JERUSALEM (inn) – Israel beendet seine Programme für Medizinstudenten aus dem Ausland. Grund dafür ist ein Ärztemangel im eigenen Land. Dieser rührt unter anderem daher, dass Israelis in Europa studieren und nach dem Abschluss dort bleiben. Die Entscheidung der Regierung betrifft vor allem Interessenten aus den USA und Kanada.
Bislang gibt es an drei israelischen Fakultäten ein Medizinstudium für Ausländer in englischer Sprache. Sie gehören zur Universität Tel Aviv, der Ben-Gurion-Universität in Be’er Scheva und dem Technion in Haifa. Doch damit ist ab dem kommenden Jahr Schluss. Der Rat für höhere Bildung (CHE) sowie die Ministerien für Gesundheit und Finanzen bestätigten eine entsprechende Entscheidung am Montag, wie die Zeitung „Jerusalem Post“ erfahren hat.
Der geschäftsführende Dekan der Universität Tel Aviv (TAU), Stephen Lasar, hat deshalb einen Brief an alle ausländischen Medizinstudenten geschrieben. Darin heißt es: „Mit tiefstem Bedauern muss ich Sie darüber informieren, dass die israelische Regierung alle ausländischen Programme für Medizin, einschließlich amerikanischer Programme, angewiesen hat, die Annahme neuer Studenten einzustellen.“
Weiter schrieb Lasar, die politische Entscheidung solle die Verfügbarkeit der Studienplätze an medizinischen Fakultäten für die hebräischen Programme erhöhen, damit viele israelische Studenten für ihre Ausbildung nicht ins Ausland gehen müssten. Bereits eingeschriebene Studenten, die diese Woche anfangen, erhielten die Erlaubnis, ihr Medizinstudium zu beenden. Sie werden das vierjährige Programm im Jahr 2026 abschließen.
Verständnis in Be’er Scheva
An der Ben-Gurion-Universistät (BGU) herrscht Verständnis für die Entscheidung vor. Präsident Daniel Chamovitz sagte der „Jerusalem Post“ telefonisch: „Es gab keine Wahl. Wir brauchen es, dass mehr Israelis hier Medizin studieren. Die BGU wird das New Yorker Büro schließen, wo Ausländer die Zulassung für Be’er Scheva beantragten.“ Doch die Medizinische Fakultät werde ihre englischen Kurse beibehalten, „um Einwanderern und zurückkehrenden Israelis zu helfen, die lieber in dieser Sprache studieren“.
Nach Angaben von Chamovitz hat die BGU den Bildungsrat vor drei Jahren gebeten, Israelis ins internationale Programm aufnehmen zu dürfen. Dies sei zweimal abgelehnt werden.
Rivka Carmi war in der Vergangenheit sowohl BGU-Präsidentin als auch Dekanin der Medizinischen Fakultät. Sie verwies gegenüber der „Jerusalem Post“ auf den Mangel an Ärzten, an Krankenhäusern und an Dozenten für klinischen Unterricht. In den vergangenen 40 Jahren sei in Israel eine einzige Klinik neu gebaut worden: das 2017 errichtete Assuta-Universitätskrankenhaus in Aschdod mit 300 Betten. Die Entscheidung der Ministerien sei richtig – das sage sie mit schwerem Herzen.
Die Empfehlung, die internationalen Programme einzustellen, kam bereits 2018 vom CHE. Denn in Israel stehen jährlich nur 900 Studienplätze für Einheimische zur Verfügung. Deshalb studieren viele Israelis in europäischen Ländern wie Deutschland, Italien, die Niederlande, Rumänien, Tschechien oder Ungarn. Araber hingegen orientieren sich meist nach Jordanien und in andere Länder der Region.
Mehr Neuzulassungen im Ausland als in Israel
Im Jahr 2021 erhielten 979 Israelis im Ausland nach dem Medizinstudium ihre Zulassung. In Israel waren es 770 Absolventen, schreibt die Verteilzeitung „Israel Hajom“.
