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Konkurrenzlos teuer

Das Leben in Israel ist teuer. Immer wieder kommt es daher zu Protesten. Getan hat sich bislang wenig. Doch neue Konkurrenz könnte die Lage verbessern.
Von Daniel Frick
Hüttenkäse in Israel

Zu den erstaunlichen Aspekten an Israel zählt der Umstand, dass seine Bewohner trotz ständiger Bedrohung zu den glücklichsten Menschen der Welt gehören. Seit dem Jahr 2012 veröffentlichen die Vereinten Nationen einen „Glücksbericht“, und in diesem Jahr erzielte der jüdische Staat mit Rang 9 seine bislang beste Platzierung. Auf den oberen Plätzen finden sich größtenteils Nordeuropäer wie die Schweden oder Finnen; die russische Bedrohung spielte im Betrachtungszeitraum allerdings noch keine Rolle.

Bedrohung und Terrorgefahr scheinen das Glücksgefühl der Israelis also zumindest in der Breite nicht zu trüben – ebenso wenig wie die hohen Lebenshaltungskosten. Diese sind ein altes israelisches Problem, und es hat sich aufgrund der jüngsten globalen Entwicklungen verschärft. Jerusalem und Tel Aviv tauchen regelmäßig in Listen der teuersten Städte auf. Im Dezember erklärte das renommierte britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ Tel Aviv sogar zur teuersten Stadt der Welt. Doch auch im gesamten Land ist es kostspielig, den Alltag zu bestreiten, das heißt Alltagsdinge zu kaufen oder für Wohnraum zu zahlen.

Mit den Preisen sprießen auch die skurrilen Ideen bei der Suche nach Lösungen. Schon jetzt leben einige auf kleinen Booten in den Jachthäfen des Landes, wie etwa in Tel Aviv. Dahinter steckt zwar auch eine gewisse Lebenseinstellung – manche folgen auf diese Weise dem Ruf nach Freiheit und Schlichtheit. Doch auch die geringen Wohnkosten spielen eine Rolle: Ein kleines Boot zu kaufen und die Monatsmiete für einen Anlegeplatz zu zahlen ist immer noch billiger als eine Wohnung in vergleichbarer Größe.

Symbolträchtige Zelte

Für die Masse ist das natürlich keine Lösung – und aus diesem Grund taucht seit Kurzem eine altbekannte Protestform wieder auf: Mitten in Tel Aviv oder anderen Städten wie Be’er Scheva errichten junge Menschen Zelte und leben darin. Das erinnert an die historischen Sozialproteste vor elf Jahren: Im Juli 2011 hatte die damals 25-jährige Filmkünstlerin Daphni Lif ein Zelt auf dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv aus Protest gegen hohe Mietpreise aufgebaut. Viele folgten ihr und errichteten ebenfalls ihre Zelte im Zentrum der Stadt.

Aus heutiger Sicht lässt sich sagen: Genützt hat es nichts. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Preise für Immobilien verdoppelt. Eine Vier-Zimmer-Wohnung kostete 2011 nach damaligem Umrechnungswert rund 299.000 Euro, heute sind es 605.000 Euro. Das zeigt eine Studie der Universität Tel Aviv, die regelmäßig die Kosten in zwölf Städten untersucht. Da die Gehälter in diesem Zeitraum damit nicht schrittgehalten haben, bleibt der Erwerb von Wohnungseigentum selbst für Gutverdiener oft ein Ding der Unmöglichkeit, vor allem im begehrten Landeszentrum.

Ein Mangel an Angebot

Nun sind gestiegene Immobilienpreise kein speziell israelisches Phänomen, sondern auch in anderen Weltgegenden bekannt. Und wie fast überall ist der Grund leicht auf den Punkt zu bringen: Die Nachfrage übersteigt das Angebot. In Israel wird seit 20 Jahren zu wenig gebaut, während die Bevölkerung stetig wächst. Das Defizit beziffert der Ökonom Zvi Eckstein von der in Herzlia ansässigen Reichman-Universität auf 100.000 Wohnungen pro Jahr.

Erst bei der Frage nach den Ursachen für den Mangel stoßen Experten auf besondere israelische Gegebenheiten. Immer wieder fällt der Blick auf die Israelische Landbehörde und deren Monopolstellung: Es liegt allein in ihren Händen, Land für den Bau freizugeben. Wie in anderen Ländern neigt auch in Israel der Betrieb in den Amtsstuben zu Behäbigkeit. In diesem Fall führt das dazu, dass es hier zweimal so lange dauert, eine Wohnung zu bauen, wie etwa in den USA oder Großbritannien, sagt das Statistikamt.

Unterschiede in der Kaufkraft

Laut dem Ungleichheitsbericht 2021 gehört Israel zu den Ländern mit gut bezahlten Arbeitsplätzen, weist zugleich aber auch mit die höchsten Einkommensunterschiede auf. Im Schnitt verdienen Israelis umgerechnet 43.100 Euro im Jahr, die unteren 50 Prozent der Bevölkerung erhalten 11.200 Euro im Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland liegt das Durchschnittseinkommen bei 39.900 Euro, die unteren 50 Prozent verdienen 15.200 Euro. Die Werte sind nicht einfach anhand der Wechselkurse berechnet, sondern preisen auch die Kaufkraft im jeweiligen Land ein (Kaufkraftparität).

