu liberalisieren.
Spätestens seit der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) proklamierten Zeitenwende, kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, gilt diese Formel als überholt. Eigentlich.
Faktisch ist Deutschland größter EU-Handelspartner eines Regimes, welches seine eigenen Bürger massiv unterdrückt, die gesamte Nahost-Region destabilisiert und schließlich die internationale Gemeinschaft in der Atomfrage zum Narren hält. Es geht um den Iran. Nach Angaben der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer lag das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern allein in den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres bei 787,1 Millionen Euro. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum steigerte sich das Handelsvolumen sogar um beachtliche 7 Prozent.
Handelsbeziehungen mit dem „Schlächter von Teheran“
Bezeichnenderweise ging der Ausbau der deutsch-iranischen Handelsbeziehungen 2021 mit der Wahl von Ebrahim Raisi zum iranischen Präsidenten einher. Unter Raisi, der selbst für iranische Verhältnisse als ultra-konservativ gilt, hat die Todesstrafe nach Berichten von Amnesty International (AI) inzwischen schreckliche Ausmaße erreicht. Die Hinrichtungsrate im Iran gehört zu den höchsten der Welt. Laut AI wird die Todesstrafe gezielt als „Waffe der Repression“ gegen Oppositionelle eingesetzt.
Schon vor seiner Präsidentschaft sorgte Raisi als Staatsanwalt dafür, dass hunderte Demonstranten auf offener Straße gehängt wurden. Insgesamt wird der Präsident für mehr als 5.000 Todesurteile gegen Regimegegner mitverantwortlich gemacht, was ihm auch den Beinamen „Schlächter von Teheran“ einbrachte. Sonderberichterstatter der UN bezichtigen ihn der Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Auch bei seinem Innenminister, Ahmad Vahidi, klebt mutmaßlich viel Blut an den Händen. Er wird per internationalen Haftbefehl durch Interpol gesucht. Denn ihm wird vorgeworfen, 1994 als ehemaliger Kommandeur der Al-Quds-Einheit Drahtzieher des Anschlags auf ein jüdisches Gemeindezentrum in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires gewesen zu sein. Dem Anschlag fielen 85 Menschen zum Opfer.
Iran visiert auch jüdische Ziele in Deutschland an
Wie kaum ein anderes Regime, geht die Islamische Republik auch im Ausland gegen Oppositionelle vor. Das Iran-Dokumentationszentrum für Menschenrechte dokumentierte zwischen 1979 und 2011 mehr als 160 Morde an iranischen Oppositionellen im Ausland. Davon bleiben Deutschland und Europa nicht verschont. Im September 1992 stürmten iranische Agenten ein griechisches Restaurant in Berlin und erschossen vier kurdische Exilpolitiker. 2017 wurde ein in Deutschland lebender Pakistaner wegen Spionage zu über vier Jahren Haft verurteilt. Er spähte den früheren Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, als potenzielles Anschlagsziel aus.
Im darauf folgenden Jahr wurde bekannt, dass eine Vielzahl von jüdischen und israelischen Einrichtungen in der Bundesrepublik von iranischen Agenten ausspioniert wurde. Laut Staatsschutz sind solche Spionage-Aktivitäten „vorbereitende Maßnahmen“, für den Fall, dass es zwischen dem Iran und dem Westen zu einer Eskalation kommt. Aktivitäten solcher Art fanden im Auftrag der „Quds-Einheit“, einer Elitetruppe der iranischen Revolutionsgarden (IRGC), statt.
Wirtschaft und Politik eng verzahnt
Eben jene Revolutionsgarden sind es, die für die Aufrechterhaltung des Regimes eine Schlüsselrolle spielen. Sie unterstehen nur dem obersten Revolutionswächter Ali Chamenei, dem mächtigsten Mann Irans. Wegen deren langer Liste an Unterstützung von Terror-Aktivitäten im Ausland stuften die Vereinigten Staaten sie im April 2019 als terroristische Vereinigung ein. Im Inland agieren sie als „Staat im Staate“. Im Kabinett des früheren Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad waren 13 der 21 Ministerposten mit ehemaligen Kommandanten der Revolutionsgarden besetzt.
