RAMAT GAN (inn) – Türkische Schulbücher verunglimpfen Zionismus und nehmen kaum Bezug auf positive Aspekte des Verhältnisses zwischen der Türkei und Israel. Das geht aus einer Studie des „Instituts zur Überwachung von Frieden und kultureller Toleranz in der Schulbildung“ (IMPACT-SE) mit Sitz in Ramat Gan hervor. Sie trägt den Titel „Die Erdogan-Revolution in den Schulbüchern des türkischen Lehrplans“.
Im Abschnitt über Israel stellt der Autor Haj Ejtan Cohen Janarocak fest, die Türkei sehe sich als Beschützerin aller Muslime. So betonten die Lehrbücher nicht die nationale, sondern die muslimische Identität der Palästinenser. Der Gazastreifen werde als „das größte Freiluftgefängnis der Welt“ bezeichnet.
Streit mit Peres in Davos
Ein Thema ist die Militäroperation „Gegossenes Blei“ im Dezember 2008 und Januar 2009 gegen die Hamas-Infrastruktur im Gazastreifen. Kurz darauf äußerte Präsident Recep Tayyip Erdogan auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos Kritik an der israelischen Offensive – und lieferte sich einen Schlagabtausch mit dem damaligen israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres.
Der Streit erscheint im Lehrbuch für „Zeitgeschichte der Türkei und der Welt“, es stellt die Operation als äußerst schweren Schlag für den Friedensprozess dar. Die Zahl der getöteten Palästinenser wird genannt. Hingegen ignoriert das Buch die Raketenangriffe der Hamas gegen israelische Zivilisten. Nach Einschätzung von IMPACT-SE handelt es sich um einen Versuch, eine emotionale Verbindung zwischen türkischen Schülern und der Palästinenserfrage zu schaffen.
Schüler sollen über negative Folgen des Zionismus diskutieren
Zionismus gilt den Verfassern des Geschichtsbuches als imperialistisches Ideal, um die Weltjudenheit in „Palästina“ anzusammeln. Zionisten versuchten, den Salomonischen Tempel auf dem Berg Zion wiederaufzubauen, heißt es. Damit schiebt das Lehrbuch säkularen Zionisten religiöse Motive unter, merkt der Türkeiexperte an. Zudem geschehe eine Geschichtsklitterung durch Umbenennung: Der Tempel stand auf dem Berg Moria, nicht auf dem Berg Zion.
Ein weiteres Buch ist die „Geschichte der Revolution der türkischen Republik und des Atatürkismus“. Es „beurteilt Zionismus in einer höchst subjektiven, gefühlsgeladenen und negativen Weise“, schreibt der Autor der Studie – als Plan, um Blutvergießen über den Nahen Osten zu bringen. Die Rede sei von „dem Zionistischen Problem“. In einer Aufgabe sollen Schüler über ihre Gedanken zur Gründung des Staates Israel diskutieren – und darüber, wie sie einen zerstörerischen Einfluss auf die ethnische, religiöse und politische Struktur des Nahen Ostens hatte. Die Zwei-Staaten-Lösung von zwei Staaten für zwei Völker indes zweifelt das Lehrmaterial nicht an.
Doch in einem Rückblick werden Katastrophen des Nahen Ostens mit Zionismus in Verbindung gebracht – und ausdrücklich Juden zugeschrieben. Dazu gehören die aktuellen Konflikte in Syrien, dem Irak und dem Jemen. Ebenso werden die Schüler gewarnt, dass Teile der Türkei innerhalb der Grenzen des von Zionisten angestrebten „Großisraels“ fallen könnten.
Ein Buch würdigt jüdische Kultur
Im Gegensatz zu dieser antijüdischen Haltung erweist das Buch „Osmanisches Türkisch“ der jüdischen Zivilisation Respekt. Auch würdigt es die mit dem Judentum verbundenen Sprachen Hebräisch und Aramäisch, heißt es weiter in der Studie vo IMPACT-SE.