Hinzu kommen weitere Faktoren: Ein Mangel an Infrastruktur wie Straßenanbindungen oder Abwasserkanäle. Das hat zur Folge, dass Kommunen potenzielle Zonen für Wohnraum gar nicht freigeben. Zudem finden Immobilien vermehrt als Investition Verwendung und nicht für die Eigennutzung – verbunden mit dem Drang, durch Mieten aus dem Objekt Kapital zu schlagen. Im Jahr 2008 lag der Anteil von Haushalten, die mehr als eine Wohnung besaßen, bei 2 Prozent; gegenwärtig sind es 10,5 Prozent. Die niedrigen Zinsen der vergangenen Jahre haben diesen Trend gefördert.

Immerhin: Die inzwischen abgetretene Regierung hat Mitte Juni einen umfassenden Plan vorgestellt, um das Problem zu lindern. So soll sich in den kommenden vier Jahren die Neubaurate von 63.000 auf 75.000 Wohneinheiten pro Jahr erhöhen. Ein Mittel dazu ist, mehr Bauarbeiter ins Land zu holen, etwa Marokkaner. Auch Palästinenser sollen zu diesem Zweck verstärkt Arbeitsgenehmigungen erhalten. Die Bürokratie für die Planung und Ausschreibung soll durch zusätzliches Personal schneller werden. Hinzu kommen Investitionen von umgerechnet 3,7 Milliarden Euro in die Infrastruktur, Schulen und Kindergärten.

Punktuelle Proteste

Doch nicht nur die Preise für Wohnraum machen vielen Israelis zu schaffen, sondern auch die Alltagskosten, ob Lebensmittel, Pflegeprodukte oder Elektrogeräte. Laut dem britischen Finanzmagazin „Money“ liegt Israel bei den Kosten für Lebensmittel in einem Vergleich von 35 Ländern auf Platz 5 direkt vor der Schweiz. Die im Februar erstellte Rangfolge bewertet dabei die Kosten im Verhältnis zum Einkommen. Österreich liegt hierbei im Mittelfeld auf Platz 18, Deutschland gehört zu den billigsten Ländern und lag auf Rang 33; die Zahlen stammen allerdings aus der Zeit vor dem Ukrainekrieg und dem Anstieg der Inflation.

Interessanterweise sind auch die Lebensmittelkosten ein altbekanntes Problem in Israel. Fast zeitgleich mit den Protesten gegen die Immobilienpreise im Jahr 2011 kam der so genannte „Hüttenkäse-­Protest“ auf. In den drei Jahren zuvor hatte es einen Preisanstieg von 45 Prozent gegeben, da der Staat seit dem Jahr 2006 darauf verzichtet hatte, die Preise für das beliebte Produkt festzulegen. Der Ultra-Orthodoxe Itzik Elrov machte im Juni 2011 auf Facebook seinem Unmut über die teure Kost Luft und traf einen Nerv. Er fand Zehntausende Anhänger, als er zu einem Boykott des Hüttenkäses aufrief. Da sich dieses Lebensmittel nicht lange lagern lässt, sah sich der Hersteller Tnuva gezwungen, die Preise zu senken.

Eine Stichprobe von Alltagspreisen Anfang Juli in einem Supermarkt im Südwesten Jerusalems. Im Juni hatte es in Israel eine Inflationsrate von 4,4 Prozent gegeben, der höchste Wert seit November 2008.

Allerdings hatten diese Proteste allenfalls einen punktuellen Erfolg; andere Lebensmittel blieben teuer. Im Jahr 2014 prangerten die Israelis teuren Pudding an, als sie feststellten, dass das gleiche Produkt in Deutschland deutlich günstiger zu haben ist. Und erst zu Beginn dieses Jahres kam es zu einem weiteren Protest: Der Lebensmittelhersteller Osam hatte im Dezember angekündigt, die Preise für seine Produkte anzuheben. Er begründete dies mit den höheren Herstellungskosten, von denen alle Welt betroffen war.

Doch für viele Israelis war das Maß offenkundig schon vorher voll. Der Journalist Guy Lerer vom Fernsehsender „Kanal 13“ war einer der Initiatoren des jüngsten Protestes. Sein Aufruf: „Hört auf, Nudeln von Osam zu kaufen. Ganz einfach. Kauft billigere Nudeln.“ In einem Post auf Facebook präsentierte er Alternativ­marken, die schon vor der angekündigten Preissteigerung um die Hälfte billiger waren. Gewirkt hat es: Im Februar verkündete Osam, es werde auf die Preissteigerungen verzichten.