Auch wirtschaftlich sind die IRGC auf fast allen Gebieten aktiv und gelten als der größte Unternehmer des Landes. Sie unterliegen keiner Steuerpflicht und erhalten ohne Formalitäten Zuschläge für große Infrastrukturprojekte wie den Bau von Öl- und Gas-Anlagen, Straßen, Flughäfen, Pipelines und vielem mehr. Was im Iran nicht gänzlich im Besitz der Revolutionsgarden ist, wird auf die ein oder andere Weise von diesen kontrolliert. Dazu gehört auch der Kommunikations- und Mediensektor.
Der Kreis schließt sich
Die Revolutionsgarden und die ihnen unterstehenden Basidsch-Millizen (Schläger-Trupps) sind es auch, die nebst Polizei aktuell massiv gegen demonstrierende Frauen vorgehen. Auf friedlich protestierende Menschen wird erbarmungslos eingeschlagen. Es wird inzwischen geschätzt, dass eine vierstellige Zahl von friedlichen Protestlern im Zuge der jüngsten Demonstrationen inhaftiert worden ist, darunter auch Journalistinnen und Journalisten. Nach Angaben von Menschenrechtlern sind inzwischen mehr als 130 Menschen in Folge des jüngsten massiven Gewalteinsatzes verstorben. Vorausgegangen war der Tod der 22 Jahre alten inhaftierten Iranerin Mahsa Amini.
Nun hatte die EU im August einen Kompromissvorschlag im Fall des iranischen Atomabkommens vorgelegt, bei dem ausgerechnet die US-Sanktionen gegen die Revolutionsgarden aufgeweicht werden sollten, wie Politico berichtete. Laut Vorschlag dürften Europäer und andere Nicht-Amerikaner Geschäfte mit (nicht unmittelbar sanktionierten) iranischen Unternehmen machen, welche in Geschäftsbeziehungen mit den Revolutionsgarden verwickelt sind.
Diese Einzelpersonen und Firmen müssten dann nicht wie bisher befürchten, dadurch von US-Sanktionen betroffen zu sein. Faktisch würde diese Regelung den Revolutionsgarden ermöglichen, die Sanktionen durch Stellvertreter und Strohfirmen leicht zu umgehen. Angesichts der extrem destruktiven Rolle der iranischen Revolutionsgarden und deren „Quds-Einheit“ stünde ein solch extrem großzügiger „Kompromiss“ unter keinem guten Stern.
Eigene Überzeugungen gehören auch in der Praxis vertreten
Jahrelang wollte Deutschland sich nicht in die inneren Belange des Irans einmischen. Dies liegt mitunter daran, dass es das Land als attraktiven Energielieferanten betrachtet. Damit ist es in der EU nicht allein. Doch wenn die Bundesrepublik ihre eigenen Überzeugungen ernst nehmen will, bedarf es auch hier einer Zeitenwende.
Sowohl die Bundesregierung als auch die EU sollten sich dessen bewusst werden, dass im Iran ein totalitäres und menschenverachtendes Regime herrscht, das seine eigenen Bürgerinnen und Bürger entrechtet, entführt und ermordet. Das Regime versteht sich explizit als Gegner demokratischer Staatsformen und bringt dies durch Gewaltexzesse tagtäglich zum Ausdruck. Die massive Unterdrückung der eigenen Bevölkerung darf nicht länger ohne Konsequenzen hingenommen werden. Wollen sich Deutschland und Europa an den eigenen Maßstäben messen, so müssen sie dem Iran bei den Menschenrechtsverletzungen ganz klare Grenzen aufzeigen.
