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Ein ungewöhnlicher Blick auf Yad Vashem

In seinem neuen Buch über Yad Vashem erklärt der Deutsch-Israeli Georg Rößler das Wesen der Gedenkstätte. Er wirbt dafür, sich als deutscher Beobachter zurückzunehmen und sich auf das israelische Narrativ einzulassen.
Von Merle Hofer

Was ist das Wesen der Gedenkstätte Yad Vashem? Und welche Botschaft möchte Israel mit diesem Ort vermitteln? In seinem Buch „Nicht für Deutsche? Yad Vashem als Ort und Wirklichkeit“ geht Georg Rößler diesen Fragen nach. Der Jerusalemer macht in seiner Wahlheimatstadt drei markante Berge aus: den Tempelberg, den Regierungsberg und den Gedenkberg. Auf letzterem ist die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem verortet. Besuchern empfiehlt Rößler, diesen Ort nicht durch eine deutsche Brille zu betrachten, sondern sich auf die israelische Perspektive einzulassen. „Yad Vashem ist eine Gedenkstätte, die sich der jüdische Staat Israel stellvertretend für das jüdische Volk gestiftet hat, um seine eigene Geschichte mit dem Dritten Reich zu be- und verarbeiten.“

In Verbindung mit der Scho’ah gilt für Israelis und Deutsche das Motto „Nie wieder!“. Doch während es für die Deutschen „Nie wieder Krieg!“ heißt, lautet es auf israelischer Seite „Nie wieder Opfer!“. Das gelte es beim Besuch von Yad Vashem stets im Hinterkopf zu behalten. Deutsche seien nicht die Zielgruppe, könnten aber anhand des Ortes vieles von der israelischen DNA verstehen. „Als Deutsche sind wir Teil dieser Geschichte. Aber es geht in erster Linie nicht um uns!“

Den überwiegend kurzen Kapiteln stellt Rößler Sätze voran, die Vorurteile oder Befangenheit ausdrücken. Sie hat er als Reiseleiter von Besuchern aus Deutschland immer wieder gehört. Teilweise sind es schwer zu ertragende Gedanken, die hier ausgesprochen werden wie: „Könnte es sein, dass die intensive Beschäftigung mit der Scho’ah bei vielen auch so etwas wie eine ‚Überfütterung‘ hervorgerufen hat? Gerade auch junge Menschen in Deutschland möchten doch zunehmend mit dem Thema in Ruhe gelassen werden.“ Oder: „Wenn wir hier so gehen, wird schon deutlich, dass die Juden schwer gelitten haben. Aber mal ganz ehrlich – wenn man so in die Geschichte zurückblickt, muß doch irgendwas auch an den Juden selbst sein, das erklärt, warum sie immer wieder verfolgt wurden.“

Rößler lässt sich ein auf die Fragen und versteht es, deren Hintergrund offen zu beleuchten. Er wagt psychologische und historische Erklärungsversuche. Offen spricht er dabei über die Tabus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft.

Erinnerungskultur und schweres Erbe

In seinen Gedanken dazu analysiert er etwa: „Die Kinder der Kriegsgeneration, die vor allem nach dem Krieg zu einer stillen Bedürfnislosigkeit verurteilt worden waren, weil es scheinbar ‚wichtigere Dinge‘ gab, fühlten sich in eine Empathie gegenüber den Opfern Nazideutschlands hineingezwungen, die für ihren eigenen Schmerz keinen Raum ließ.“ Die Auseinandersetzung der Deutschen mit der Scho’ah erklärt er so: „‚Erinnerungskultur‘ wurde fester Bestandteil eines bundesdeutschen nationalen Ethos, in welches die Länder der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik nach der Wiedervereinigung dann auch nahtlos hineinverpflichtet wurden, obwohl sich bei ihnen über rund 50 Jahre ein völlig anderes Narrativ zur deutschen Nachkriegsverantwortung entwickelt hatte.“