Foto: Israelnetz/mh
Anfang des Jahres ging ein Aufruf durch Israel, beim Einkauf auch mal billigere Nudelmarken zu wählen

Genau diese Verhaltensweise, das Ausweichen auf Alternativen, empfiehlt auch der Ökonom Alex Coman von der Universität Tel Aviv. Aus seiner Sicht sind die Israelis beim Einkauf zu behäbig: Während Amerikaner gerne mal einen weiteren Weg in Kauf nehmen, um ein Produkt billiger zu bekommen, sind Israelis nicht einmal dazu zu bewegen, im Supermarkt nicht nach dem Markenprodukt zu greifen. „Seid wütend und gebt euch die Mühe“, rät Coman.

Allerdings ist es nicht immer möglich, auf ein billigeres Produkt auszuweichen – weil die Alternative fehlt. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Da ist zum einen die Marktmacht einiger weniger Unternehmen, die oft auch Exklusivrechte für angesagte Marken wie Nivea oder Gillette haben. Kleinere oder mittlere Hersteller haben Probleme, überhaupt ins Angebot eines Supermarkts zu kommen. Und während etwa in Deutschland viele Supermärkte mit Eigenmarken aufwarten, bieten israelische Ketten nur die teureren Markenprodukte an.

Ein weiteres Hemmnis für den Wettbewerb sind Sonderregelungen für Importe. Kontrollmechanismen verteuern die Einfuhren und sind damit keine Konkurrenz für heimische Produkte. Die Regierung Bennett/Lapid hat auch hier Maßnahmen ergriffen, die längst überfällig scheinen. Kurz nach ihrem Antritt im Juni 2021 kündigten Finanzminister Avigdor Lieberman (Israel Beiteinu) und Wirtschaftsministerin Orna Barbivai (Jesch Atid) an, die Anforderungsliste für eine Reihe von Produkten aus den entwickelten Ländern zu übernehmen. „Ein Fahrrad, das gut genug ist für Amsterdam, ist auch gut genug für Tel Aviv“, meinte Lieberman. Die Erleichterungen, seit Juni in Kraft, betreffen neben Fahrrädern auch andere Dinge wie Kinderwagen, Spielzeug, Brillen, Geschirrmaschinen oder Waschmaschinen.

Frischer Wind durch Konkurrenz

Diese Maßnahmen im Bereich Wohnen und Alltagspreise zeigen, dass die Regierung glaubhaft daran interessiert war, den Kostendruck für die Israelis zu lindern. Vielleicht zielte deshalb Oppositionsführer Benjamin Netanjahu (Likud) in den ersten Tagen des Wahlkampfes für die nächste Knesset ebenfalls darauf ab: In Einkaufzentren mischte er sich unters Volk und versprach, die gestiegenen Lebensmittel- und Benzinpreise zu senken – natürlich nur, wenn er wieder Premier wird.

Doch dass die Alltagskosten das große Thema des Wahlkampfs werden, ist nicht ausgemacht. Guy Lerer sah sich jedenfalls dazu veranlasst, den Israelis den Wert des Protestes vor Augen zu führen. Am 19. Juni schrieb er auf Facebook: „Unser größter Feind ist nicht die Gleichgültigkeit des Staates oder der Monopolisten. Der größte Feind sind wir selbst, unsere Verzweiflung und Faulheit.“ Dennoch fanden sich bei einer Kundgebung gegen hohe Preise Anfang Juli nur etwa 2.500 Menschen auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv ein. Die monatelangen Proteste gegen den damaligen Premier Netanjahu im Zusammenhang mit den Korruptionsvorwürfen bis Mitte Juni 2021 hatten ein erheblich größeres Momentum.

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Vielleicht ist Protest auch gar nicht mehr nötig. Die Regierung verbreitete zuletzt jedenfalls Hoffnung auf Besserung durch mehr Konkurrenz: Die französische Supermarktkette Carrefour will in Israel 150 Filialen eröffnen und dabei eigene Marken mitbringen. Die niederländische Kette Spar plant ebenfalls den Einstieg in den israelischen Markt. Ende Juli sagte Übergangspremier Jair Lapid (Jesch Atid), dies werde zu einem „erheblichen Rückgang“ der Preise führen – die heimischen Anbieter mit ihren „unverantwortlichen Preissteigerungen“ seien gewarnt. Und auch für den Wohnraum sieht die Regierung Besserung im Anmarsch: Lieberman rechnet mit einer Preissenkung schon Ende dieses Jahres, nicht zuletzt weil die Notenbank den Leitzins wieder anhebt.

Auch wenn die hohen Preise den meisten Israelis zu schaffen machen – für das Glücksgefühl sind offenkundig auch andere Faktoren relevant. Experten nennen für Israel starke soziale Bindungen durch Familie und Freunde, aber auch generellen Optimismus und Stolz auf die Errungenschaften des Landes. Wenn dann noch die erhofften Preissenkungen hinzukommen, steht dem Sturm auf die Höhe des Glücksgefühls weit weniger im Weg als bislang.

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Eine Antwort

  1. Erfahrungsgemäß kann ich sagen, die Carrefour-Hausprodukte sind Markenprodukten absolut gleichwertig, in einigen Fällen (Tiefkühlgemüse, Eis, etliche Süßwaren) sogar besser.
    Ich hoffe, dass die Filialen in Israel gut angenommen werden.

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