Politiker und Schriftsteller – diese beiden Berufe sind kaum miteinander vereinbar. Darüber waren sich zumindest zwei Teilnehmer einer Gesprächsrunde am Sonntagabend einig: die israelischen Autoren Yishai Sarid und Odeh Bischarat.
Die Dritte im Bunde, Emilie Moatti, wäre möglicherweise anderer Ansicht gewesen. Sie sitzt seit März für die Avoda (Arbeitspartei) in der Knesset, hat aber auch schon einen vom Bildungsministerium ausgezeichneten Roman veröffentlicht und für die Tageszeitung „Ha’aretz“ geschrieben. Doch sie befand sich auf dem Weg nach Sderot zu einem Filmfestival, war nur im ersten Teil der Videokonferenz ab und zu dabei, dann verschwand ihr Bild wieder vom Bildschirm. Zuletzt verabschiedete sich die 41-Jährige mit der Mitteilung, dass sie nun zu einem Empfang müsse.
Das Thema der Videokonferenz lautete: „Writing on Politics“ (Über Politik schreiben). Anlass war die bevorstehende Frankfurter Buchmesse, die am Mittwoch beginnt. Zugeschaltet waren Teilnehmer unter anderem aus Deutschland, Portugal, Spanien, den USA und Brasilien.
Politiker mehr in Öffentlichkeit als Autoren
Sarid kennt fast nur Beispiele von Schriftstellern, die mit dem Schreiben aufhörten, als sie in die Politik gingen. Denn Politik sei sehr fordernd, sie verlange eine Maske. Zudem könne ein Autor ein paar Jahre in Ruhe an einem Buch arbeiten, dann trete er vorübergehend in die Öffentlichkeit. Politiker hingegen könnten sich der Öffentlichkeit kaum entziehen, beobachtet der 56-Jährige.
Der Schriftsteller selbst ist Sohn des 2015 verstorbenen Meretz-Politikers Jossi Sarid, der unter dem vor 26 Jahren ermordeten Premier Jitzchak Rabin Umweltminister war. In dem Videogespräch sagte er, wer in Israel lebe, könne immer von Politik berührt werden. Doch Autoren schrieben aus ihrem Herzen heraus – und nicht, um Politik zu beeinflussen. Bischarat ging noch weiter: Wenn er wolle, dass sein Roman Einfluss ausübt, werde dieser albern und gehe nicht in die Tiefe. Für politischen Einfluss habe er habe er seine Kolumne bei „Ha’aretz“.
Die Literatur hat aus Bischarats Sicht vielmehr die sehr wichtige Aufgabe, die Menschen zusammenzubringen. Wenn ein Jude sein fiktionales Werk lese, könne er erkennen: In der arabischen Gesellschaft gibt es dieselben Charaktere wie bei Juden. Die Familie des 63-jährigen Arabers wurde im israelischen Unabhängigkeitskrieg, der 1949 endete, aus der zerstörten Ortschaft Ma’alul bei Nazareth vertrieben.
„Hoffnung auf Frieden schwindet“
Sarids neuestes Buch trägt den Titel „Menazachat“ (Siegerin). Es handelt von einer Psychologin und ihrer Karriere bei der israelischen Armee. Als ihr Sohn seinen Wehrdienst bei einer Kampfeinheit antreten soll, kommt sie ins Nachdenken über ihre bisherige Einstellung zum Militär. Der Friedensprozess breche zusammen, sagte Sarid auch im Hinblick auf seinen Vater, der am Oslo-Prozess beteiligt war und „gebrochenen Herzens“ gestorben sei. Die Hoffnung verschwinde, und dieses Gefühl habe den Weg in seine Bücher gefunden.
Der Wehrdienst begleite einen Israeli den Rest des Lebens, ergänzte Sarid. Seine Protagonistin wolle alles tun wie die Männer, wolle auch an der Front sein. Der israelische Feminismus gehe derzeit in diese Richtung. Frauen sagten: „Wir können alles tun, was Männer tun – auch den Feind töten in Kampfeinheiten.“ In dieser Hinsicht seien Frauen nicht pazifistischer.
