HAIFA (inn) – Weniger als 3 Prozent der arabischen Bürger Israels arbeiten im wichtigsten Bereich der Wirtschaft, dem Hightech-Sektor. Noch ist keinem arabisch geführten Unternehmen der internationale Durchbruch gelungen.
Kooperation der größten Investmentfonds
Um das zu ändern, hat der Unternehmer Imad Telhami 2014 den Investmentfonds „Takwin“ gegründet. Das arabische Wort bedeutet so viel wie „Erschaffung“ und bezeichnete schon einmal ein wissenschaftliches Projekt: den Versuch muslimischer Alchemisten im 9. Jahrhundert, künstliches Leben im Labor zu erschaffen.
Der Fonds mit Sitz in Haifa unterstützt arabisch geführte Technologieunternehmen in deren Gründerphase. Er ermutigt und befähigt arabische Israelis, in dem jüdisch dominierten Sektor Fuß zu fassen. Dabei kooperieren die beiden größten israelischen Investmentfonds „Jerusalem Venture Partners“ von Erel Mergalit und „Pitango Venture“ von Chemi Peres, einem Sohn des früheren Staatspräsidenten Schimon Peres.
Rosige Zukunft
„Israel ist bekannt als eine Start-up-Nation“, sagt Telhami in einem Interview. „Es gibt hier 20 Prozent Araber. Wir sind also Teil der Nation. Aber sind wir auch Teil der Start-ups? Nein, noch nicht.“ Es zeichne sich jedoch ein sehr positiver Trend ab. Itzik Frid, der Geschäftsführer von „Takwin“, sieht in den jüngsten Entwicklungen Vorboten einer „rosigen Zukunft“. Denn mittlerweile seien 20 Prozent der Studenten an Spitzentechnologie-Instituten in Israel Araber. Das entspricht genau ihrem Anteil an der Bevölkerung.
Frid geht davon aus, dass eine Lawine losgetreten wird, sobald dem ersten arabischen Start-up der Durchbruch gelingt. „Dann werden alle arabischen Mütter ihre Jugendlichen in den Hightech-Sektor schicken.“ Ähnlich sei es bei jüdischen Eltern gewesen, die noch vor zwei Jahrzehnten ihre Kinder vor allem als Ärzte und Anwälte sehen wollten. Nach einigen großen Erfolgsgeschichten setzte sich die Erkenntnis durch, dass die neue Branche noch mehr Geld und Prestige zu bieten hat.
Hürden überwinden
Im medizinischen Sektor ist der Durchbruch bereits gelungen. Fast die Hälfte der neu ausgestellten Lizenzen geht mittlerweile an Araber und Drusen. Frid ist davon überzeugt, dass im Bereich der Spitzentechnologien das gleiche passieren wird. „Takwin“ ist darauf ausgerichtet, die verbliebenen Hürden zu überbrücken.
Viele israelische Araber leben in ländlicheren Gegenden abseits der großen Wirtschaftszentren. Deswegen hat „Takwin“ seine Zentrale bewusst im Norden Israels angesiedelt und will jungen Arabern auch logistisch den Zugang in den Sektor erleichtern.
Ein weiterer großer Vorteil jüdischer Israelis ist ihr Militärdienst. Er gilt Karrieresprungbrett, auch im IT-Bereich. Denn Israel legt einen großen Schwerpunkt auf die Ausbildung für den Cyberwar, den Kampf in der digitalen Welt. Araber können zwar in der israelischen Armee dienen, werden aber nicht automatisch eingezogen. Die Zahl der freiwilligen Rekruten steigt und hat während der Pandemie ein Rekordhoch erreicht.
Erste Ergebnisse
Unter den vielversprechenden Start-ups, denen „Takwin“ Hilfe geleistet hat, ist das Unternehmen „Imagry“ für selbstfahrende Autos. Ein weiteres ist „Seismic AI“, das Technologie zur Vorhersage von Erdbeben anbietet. Die Firma „SooS“ hat mittels Schallvibration einen Weg gefunden, männliche Küken in „funktionale Weibchen“ zu verwandeln. Diese haben die Fähigkeit, Eier zu legen.
Neben der Finanzierung bietet „Takwin“ den jungen Unternehmern, von denen 25 Prozent Frauen sind, auch Mentoring durch erfahrene Investoren an. Sie begleiten die Gründung und das Wachstum der Start-ups mit wertvollem Knowhow. Frid sagt voraus, dass die Auswirkungen dieser Förderung mehrere zehn Milliarden US-Dollar für die israelische Wirtschaft bedeuten werden. Die Unternehmensbewertung der bislang geförderten Start-ups hat sich laut „Takwin“ bereits jetzt mehr als verzwanzigfacht.
Den arabischsprachigen Internetmarkt erobern
Chemi Peres sieht zudem Potenzial weit über die israelischen Grenzen hinaus. Der arabischsprachige Internetmarkt sei potenziell der viertgrößte weltweit. Talentierte arabische Israelis hätten die Möglichkeit, den Nahen und Mittleren Osten entscheidend zu prägen. Viele Firmen in arabischen Ländern seien bereits auf die Arbeit von „Takwin“ aufmerksam geworden. „Sie sind bereit, mit uns zusammenzuarbeiten“, sagt Peres. „Im Gegensatz zu mir können die meisten unserer Geschäftsführer in der Region reisen.“