JERUSALEM / RAMALLAH (inn) – Die USA wollen den Wiederaufbau im Gazastreifen unterstützen – und dabei gewährleisten, dass die Hamas nicht von Hilfsgeldern profitiert. Dies versicherte US-Außenminister Antony Blinken am Dienstag bei einem Besuch in Jerusalem. Einzelheiten zum geplanten Vorgehen wurden zunächst nicht bekannt.
Nach einem Treffen mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud) sagte Blinken auf einer gemeinsamen Pressekonferenz, die Verluste auf beiden Seiten der am Freitag beendeten Konfrontation zwischen Israel und der Hamas seien schwer. „Verluste werden oft auf Zahlen reduziert“, ergänzte er. „Aber hinter jeder Zahl steht ein Mensch – eine Tochter, ein Sohn, eine Mutter, ein Großelternteil, ein bester Freund. Und wie der Talmud lehrt, bedeutet eine Leben zu verlieren die gesamte Welt zu verlieren, ob das Leben palästinensisch oder israelisch ist.“
Blinken ergänzte, Israelis und Palästinenser hätten gleichermaßen das Recht, sicher zu leben, in gleicher Weise Freiheit, Möglichkeiten und Demokratie zu genießen, mit Würde behandelt zu werden. Wie CNN anmerkte, nannte er dabei nicht die „Zwei-Staaten-Lösung“. Auch sprach er nicht von Friedensverhandlungen, die nötig seien.
Dank für Unterstützung bei Raketenabwehr
Bei dem Gespräch mit Netanjahu ging es auch um Israels Sicherheitsbedürfnisse und die Raketenabwehr „Eisenkuppel“. Der Regierungschef erinnerte laut Mitteilung seines Büros, dass Blinken 2014 in dem Zusammenhang Israel geholfen hatte: Als stellvertretender Sicherheitsberater von Präsident Barack Obama sorgte er während der Operation „Starker Fels“ dafür, dass Gelder für zusätzliche Abwehrraketen schnell fließen konnten. Auch jetzt werde er sich, nun als Außenminister, darum kümmern, dass die Arsenale wieder aufgefüllt würden. Eine Rakete kostet bis zu 60.000 Dollar.
Netanjahu äußerte ferner die Hoffnung, die USA würden nicht zum umstrittenen Atomabkommen mit dem Iran zurückkehren. Blinken entgegnete, die USA würden darüber weiter mit Israel beraten, während in Wien die indirekten Gespräche mit dem Iran fortdauerten.
Treffen mit Aschkenasi
Blinken traf in Jerusalem auch den israelischen Außenminister Gabi Aschkenasi (Blau-Weiß). Sie einigten sich darauf, Arbeitsgruppen für zivile Projekte im Westjordanland zu bilden. Dieser Einsatz solle verbunden sein mit gleichzeitig Forderungen an die Palästinenser, etwa nach einem Ende der anti-israelischen Hetze oder der Anträge an den Internationalen Strafgerichtshof. wegen israelischer „Kriegsverbrechen“.
Bezüglich des Gazastreifens erinnerte Aschkenasi daran, dass Israel die Rückgabe zweier entführter Zivilisten und der Leichen zweier gefallener Soldaten von der Hamas fordert. Bei dem Treffen betonte er ferner die Bedeutung der Normalisierungsabkommen mit arabischen Staaten: Das vergangene Jahr habe gezeigt, dass „wir Partner für Frieden in Nahost haben. Ich messe der Stärkung und Ausweitung der bestehenden friedlichen Beziehungen große Bedeutung zu“.
Rivlin besorgt über Antisemitismus
Staatspräsident Reuven Rivlin bekundete bei seiner Zusammenkunft mit Blinken Besorgnis wegen des weltweiten Anstiegs von Antisemitismus infolge des jüngsten Konfliktes, auch in den USA. Er sei US-Präsident Joe Biden dafür dankbar, dass dieser „seine Haltung zu dem Thema stark und deutlich geäußert hat“.
