JERUSALEM (inn) – Richter George Karra ist am Sonntag im Alter von 70 Jahren in den Ruhestand getreten. Er beendet seine juristische Karriere, nachdem er fünf Jahre lang Richter am Obersten Gericht in Jerusalem war. Er selbst bezeichnet die vergangenen Jahre als Zeit zunehmender Polarisierung innerhalb der israelischen Gesellschaft. „Das war keine leichte Zeit für mich“, sagte der Vertreter der arabischen Minderheit bei seiner Abschiedszeremonie.
Werdegang mit wirkmächtigem Urteil
Karra wurde in Jaffa in eine arabisch-christliche Familie hineingeboren. 1973 schloss er sein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Tel Aviv ab. Danach eröffnete er eine private Anwaltskanzlei. 1989 wurde er zum Richter am Bezirksgericht von Tel Aviv ernannt. Dort stieg er weiter auf, bis er 2017 an den Obersten Gerichtshof berufen wurde.
Während seiner Amtszeit in Tel Aviv war er 2011 maßgeblich an der Verurteilung des ehemaligen israelischen Staatsoberhauptes Mosche Katzav beteiligt. Dieser erhielt unter anderem wegen Vergewaltigung eine siebenjährige Haftstrafe. Ein weiterer arabischer Christ, Salim Dschubran, damals Richter am Obersten Gerichtshof, lehnte den Einspruch des Präsidenten ab und ließ damit das Urteil rechtskräftig werden.
Der Strafprozess, in dem arabische Richter einen jüdischen Präsidenten verurteilten, ist bis heute ein herausragendes Beispiel israelischer Demokratie.
„Wie eine ansteckende Krankheit“
Die grassierende Gewalt in Israel, besonders in der arabischen Gesellschaft und in gemischten Städten, verglich Karra mit einer „Krankheit, die sich im Körper eines Menschen einnistet“. Als kurzfristige Maßnahme fordert er eine konsequentere Strafverfolgung und Abschreckung. Langfristig allerdings müsse Israel „in Bildung und Toleranz, Dialog und Gewaltlosigkeit investieren“.
Gleichzeitig sollten bürokratische Hürden abgebaut werden. Wenn alle Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiteten, sagte Karra, sei der Staat Israel sicher in der Lage, die „Kriminalitätspandemie auszurotten“, wie es ihm auch mit dem Coronavirus gelungen sei.
„Quoten-Araber“
Einer der 15 Sitze für Richter am Obersten Gerichtshof ist für Araber reserviert. Nach Meinung des Israelischen Demokratie-Institutes, eines unabhängigen Forschungsinstitutes zur israelischen Demokratie, ist das viel zu wenig. Denn es spiegele nicht die tatsächlichen Verhältnisse in der Gesellschaft wider. Auch Frauen seien unterrepräsentiert.
Die gerechtere Verteilung müsse bei den unteren gerichtlichen Instanzen beginnen. Dort seien im Jahr 2019 8,4 Prozent aller Richter israelische Araber gewesen. Es ständen aber genügend qualifizierte arabische Juristen zur Verfügung, um diesen Prozentsatz zu erhöhen. Das Institut stellt fest, dass „die Perspektiven der arabischen Minderheit zu zentralen Verfassungs- und Rechtsfragen sich von denen der jüdischen Mehrheit“ unterschieden.
Gleiches Recht, unterschiedliches Rechtsempfinden
Beispielsweise teilt Karra mit vielen anderen arabischen Juristen die Auffassung, dass die israelische Praxis der Häuserzerstörungen von Terroristen nicht gerechtfertigt sei. Denn die Maßnahme betreffe deren unschuldige Familien und gleiche damit einer Kollektivstrafe.
Während seiner Nominierungszeremonie zum Richter am Obersten Gericht 2017 sang Karra die israelische Nationalhymne nicht mit, da sie den arabischen Teil der Gesellschaft nicht mit abbilde.
Erster arabischer Muslim wird Nachfolger
Insgesamt vier Sitze am Obersten Gericht werden nun neu besetzt. Karras Nachfolge tritt Chaled Kabub an. Während seine Vorgänger allesamt christliche Araber waren, wird der 63-Jährige der erste ständige muslimische Richter am Gerichtshof sein. (cs)