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Ein Rapper und ein Synagogenkantor im Gespräch

Bei einem Podiumsgespräch begegnen sich zwei Juden, die vom bevorzugten Musikstil her unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch einiges verbindet sie – auch die Entdeckung der Religion nach einer säkular geprägten Kindheit.
Sind sich in vielen Dingen einig: Ben Salomo (l.), Amnon Seelig und Moderatorin Esther Graf

MANNHEIM (inn) – Der eine ist Synagogenkantor, der andere Rapper. Dennoch gibt es, jenseits der sehr unterschiedlichen Musikgenres, Gemeinsamkeiten zwischen Amnon Seelig und Ben Salomo. Das stellt dann auch Moderatorin Esther Graf bei einem Podiumsgespräch in der Popakademie Baden-Württemberg fest: Beide seien „Israelis mit Migrationshintergrund“, wie Salomo es nennt. Er ist in Israel geboren und in Berlin-Schöneberg aufgewachsen. Seelig hingegen stammt aus Deutschland, hat aber seine Jugend in Israel verbracht. Zudem kommen sie aus säkularen jüdischen Familien und haben ihren eigenen Zugang zum Judentum erst als Heranwachsende entdeckt.

Ein weiteres, äußerst hässliches verbindendes Element sind die Erfahrungen mit Antisemitismus. Und so sprechen die beiden Musiker am Dienstagabend in Mannheim auch über diese negativen Erfahrungen, die beim Rapper prägnanter sind als beim Kantor. Salomo erlebte als Elfjähriger, dass ein Junge, der zwei Jahre lang sein bester Freund war, sich plötzlich von ihm abwandte. Der Freund hatte gefragt, wo er herkomme. Einen Tag, nachdem er die Antwort „aus Israel“ erhalten hatte, verprügelte er ihn, zusammen mit zwei älteren Jungen. Nur die Wut habe ihn dazu gebracht, sich zu wehren und den unerwarteten Angriff einigermaßen zu überstehen, erinnert sich Ben Salomo.

Daraufhin habe er sich gefragt: „Was ist denn hier los? Warum habe ich meinen besten Freund verloren?“ Und er habe sich an seinen Großvater erinnert, der mit elf Jahren von einem SS-Mann geschlagen worden sei. Jüdische Kameraden hätten ähnliche Erfahrungen gemacht, ergänzt Salomo. Zu ihrem eigenen Schutz hätten sie sich als Russen ausgegeben, statt als Juden. Doch er selbst sei ja kein Russe. Eine Weile habe er gelogen, sich wegen seines „orientalischen“ Aussehens als „Italiener“ bezeichnet. Das sei gut angekommen, er sei plötzlich beliebt gewesen. Aber es habe ihm innere Konflikte bereitet. Neue Freundschaften seien nicht möglich gewesen, er habe sich wie ein feindlicher Agent gefühlt – und von der Lüge abgelassen.

Die Mutter habe ihm geraten, sein Davidsternkettchen zu Hause lassen. Das fand er unfair: „Jeder konnte ein Kettchen tragen mit Kreuz oder Halbmond.“ Wenn er Verwandte in Israel besuchte, habe er sich frei gefühlt. Mit der Rückkehr nach Deutschland sei er „in den Käfig zurückgekommen“, sagt Salomo.

„Der Jude zieht das Geld aus der Tasche“

Die antisemitischen Erfahrungen blieben nicht auf seine Jugendzeit beschränkt. Die Rapszene, in der er sich einige Jahre lang bewegte, sei anfangs offen gewesen. Doch der Antisemitismus habe vor ihr nicht Halt gemacht. Als er das Format „Rap am Mittwoch“ gegründet hatte, benötigte er neue Kameras. Weil sie mehr kosteten, habe er den Eintritt erhöht. Seine Schwester habe an der Kasse gearbeitet und sich Sätze anhören müssen wie: „Der Jude zieht uns mal wieder das Geld aus der Tasche.“

Er sei genervt gewesen von der Stereotypisierung und der ständigen Konfrontation: „Stimmt das, dass ihr in Deutschland keine Steuern zahlt wegen des Holocaust?“ Dem widerspricht der Rapper: „Finanzämter in Deutschland sind nicht antisemitisch, die nehmen auch von Juden Geld.“ Er habe ganz normal von seiner Arbeit gelebt, sich „keine goldene Nase verdient“ – sondern eher mitunter gebangt, wie er mit dem Geld auskommen sollte. Doch andere hätten ihm in ihrer Phantasie einen Pool in Israel gebaut und Goldbarren im Keller gelagert.

Ausschlaggebend war für Salomo ein Erlebnis, nachdem er Vater geworden war: Er sei nach Hause gekommen, noch völlig geladen von der Negativität aus der Szene. Seine Tochter habe ihre ersten Worte gesagt – und er habe dies nicht genießen können. Daraufhin habe er der Rapszene schweren Herzens den Rücken gekehrt. Als Vater habe er radikal die Toleranzgrenze nach unten korrigiert. Lieber wollte er Pizza ausliefern und die ersten Worte seiner Kinder genießen, als die „Rap am Mittwoch“-Show weiterzumachen und sich zu ärgern.