Janarocak folgert, in den Lehrbüchern werde das Existenzrecht des Staates Israel nicht abgelehnt. Aber Zionismus sei als problematischer, blutiger, imperialistischer Plan dargestellt. Zudem thematisierten die Bücher eher Krisen wie den Vorfall mit der Mavi Marmara als Phasen von guten Beziehungen zwischen der Türkei und Israel. Dazu gehöre die humanitäre Hilfe nach dem Erdbeben von Gölcük 1999, aber auch die türkische Unterstützung für Israel nach dem Karmel-Brand 2010.
„Stille Revolution“
Doch die Studie hat nicht nur untersucht, wie das Lehrmaterial mit Israel umgeht. Und so entdeckte IMPACT-SE eine Entwicklung, die mit Erdogans Partei AKP zusammenhängt: „Seit sie 2002 an die Macht kam, hat die langsame, beständige und entschiedene Politik der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung zu einer stufenweisen stillen Revolution in den türkischen Schulbüchern geführt.“ In der ersten Amtszeit hätten die Lehrpläne keine wesentlichen Änderungen erfahren.
In der zweiten Amtszeit von 2011 bis 2016 habe dann eine Islamisierung begonnen, verbunden mit Kritik an der früheren weltlichen Ausrichtung. Neue Kurse zum Leben des Propheten Mohammed, zum Koran und zur türkischen Sprache der osmanischen Zeit seien eingeführt worden, auch in bis dahin säkularen Schulen. Das Ministerium für nationale Bildung habe betont, dass es sich um Wahlfächer handele. Doch die meisten Schulleiter hätten keine alternativen Wahlkurse angeboten. Ausnahmen für Aleviten und Nichtmuslime habe es also nicht mehr gegeben.
Nach dem gescheiterten Putschversuch von 2016 taucht laut IMPACT-SE der Dschihad als einer der wichtigsten Grundsätze im Lehrplan auf. Er hat historische Epochen zum Thema, in denen Dschihad offenbar wichtiger war als die Pilgerfahrt nach Mekka. „Dieser Zugang zum Dschihad würde es offenbar erleichtern, das Fundament für religiöse Kriege zu bereiten“, vermerkt Janarocak. „In der Tat ist der Ausschluss der negativen Auswirkungen des Dschihad besorgniserregend; selbst die Bemühungen des Lehrplanes, die Motive hinter den Angriffen von Al-Qaida und IS zu rationalisieren und zu verstehen, sollte alarmieren.“
Dabei sei es keine Überraschung, dass die separatistische Kurdenpartei PKK nicht der Verurteilung entgehe. „Der Text unternimmt keine Anstrengungen, die Motive hinter den Aktionen dieser Gruppe gegen den türkischen Staat zu verstehen.“
Für Demokratie, gegen Teilnahme an Demonstrationen
Die Regierung nutzt nach Beobachtung des israelischen Institutes Religion, „um ihre Gegner zu dämonisieren“. Dabei schaffe sie eine Spaltung in der türkischen Gesellschaft, die in drei Hauptgruppen geteilt werde: „Gläubige, Heuchler und Ungläubige“. Damit ignoriere sie absichtlich das Konzept „Leute des Buches“, nach dem „Juden und Christen bislang von Heiden und anderen Polytheisten unterschieden wurden – jetzt gelten sie alle als Ungläubige“. Weiter lautet die Schlussfolgerung: „Es ist schwer vorstellbar, dass solche Narrative keinen Einfluss auf gewöhnliche türkische Bürger in ihren Beziehungen mit anderen Nicht-Muslimen und deren Nationen haben werden.“
Die Lehrbücher heben die Bedeutung der Demokratie hervor. Gleichzeitig raten sie Schülern davon ab, sich an Demonstrationen zu beteiligen. Scharfe Kritik gibt es an Veranstaltungen wie den Protesten gegen die Regierung 2013 im Gezi-Park und auf dem Taksim-Platz von Istanbul. Unterstützt werde das Streben nach einer „Türkischen Weltdominanz“. Eine Betonung liege auf der Einheit der zentralasiatischen Turkvölker. Schulbücher legten großen Wert auf die besondere Verbindung mit Aserbaidschan, dabei sei eine sehr anti-armenische Darstellung zu finden. Die Rede ist auch vom „Türkischen Kulturbecken“, das von der Adria bis nach Zentralasien reiche.
Von: eh