Eigentlich sollen sie ein bisschen Friedensluft schnuppern: Vor 25 Jahren macht eine Gruppe von Schulmädchen im Alter um die 14 Jahre aus dem zentralisraelischen Beit Schemesch einen Ausflug nach Naharajim (deutsch: zwei Flüsse) im Norden des Landes, direkt an der Grenze zu Jordanien. Dort, wo Jarmuk und Jordan zusammentreffen, war 1994 ein besonderer Ort entstanden.
Israel und Jordanien hatten ein Friedensabkommen unterzeichnet. Für ein einen Quadratkilometer großes Gebiet an den beiden Flüssen erzielten sie eine außergewöhnliche Übereinkunft: Das Land ging an Jordanien; gleichzeitig erhielten jedoch israelische Bauern das Recht, ihre Äcker dort weiterhin zu nutzen.
Der Ort wurde auch zu einem Hotspot für zehntausende israelische Touristen: Hier konnten sie jordanisches Staatsgebiet betreten, ohne zuvor eine reguläre Einreiseerlaubnis beantragen zu müssen. Als der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) 1995 nach Naharajim kam, erklärte Jordaniens König Hussein ihm laut einem Bericht: „Kein Ort verdeutlicht besser, dass wir Frieden haben.“ Die Israelis tauften die Stelle „I HaSchalom“ – „Insel des Friedens“.
Die Lehrer mussten ihre Waffen abgeben
Die Schulgruppe trifft hier am späten Vormittag des 13. März 1997 ein; es ist der letzte von drei Ausflugstagen. Die „Friedensinsel“ steuern sie offenbar kurzfristig an, wie es nachher heißt. Ein Untersuchungsbericht wird feststellen, dass sie dies gar nicht hätten tun dürfen. Denn vor dem Grenzübertritt müssen die Lehrer entsprechend der Vereinbarung mit Jordanien ihre Waffen ablegen – ein fataler Vorgang.
„Der Tourguide hatte Zeit für einen Satz“, erzählt Lehrerin Jaffa Schukron einige Jahre später vor dem Bildungsausschuss der Knesset: „Auf der rechten Seite ist der Bahnhof Ruthenberg; auf der linken Seite die Golanhöhen. Schauen Sie genau hin!“ Dann fallen aus dem Rücken der Gruppe heraus Schüsse. Sie kommen von einem nahegelegenen Beobachtungsposten der Jordanier; ausgerechnet ein jordanischer Soldat, Achmad Dakamse, Mitte 20, ist die Quelle – „ein schlimmer Typ mit schlimmen Augen“, schildert eine Schülerin später ihren Eindruck.
Panik bricht aus. Zeitzeugen berichten im Nachhinein von schlimmen Szenen: „Gerade hatte ich die Schüler vor einer Böschung gewarnt“, erinnert sich Lehrerin Schukron 2001. „Nun stieß ich die Mädchen genau dort hinunter; es war die einzige Fluchtmöglichkeit.“ Die Schüler versuchen sich zu retten, verstecken sich im Gras und hinter Steinen, legen sich auf den Boden. „Es war wie im Krieg“, berichtet ein anderer Lehrer.
Für die Mädchen geht alles zu schnell. Der Soldat verschießt offenbar ein ganzes Magazin. Viele der Israelis werden getroffen. Einige kommen direkt in israelische Krankenhäuser, andere werden nach Jordanien gebracht, von wo berichtet wird, dass sich Jordanier zur Blutspende melden. Am Ende sind sieben Schülerinnen tot: Sivan, Karen, Ja’ala, Schiri, Natali, Adi und Nirit sind ihre Namen.
König Husseins Reaktion beeindruckt
Der Vorfall wirft einen dunklen Schatten auf die israelisch-jordanischen Beziehungen. König Hussein, der sich zu dieser Zeit in Spanien befindet und anschließend eigentlich in Richtung USA weiter will, bricht die Reise ab. Kurz vor dem Anschlag hatte er dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud) in einem Streit um die Siedlungspolitik einen Brief geschickt. Diese Politik könne „unsere palästinensischen Brüder unausweichlich in gewalttätigen Widerstand manövrieren“, schrieb er.
Nun sehen einige Israelis, auch hochrangige Politiker, darin eine selbsterfüllende Prophezeiung und geben dem Monarchen eine Mitschuld am Massaker. Schon am 16. März besucht Hussein gemeinsam mit Netanjahu die trauernden Familien. „Ihr Verlust ist mein Verlust“, sagt er vor laufender Kamera. Es sei wie ein Anschlag auf seine eigenen Kinder. Der Auftritt des Königs findet in der israelischen Öffentlichkeit viel Anerkennung. Als „nie dagewesen und ergreifend“ beschreibt die „Jerusalem Post“ ihn seinerzeit.
Der jordanische Soldat, der die Tat zu verantworten hat, wird vor Gericht gestellt. Die Verteidigung gibt an, ihr Mandant habe das Massaker nicht geplant, sondern sich spontan provoziert gefühlt: Die Mädchen hätten ihn beim Gebet gestört. Außerdem sei der Täter mental gestört, heißt es. Das Gericht spricht eine lebenslängliche Freiheitsstrafe aus. Nach 20 Jahren kommt der Täter auf freien Fuß.
„Kalter Frieden“ – bis heute
Das Massaker auf der „Insel des Friedens“ steht auch für die wechselhafte, problematische Beziehung zwischen Israel und Jordanien. Bis heute gilt der Frieden zwischen beiden Ländern als ein „kalter Frieden“. Aufmerksam hat man in Israel registriert, dass sich etwa Parlamentsabgeordnete in Jordanien vor Jahren für eine vorzeitige Haftentlassung Dakamses aussprachen.
2018 zitierte das Nachrichtenportal „Walla“ den Vater eines der getöteten Mädchen mit den Worten: „Für mich ist unser Frieden einer mit dem jordanischen Königshaus und nicht mehr; wie erklären Sie sich sonst, dass der Verteidiger des Mörders später zum Minister ernannt wurde? Das sagt alles. Ich erwarte nichts von ihnen.“
Kurz danach fügte König Husseins Nachfolger, Abdullah II., dieser schweren Geschichte ein weiteres Kapitel hinzu: 2019, 22 Jahre nach dem Massaker, entschied er, die Verpachtung der „Friedensinsel“ an Israel nicht mehr zu verlängern. Der Friedensvertrag hatte den Jordaniern diese Option zugestanden. Und dennoch ist es auch ein Symbol – dafür, dass Israel und Jordanien noch immer nicht wirklich zueinander gefunden haben.