„Ich beherrsche nicht die Welt“

Seelig hat zwar auch antisemitische Schikane erlebt, aber keinen körperlichen Angriff. In Berlin-Wedding, „quasi der Libanon“, sei es nicht ratsam, mit Kippa herumzulaufen, wenn die politische Situation in Israel schwer werde. Juden würden auf der Straße angesprochen: „Wieso habt ihr soviel Geld? Wieso beherrscht ihr die Welt? Google, Facebook?“ Er wirft ein: „Ich beherrsche nicht die Welt.“

Der Kantor der Jüdischen Gemeinde Mannheim fühlt sich nach eigener Aussage sicher in der nordbadischen Stadt. Doch auch er kann von Erlebnissen berichten. Ein Mann habe ihm auf der Straße gesagt, er könne an der Physiognomie erkennen, dass er Jude sei. Dann habe er ihn nach seiner Meinung zum ehemaligen israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu gefragt. Der Synagogenkantor betont, er rede nicht mit jemandem, der „Religion an der Physiognomie erkennt“.

Dass er so „verwöhnt“ sei, führt Seelig auf die Welt zurück, in der er etabliert sei: Als Synagogenkantor habe er jüdische Kollegen, etwa Kantoren und Rabbiner. Er treffe zudem wohlwollende Christen und Muslime. Da er eine repräsentative Figur in der Gemeinde sei, nähmen Menschen Kontakt auf, die Fragen zum Judentum haben, die etwas brauchten. Als positive Beispiele nennt er die Deutsch-Israelische Gesellschaft oder auch die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

Seelig: Als Jugendlicher Geld in Synagogenchören verdient

Doch es geht in dem Gespräch auch um die Herkunft der beiden Musiker. Seelig hatte, bis er zwölf Jahre alt war, „null Ahnung von Judentum“ – obwohl er in Israel aufwuchs. Seine säkularen Freunde feierten mit 13 die Bar Mitzva. Als er sich ebenfalls darauf vorbereitete, hörte er zum ersten Mal liturgische Gesänge. Seine Eltern waren zwar Musiker, hatten aber kein Interesse am jüdischen Glauben. Der Sohn hingegen begann mit 17 Jahren, in Synagogenchören zu singen – und verdiente sogar Geld damit, weil die Chöre für besondere Gelegenheiten gebucht wurden. Mittlerweile trägt er eine Kippa.

Nach Deutschland kam Seelig 2006, da sang er am 9. November bei der Einweihung der Großen Synagoge von München – und blieb. Er habe die Gottesdienste viel intensiver erlebt als in Israel. Zudem hörte er Namen jüdischer Komponisten, die in Israel nie erwähnt worden seien. Er studierte Gesang, auch, weil er diese Musik wiederbeleben wollte. An den Kantorenberuf dachte er zunächst noch nicht. Aber da er sich zwischen 2006 und 2010 so oft mit dieser Musik auseinandergesetzt habe, sei es eine logische Folge gewesen.

Reime als Ventil für Emotionen

Auch der Rapper, der eigentlich Jonathan Kalmanovich heißt, wuchs in einem säkularen Elternhaus auf. Aber Feste wie der Versöhnungstag Jom Kippur oder Chanukka seien zu Hause zelebriert worden. Am Sederabend vor dem Passahfest habe sein Vater aus der Haggada gelesen. Dass er mit 13 Bar Mitzva feierte, habe nicht zur Debatte gestanden. Als er zur Tora gerufen wurde, wurde er mit dem ihm bis dahin unbekannten hebräischen Namen „Ben Schlomo“ angesprochen – „Sohn des Schlomo“. Daraus entstand sein Künstlername Ben Salomo. Heute lebt er nach eigener Aussage jüdisch-traditioneller als die Großeltern. Beide erziehen ihre Kinder in der jüdischen Tradition.

Zum Rap kam Salomo, weil er als Kind schon gern gereimt und Gedichte schnell auswendig gelernt habe. Er habe auch selbst Reime geschrieben – und darin eine Methode erkannt, um Emotionen ausdrücken. Zudem konnte er dadurch schwere Erlebnisse wie Diskriminierung, Liebeskummer oder auch die Scheidung der Eltern verarbeiten. In der Rapszene stieß er auf einen Freundeskreis, auf Leute, die das auch machten. Andere tanzten oder malten oder musizierten, bei ihm sei es die Poesie. In einer anderen Zeit hätte es auch Poetry Slam oder Minnegesang sein können, meint der Rapper.

Beide Teilnehmer des Podiumsgespräches lieben Musik. Dass sich mit Kunst etwas gegen Antisemitismus ausrichten lasse, glauben sie indes nicht – und das nicht nur, weil es viele antisemitische Künstler gegeben habe und bis heute gebe. Allerdings stellt Salomo fest: „Kunst hat die Möglichkeit, der Gesellschaft einen Spiegel vorzusetzen.“ Sie könne zeigen, wo es Probleme gibt. Wichtig ist den beiden Respekt und Toleranz – aber nicht falsch verstandene Toleranz, bei der es die Intoleranz anderer zu tolerieren gelte, welche die Freiheit anderer einschränken wolle. „Sonst müssten wir Rechtsextremismus und Islamismus tolerieren“, sagt der Rapper.

Der Rahmen des Podiumsgespräches „Judentum zwischen Hip und Religion“ waren die „einander.Aktionstage 2021“. Daran wirken die Jüdische Gemeinde Mannheim und die Friedrich-Naumann-Stiftung mit.

Von: Elisabeth Hausen

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