Die Hälfte der israelischen Ärzte ist älter als 55. Tausende in den 1990er Jahren eingewanderte Mediziner aus der ehemaligen Sowjetunion befinden sich kurz vor dem Ruhestand.
Wer Medizin studieren möchte, muss auch in Israel große Hürden überwinden. Etwa 71 Prozent der Kandidaten werden angenommen. Da die meisten Studenten ohne Bachelor-Abschluss von der Armee kommen, müssen sie sieben Jahre studieren. Viele spezialisieren sich anschließend noch.
Unattraktive Arbeitsbedingungen
Auch der Beruf selbst ist in Israel nicht lukrativ. Die frühere BGU-Präsidentin Carmi macht dafür unter anderem lange Schichten im Krankenhaus und geringe Löhne verantwortlich. Die Mitarbeiter der Fakultät verfolgten die Lebenswege der Absolventen nicht. Doch einige Mediziner wechselten in andere Arbeitsfelder wie Informatik oder Pharmaindustrie.
Eine Reform des Gesundheitsministeriums wiederum erschwert den beruflichen Weg von Israelis, die im Ausland Medizin studieren – und dürfte den Ärztemangel noch vergrößern. Denn sie hebt die Anerkennung des Abschlusses aus mehreren Staaten auf, vor allem in Osteuropa. Dort gibt es derzeit eine hohe Konzentration israelischer Studenten. Die Anzahl der neuen Zulassungen werde ab 2025 erheblich sinken, vermutet „Israel Hajom“.
Ausländische Studenten als „Botschafter Israels“
Auf die neue Entscheidung der Regierung reagieren ausländische Absolventen erwartungsgemäß unzufrieden. Die „Jerusalem Post“ zitiert den Amerikaner Douglas Finch: „Ich bin stolzer Absolvent des Amerikanischen Medizinischen Programmes der Universität Tel Aviv von 1994 und bin jetzt Chef für Infektionskrankheiten am Ellis-Krankenhaus in Schenectady in New York. Die israelische Entscheidung ist ein Fehler, weil Medizin-Absolventen in den USA Botschafter für Israel sind und einen großen Beitrag für die Gesellschaft im Allgemeinen leisten.“
Der geschäftsführende TAU-Dekan Lasar äußerte sich ähnlich: „Unsere Absolventen waren Botschafter für Israel, und sie stellen die Exzellenz der medizinischen Ausbildung an israelischen Einrichtungen unter Beweis. Erfolgreiche Zusammenarbeit von medizinischen Einrichtungen in den USA, Kanada und Israel wurde bei dieser politischen Aktion nicht berücksichtigt.“
Minister: „Große und dramatische Errungenschaft“
Gesundheitsminister Nitzan Horowitz (Meretz) war hingegen des Lobes voll. Auf Twitter sprach er von einer „großen und dramatischen Errungenschaft für unseren Prozess, die Zahl der Medizinstudenten in Israel zu erhöhen“. Ab dem kommenden Jahr würden anstelle der amerikanischen Studenten, die nach dem Abschluss wieder weggingen, israelische Studenten an den Medizinischen Fakultäten aufgenommen. „Wir brauchen Ärzte, und statt dass israelische Studenten ein Vermögen für ein Medizinstudium im Ausland ausgeben, werden sie hier studieren, zu Hause.“
Bildungsministerin Jifat Schascha-Biton (Neue Hoffnung) sieht in der Maßnahme eine Antwort auf den zunehmenden Bedarf des Staates Israel. Sie ergänzte: „Es handelt sich um eine nationale Mission.“ (eh)
Eine Antwort
Grundsätzlich eine dramatische aber richtige Entscheidung des Staates Israel, Schaden vom Volk abzuwenden. Aber je nach persönlicher Vermögenslage werden einige dann doch ins Ausland gehen und gute Botschafter sein können, womit wir wieder beim Geld sind: Der Staat Israel sollte tatsächlich den Medizinstudenten nach ihrem Abschluss auch höhere Gehälter in Aussicht stellen, dann wär die Entscheidung trotz Dramatik für alle annehmbar.