Die langgezogene Bucht von Haifa ist ein natürlicher Tiefwasserhafen mit bis zu 12,5 Metern Fahrrinnentiefe. So wie dieser Hafen unter den Kreuzfahrern ab dem 12. Jahrhundert eine Blüte erlebte, erging es ihm in der Zeit des vorstaatlichen Israels. Nachdem die Briten den ausgebauten Hafen 1933 in Betrieb nahmen, ging es stetig aufwärts. Es trafen immer mehr Passagierschiffe ein, das Export- und Importvolumen stieg, Industriebetriebe ließen sich nieder und auch die Stadt Haifa wuchs.
Noch für die Mitte des vorigen Jahrzehnts galt, dass im Haifaer Hafen etwas über 1.000 Arbeiter beschäftigt sind, jährlich in Spitzenzeiten 200.000 Passagiere abgefertigt, rund 1,5 Millionen Container und insgesamt 29,5 Millionen Tonnen Güter bewältigt werden. Doch auch das ist inzwischen Geschichte.
Ein Tiefwasserhafen im tiefen Wandel
Anfang September 2021 beging Israel einen feierlichen Akt, den Jitzchak Blumental, Geschäftsführer der staatlichen Firma Israel Ports Company, als „Beginn der Revolutionierung der Wirtschaft des Landes“ bezeichnete. Verkehrsministerin Merav Michaeli (Arbeitspartei) meinte: „Israel lässt sich auf ein neues Abenteuer ein.“
Dieses Abenteuer begann 2015, als der Zuschlag der Ausschreibung für den Betrieb der neuen Hafenanlagen an die staatlich-chinesische Firma Shanghai International Port Group ging. Zwar verzögerte sich die Bauphase, die satte 1,5 Milliarden Euro verschlang. Doch seit einigen Wochen lenkt im ersten von zwei Terminalteilen tatsächlich dieser chinesische Betreiber die Geschicke; und dies für nicht weniger als 25 Jahre.
Dank fortschrittlicher Infrastruktur und Technologie können hier Schiffgiganten nicht nur in Empfang genommen, sondern ihre 18.000 und mehr Container sogar in Rekordzeit gelöscht werden. Wegen mangelnder Kapazitäten kam es bislang selbst bei viel kleineren Ladungen immer wieder zu Verzögerungen, die die israelische Wirtschaft monatlich rund 190 Millionen Euro kosteten. Das bescherte Israels Verbrauchern deftige Aufschläge auf ohnehin hohe Produktpreise. Das neue Terminal bringt es auf eine jährliche Kapazität von 800.000 Containern, die innerhalb eines Jahres verdoppelt werden soll. Das schafft noch mehr Arbeitsplätze und steigert das Handelsvolumen um zirka 400 Millionen Euro.
Natürlich wird die chinesische Betreiberfirma Waren aus aller Welt abwickeln, obschon Israel vor allem auch auf mehr Handel mit seinen Partnern der Abraham-Abkommen hofft. Wenngleich Experten das durchaus begrüßen, so schürt der Betrieb des Haifaer Hafenterminals durch eine staatliche Firma des aufstrebenden Chinas dennoch vielfältige Bedenken.
China in Israel
Für Israel ist China ein wichtiger Handelspartner geworden. Das bilaterale Handelsvolumen stieg von 43,1 Millionen Euro zu Beginn der 1990er Jahre auf 11,3 Milliarden Euro im Jahr 2017 an. Noch bedeutsamer sind die Investitionen im Land. Chinesische Konzerne, ob in staatlicher oder privater Hand, kaufen sich vermehrt in israelische Firmen ein, wie 2015 im Fall des 1926 gegründeten Lebensmittelkonzerns Tnuva.
Doch chinesische Konzerne übernehmen auch israelische Traditionsfirmen, darunter der Kosmetikkonzern Ahava. Israelische Firmenneugründungen haben sie ebenso im Visier wie Risikoinvestitionen und den Aufbau von Forschungs- und Entwicklungszentren. Wenn Chinesen 2014 gerade einmal für 258 Millionen Euro Investitionen in Israel tätigten, waren es 2015 bereits 1,7 Milliarden, eine Summe, die schon das Folgejahr 2016 mit 14,2 Milliarden Euro weit in den Schatten stellte.