Alternative Themen zum Konflikt finden
Bischarats Romane zeigen nach seiner eigenen Aussage das komplexe Leben in Israel. Leser sollten fühlen, was er gegenüber seinem Volk empfinde. Die Araber in Israel machten nur 20 Prozent der Bevölkerung aus. Aber sie seien mächtig, als Ärzte und in anderen wichtigen Posititionen. Nach der großen Tragödie der Nakba, also der Vertreibung nach der israelischen Staatsgründung, und anderen Katastrophen hätten die Araber die Kraft gehabt, wieder aufzustehen.
Palästinensische Autoren schrieben nur über den Konflikt mit den Israelis, und wie Araber litten, merkte Bischarat an. „Und sie haben recht.“ Aber man sollte nicht dabei verweilen. Araber hätten auch gesellschaftliche Probleme, die nichts mit der hebräischen „Parascha“ zu tun hätten – „nicht nur, dass israelische Regierung uns diskriminiert“. Hier verwendete er im englischen Gespräch das hebräische Wort, das für den wöchentlichen Tora-Abschnitt steht, aber auch schlicht „Angelegenheit“ bedeuten kann.
Das aktuelle Buch „Donia“ schildert drei Generationen einer arabischen Familie in Israel. Jede Generation leidet auf ihre Weise unter den Folgen der Vertreibung nach dem Unabhängigkeitskrieg. Donia ist eine Araberin, die eines Tages verschwindet. Ihr Name ist das arabische Wort für „Welt“. Das Buch berühre alle Seiten des Lebens. Vielen Leuten gefalle es, sie wollten über ihre Probleme sprechen, sagte der Autor.
Seine Bücher schreibt Bischarat auf Arabisch, also in seiner Muttersprache. Hebräisch bezeichnete er als „Cousinsprache“. Es sei eine schöne Sprache, in der er Zeitungsartikel verfasse. Die Bücher würden von Freunden oder auch ihm selbst ins Hebräische übersetzt. Beide Autoren waren sich einig, dass sie keine Sprache boykottieren würden – auch wenn sie in einem Land gesprochen wird, mit dessen Politik sie nicht einverstanden sind. Damit kritisierten sie die Forderung der irischen Schriftstellerin Sally Rooney, ihre Bücher nichtvon einem israelischen Verlag ins Hebräische übersetzen zu lassen.
Ärgerliche Reaktion auf Äußerung zu arabischen Terroristen
Emotional wurde das Gespräch, als Sarid auf Ursachen für den stockenden Friedensprozess zu sprechen kam: Auch jüdische, aber viele arabische Terroristen seien daran schuld. Palästinenser hätten, getrieben von extremen Religiösen, Busse in die Luft gesprengt und erste Anfänge des Friedens zerstört. Es sei falsch, die gesamte Gesellschaft zu beschuldigen, sagte er wieder mit Blick auf Rooney.
Bischarat gab ihm recht, reagierte aber ärgerlich: Die Wurzel des Übels sei die Besatzung, echauffierte er sich. Sie sei die Giftpflanze, die den Frieden zerstöre. Sarid erwiderte, er lebe in einer Demokratie und könne als Israeli seine Meinung äußern. Dies sei Palästinensern in den besetzten Gebieten nicht möglich. Der Konflikt habe nicht 1967 mit dem Sechs-Tage-Krieg begonnen, sondern 1948. Er sei bereit fürs Gespräch mit jemandem, der das Recht von Juden respektiert, in ihrem Staat zu leben – und sage: „Wir wollen auch irgendwo leben.“ Aber wenn jemand sage: „Ihr Juden habt kein Recht darauf, hier zu leben“, dann habe er ein Problem damit.
Hier schritt Moderator Felix Zeltner vom Veranstalter „The Hof“ ein und lenkte das Gespräch wieder auf das Buch des Arabers. Die Diskussion blieb friedlich. Im Schlusswort sollten sich die Autoren vor allem an die junge Generation wenden. Bischarat riet jungen Menschen dazu, dass die Besten von ihnen in die Politik gehen sollten. Sarid regte an, nicht in der Vergangenheit festzustecken, sondern in die Zukunft zu blicken. „Überlasst die Geschichte den Geschichtsbüchern“, beendete er seinen Aufruf.
Von: eh