Da Wirtschaft und Politik der Islamischen Republik sehr eng miteinander verflochten sind, können diese Sphären nicht separat betrachtet werden und gehören beide sanktioniert. Anstatt von den USA zu verlangen, ihre Sanktionen gegen die Revolutionsgarden fallen zu lassen, sollte die EU eigene Maßnahmen verhängen. Es gäbe eine ganze Reihe an Möglichkeiten, wie Deutschland zusätzlich Druck auf das iranische Regime ausüben könnte, damit dieses seine massiven Menschenrechtsverletzungen einstellt.
Dazu könnte das Einfrieren von Vermögenswerten, die Reduktion des deutsch-iranischen Handels sowie Maßnahmen gegen das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) gehören, welches der Iran nutzt, um seinen Einfluss in Deutschland auszubauen. Auch Reisebeschränkungen für Vertreter der Islamischen Republik in Deutschland und Europa wären denkbar. Hier bedarf es einer engen Abstimmung mit den europäischen Partnern. Darüber hinaus sollte Deutschland die demokratische Opposition und die Freiheitsbewegungen im Iran nach Kräften unterstützen.
Ob beim Thema Menschenrechte, Wirtschaftsfragen oder den Verhandlungen um das iranische Atomprogramm: Man darf sich nicht länger weiteren Illusionen hingeben. Dem iranischen Regime kann nur mit Stärke begegnet werden. Es ist Zeit, zu handeln.
18 Antworten
Liebe Redaktion, danke für die umfassenden Informationen über den Iran. Bitte schicken Sie diesen Artikel auch zum Bundeskanzler und zur Außenministerin. Wenn möglich auch zum Wirtschaftsminister. >DANKE<
Beim Anblick des Fotos….mehr Lüge geht nicht!
Nie könnte ich Achtung haben vor so einem Bundespräsidenten, ehem. Außenminister.
So deute ich an unseren Gedenktagen das Nie mehr.
OT
ZU 40 JAHRE REVOLUTIONEN GRATULIERTE ER IM NAMEN DES DEUTSCHEN VOLKES.
Unfassbar!
Was sagt er zu den Toten z.Zt. im Iran?
Was zu den toten Studenten damals?
Herzlichen Glückwunsch, Mullahs???
„Kann dieses Regime unser Handelspartner sein?“ Diese Frage muß man sich in Deutschland nicht nur beim Iran stellen, sondern auch bezüglich Israel, dessen Politik in weiten Bereichen völkerrechtswidrig ist.
@H.Luley – Schockierend ist immer wieder die „Plus-Punkte-Anhaeufung“ hinsichtl.
Ihrer, nicht „isrl.-kritischen“, sondern „Isrl.-feindlichen“ Beitragsform! – Dies spricht aber
auch leider fuer einen erbaermlichen Querschnitt unseres dahingehenden bundesdeutschen
Gesellschafts-Denkens!! –
Schreiben Sie doch endlich mal was ueber die voelkerrechtswidrige Land-Besitznahme
der Araber, bezgl. eines Gebiets, welches ihnen seit Jahrtausenden noch nie gehoert hat!! –
BDS hat gesprochen.
Wirtschaftliche Vernichtung Israels an erster Stelle dieses antisemitischen Vereins.
Ach muss das weh tun, dass wir Juden sehr fleißig sind…und auch noch Erfinder und intelligent.
BDS daher scheint im Hass dümmlich zu sein. Nennt sich das apartisches Verhalten?
Maria,
ganz mit links schöpfst Du einen neues, bis dato ungebräuchliches Wort.
„Apartisch“, nein, nicht apathisch, sondern wohl ein den Regeln und Denkmustern
der Apartheid entsprechendes Verhalten oder Denken.
In der Sache selbst teile ich die Ausführungen von Herrn Itkis, aber auch der Kommentatoren weitgehend. Abgesehen von Herr L., der als Wurzel allen Übels reflexartig Jerusalem, sorry Tel Aviv ausgemacht hat.