Strategische Bedenken
Doch auf China trifft man ebenfalls in einem anderen israelischen Bereich: Großbauprojekte, darunter Infrastrukturen wie das Straßentunnelprojekt bei Haifa, der Bau der Bahntrasse Tel Aviv-Jerusalem und der Tel Aviver Straßenbahn, aber auch der Ausbau des Hafens Aschdod. Während Israelis beim Verkauf von 56 Prozent der Tnuva-Aktien an zwei chinesische Firmen das Gefühl hatten, ausverkauft zu werden, warnte Ex-Mossad-Chef Efraim Halevy bereits 2013 wegen ganz anderer Begleiterscheinungen vor chinesischen Investitionen in israelische Infrastrukturprojekte: „Wenn China das israelische Schienennetzwerk nicht nur baut, sondern betreibt, so werden die USA das nicht verstehen.“
Genau das geschah, als Israel der Shanghaier Firma den Zuschlag für den Betrieb des Hafenterminals Haifa gewährte. Die USA waren schlichtweg entsetzt darüber, dass eine Firma des chinesischen Regimes nahe ihrer in Haifa stationierten 6. Flotte agieren soll. Auch israelische Experten begehrten auf, da sich in unmittelbarer Nähe nicht nur bedeutsame Industrieanlagen befinden, sondern auch israelische Militäranlagen, darunter die strategisch besonders wichtigen U-Boote.
Spätes Wachwerden
Angesichts der zunehmenden chinesischen Präsenz und der immer eindringlicheren Warnungen von Experten wie Politikern, dachte Israel 2019 über einen interministeriellen Kontrollmechanismus nach. Obwohl es zunächst beim Nachdenken blieb, führte die Endphase einer anderen Ausschreibung vor Augen, dass sich in Israel ein Haltungswandel zu vollziehen scheint.
Im Frühjahr 2020 zeichnete sich ab, dass die Hongkonger Firma Hutchison Whampoa den Zuschlag für Bau und Betrieb der größten Meerwasserentsalzungsanlage der Welt an Israels südlicher Mittelmeerküste ergattern könnte. Die Firma untersteht Li Ka-Shing, der seit 2019 zu den 30 Reichsten der Welt zählt und beste Kontakte zum chinesischen Regime pflegt. Eine Meerwasserentsalzungsanlage hört sich in politisch-strategischen Dimensionen zunächst nicht dramatisch an. Doch angesichts der Tatsache, dass Israel nicht mit Niederschlägen gesegnet ist und bei stetig wachsender Bevölkerung auf überschaubare Süßwasserreserven blickt, kommt einer chinesischen Beteiligung vor allem im Hinblick auf eine Betriebsoption eine enorme geopolitische Bedeutung zu.
Davor warnte auf das Eindringlichste US-Außenminister Mike Pompeo Mitte Mai 2020, als er trotz rollender Covid-Pandemie nach Israel reiste. Erneut spielten militärische Aspekte eine Rolle, die die USA mehr umzutreiben schienen als Israel. In unmittelbarer Nähe der geplanten Anlage befindet sich der israelische Luftwaffenstützpunkt Palmachim, der auch von US-Streitkräften genutzt wird. Nicht minder wichtig: Um die Ecke liegt das Atomforschungszentrum Nahal Sorek.
Letztlich sprach Israel Bau und Betrieb der Meerwasserentsalzungsanlage zwei israelischen Firmen zu. Bezüglich des neuen Hafenterminals Haifa mag das Land an wirtschaftlicher Front zweifelsohne gewinnen, könnte aber wegen dieses „Abenteuers“ mit Leichtigkeit auch Verluste zu beklagen haben; im Verlauf eines Vierteljahrhunderts, so weiß das gerade erst im 74. Jahr bestehende Israel, kann schließlich viel passieren.
Von: Antje C. Naujoks
Antje C. Naujoks studierte Politologie an der FU Berlin und an der Hebräischen Universität Jerusalem. Die freischaffende Übersetzerin lebt seit fast 35 Jahren in Israel, davon ein Jahrzehnt in Be‘er Scheva.