Blinken bezeichnete das Wiederaufkommen antisemitischer Vorfälle als „Kanarienvogel im Kohlebergwerk“. Denn es lege immer nahe, dass mehr Aggression kommen werde, auch gegen andere Gemeinschaften. Die Redensart bezieht sich auf den jahrhundertelang ausgeübten Brauch, Kanarienvögel in Bergstollen mitzunehmen. Wenn etwa Sauerstoffmangel eintrat, starb zuerst der Vogel, die Menschen hatten meist noch Zeit zur Flucht.
Mit Bezug auf die Terrorgruppe Hamas sagte Rivlin: „Es ist unfassbar, dass die Hamas nicht in aller Welt als Kriegsverbrecherin bezeichnet wird. Und es ist lebenswichtig, diese Bezeichnung einzuführen.“ Wenn Soldaten der israelischen Armee mit dem Internationalen Strafgerichtshof konfrontiert seien, sollte die Welt begreifen, „dass sich die wahren Kriegsverbrecher in Gaza verstecken, hinter der Zivilbevölkerung“.
Katastrophenhilfe für Palästinenser
In der Autonomiestadt Ramallah traf Blinken den Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas (Fatah). Anschließend teilte er mit, die Regierung werde das US-Konsulat in Jerusalem wieder eröffnen. Dieses war nach der Verlegung der Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem geschlossen worden. Das Konsulat galt faktisch als Botschaft für die Palästinenser.
Blinken kündigte zudem 5,5 Millionen Dollar als sofortige Katastrophenhilfe für den Gazastreifen an. Die USA arbeiteten mit den Vereinten Nationen, der PA und der israelischen Regierung zusammen, um den Wiederaufbau in Gaza zu unterstützen. Die USA würden sicherstellen, dass die Hamas nicht von diesen Bemühungen profitiere: „Alle zu bitten, beim Wiederaufbau von Gaza zu helfen, ist nur sinnvoll, wenn es Vertrauen gibt, dass das Wiederaufgebaute nicht wieder verloren geht, weil die Hamas in Zukunft entscheidet, weitere Raketen abzuschießen.“ Laut des US-Senders CNN war an dieser Stelle von Abbas ein „Ja“ zu vernehmen.
„Feuerpause nicht ausreichend“
Die USA begrüßten die Feuerpause, ergänzte Blinken. Diese reiche allerdings nicht aus. Die jüngste Runde der Gewalt sei symptomatisch für „eine größere Reihe von Themen, die wir ansprechen müssen, wenn wir ihr Auftreten vermeiden wollen“. Der Verlust jedes Kindes sei ein „Universum des Verlustes“.
Für das laufende Jahr sicherte Blinken der PA 75 Millionen Dollar Entwicklungs- und Wirtschaftshilfe zu. Des Weiteren würden die USA dem UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) 32 Millionen Dollar zur Verfügung stellen. Abbas dankte Blinken für die Wiederaufnahme der Unterstützung für die UNRWA. Auch hob er die Verpflichtung gegenüber einer „Zwei-Staaten-Lösung“ und die abwehrende Haltung der USA zu eine Ausweitung israelischer Siedlungen hervor.
Der Hamas-Führer im Gazastreifen, Jahja Sinwar, begrüßte am Mittwoch internationale Hilfsangebote für den Wiederaufbau. Doch kritisierte er Blinken, der „Öl ins Feuer der palästinensischen Spaltung gießen“ wolle. Denn der US-Außenminister versuche, die PA auf Kosten der Hamas zu stärken.
Blinken will auf seiner Nahostreise auch Jordanien und Ägypten besuchen. Ziel ist es, nach der Operation „Wächter der Mauern“ Lösungen für ein friedliches Miteinander zwischen Israelis und Palästinensern zu finden.
Von: eh