Sorry, sorry….
Da zu kann ich Herrn Luley nur eine Antwort geben: Wenn es gegen den Iran geht gibt es nur eine Antwort NEIN. Wenn es um Israel geht JA
Luley, völkerrechtwidrig ist nicht die Politik Israels, sondern die mehrheitliche Haltung israelfeindlicher Staaten in der UN-Generalversammlung und der meisten UN-Unterorganisationen, insbesondere der UNWRA. Und besonders peinlich ist, daß die Bundesregierung den israelfeindlichen Beschlüssen dieser Unterorganisationen und Gremien nicht entgegentritt.
Auf eine wertorientierte, feministische Außenpolitik können wir bei Frau Baerbock bis Pflaumenpfingsten warten. Denn sie hat sich nicht entblödet zu behaupten, der Klerikalfaschismus der Mullahs, insbesondere der Verschleierungszwang als Kernstück des Scharia-Islam habe nichts mit der Religion Islam zu tun. Damit erübrigt sich die weitere Befassung mit den Zielen ihrer Außenpolitik. Es bleibt außerdem dabei, daß die Grünen weiterhin den politischen Islam in Deutschland fördern. Keine Basis für die Unterstützung der iranischen Frauen in ihrem Kampf um Freiheit.
Sehe das exakt genauso. Danke für die zutreffenden Worte.
Anmerkung: Steinmeier hat auf gar keinen Fall dem toxischen Regime in Teheran in meinem Namen gratuliert. Das verbitte ich mir aufs Schärfste.
„Kann dieses Regime unser Handelspartner sein?“
Kurze Antwort: NEIN!
@ JK
Aber Handelsbeziehungen Israels mit dem ach so demokratischen Saudi-Arabien, dem man zur besseren Bekämpfung kritischer Journalisten die Überwachungssoftware Pegasus verkauft hat, sind ok, oder? Haben Sie schon mal was von Heuchelei und doppelten Standards gehört?
@ Bjoern
Aber Saudi-Arabien ist kein Staat, der sich die Vernichtung Israels auf die Fahne schreibt, im Gegensatz zum Iran. Das hat mit Doppelmoral nichts zu tun.
@ JK
Das war wohl der Grund, weshalb Israel mit dem Apartheidsstaat Südafrika und bis zu dessen Sturz mit dem Shahregime im Iran in den 70er und 80er Jahren vor allem auf militärischem Gebiet so eng und „freundschaftlich“ zusammengearbeitet hat? Sie haben Recht: Israel hat keine Doppelmoral. Es hat, was Waffengeschäfte angeht, KEINE Moral! Man braucht sich nur die Liste der diktatorisch regierten Länder ansehen, an die Israel die Spionage-Software Pegasus verkauft hat, mit der unliebsame Journalisten und Politiker kontrolliert werden.
Die Frage kann doch nur rhetorisch gemeint sein. Denn dass von der deutschen Regierung nichts erwartet werden kann angesichts Kriegshetze, Vertragsbrüche, Antisemitismus und des immer offenkundiger zutage tretenden Größenwahns dürfte doch wohl klar sein.
Arnold,
ich habe Dich mental deutlich dynamischer in Erinnerung,
als mit flächendeckenden Gejammer über deutsche
„Kriegshetze, Vertragsbrüche, Antisemitismus u. des immer
offenkundiger zutage tretenden Grössenwahns“.
Ich fühle mich als allerletzter Verteidiger von Olaf, Karl,
Christine und anderen Fehlbesetzungen.
Nur: WAS wolltest Du jetzt eigentlich mitteilen?
Hi Eddie,
eigentlich wollte ich dem Verfasser dieses Artikels hier nur mitteilen, dass seine aufgeworfenen Fragen bei den Headlines müßig bei dieser deutschen Regierung sind, da sie sich offensichtlich selbst beantworten.
Schönen Gruß Dir