Foto: AphorismA Verlag
Georg Rößler: „Nicht für Deutsche? Yad Vashem als Ort und Wirklichkeit“, AphorismA, 272 Seiten, 30,00 Euro, ISBN 978-3-86575-074-7

Rößler erklärt: „Mit solchen oft heftigen Anklagen und Vorwürfen konfrontiert, wurden die Menschen, die das Dritte Reich erlebt und überstanden hatten, nur noch tiefer in ein Schweigen hineingedrängt. Wo bei etwas mehr Bescheidenheit von Seiten der Jüngeren ein Dialog und Austausch hätte erwachsen können, wurden die Gräben zwischen den Generationen jetzt nur noch tiefer und unüberwindbarer.“

Das Buch thematisiert das Verhältnis von Israel und Deutschland zur Scho’ah, die Beziehung von Kirche und Judentum und nennt die Theologie nach Auschwitz, dem Synonym für „alles unfassbare Leid, das in dieser Welt geschah und geschieht“: „Die Selbstverständlichkeit kirchlicher Verkündigung wie auch jüdischer Gottergebenheit – wurde durch Auschwitz endgültig erschüttert. Deswegen gibt es in der jüdischen Debatte und der christlichen Theologie nach 1945 eine Theologie nach Auschwitz.“

Rößler schreibt über Themen, die für ihn zu Lebensthemen geworden sind. Seit knapp dreieinhalb Jahrzehnten lebt der Rheinländer in Israel. Mit seiner israelischen Frau hat er die drei Kinder „als Menschen, als Israelis, als Juden und mit einem deutschen Vater aufwachsen lassen“. Im Buch erklärt und kontextualisiert der Reiseleiter Begrifflichkeiten wie den Holocaust als Ganzopfer beziehungsweise die Scho’ah als Katastrophe. Spannungsfelder aus der eigenen Biographie deutet er an: „Was weiß ich eigentlich von dem Leben des Großvaters, der über den gesamten Zweiten Weltkrieg Divisionspfarrer für die deutschen Wehrmachtssoldaten war? Was war seine Verkündigung als Pastor im Krieg?“ Das Buch lädt ein zum Nachdenken und zu Fragen an die eigene Familien- und Landesgeschichte.

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5 Antworten

  1. Bewegend an diesem Teil von Yad Vashem finde ich auch das Gleis, das sich hier befindet. Es endet im Nichts. Genauso wie die Transporte die Menschen darin ins Nichts führten. In den Tod führten. Der Film und die Doku zur Wannseekonferenz, die das ZDF vor ein paar Tagen ausstrahlte, hat dies eindrucksvoll dargestellt.

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  2. Dieses Buch werde ich kaufen.
    Es werden sich tiefgehende Gedanken und Gespräche aufgrund der Lektüre ergeben.

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  3. Oft denke ich an gequälte und ermordete Menschen. Primitiv unverschämt ist die Aussage „Irgendwann muss Schluss sein!“. Leugner sollten einen Monat in einem Lager sein, in dem sie NUR hungern und frieren müssten. Das allein könnte für Verständnis sorgen.

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  4. es ist schrecklich, was damals passierte, und irgendwie sind wir alle schuldig daran. mal ehrlich, haben wir etwas daraus gelernt? es werden heute mehr Menschen verfolgt, gequält und umgebracht als je zuvor!?!

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  5. Liebe Marinne, ja es ist schrecklich was die Deutschen den Juden angetan haben. Aber es haben auch viele Christen Gott um Vergebung dafür gebeten. Andere haben Wiedergutmachung geleistet. Ich denke nicht, dass wir alle Deutschen Schuld daran sind. Ich und mein Vater sind nicht schuld. Ich glaube, dass Gott unsere Schuld vergeben hat, weil unser Land (Ost und West) wiedervereint ist. Danke Gott. Ja, wir sollten daraus lernen.

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