MONACO (inn) – Der Bruder des designierten libanesischen Regierungschefs Saad al-Hariri, Bahaa, hat sich in einem Interview dafür ausgesprochen, Frieden mit Israel zu schließen. Es gebe Streitigkeiten zwischen den beiden Seiten, die zunächst gelöst werden müssten, sagte er der amerikanischen Nachrichtenseite „Axios“. „Aber am Ende des Tages brauchen wir Frieden. Ich will, dass meine Kinder im Frieden leben, nicht im Krieg.“ Auf die Frage, ob es dafür großen Rückhalt in der libanesischen Bevölkerung geben würde, antwortete Al-Hariri: „Absolut.“
Das Interview wurde von dem bekannten israelischen Journalisten Barak Ravid geführt. Der libanesische Staat verbietet seinen Bürgern eigentlich jeden Kontakt mit Israelis. Arabischen Medienberichten zufolge ließ Al-Hariri noch am Dienstag mitteilen, von der Nationalität des Interviewers nichts gewusst zu haben. „Hätte er es gewusst, hätte er definitiv jeden Kontakt abgelehnt“, hieß es von seinen Anwälten.
Kritik an Bruder Saad
In dem Interview sprach Ravid Al-Hariri auf die Verhandlungen an, die Israel und der Libanon im Oktober über den Verlauf der maritimen Grenze zwischen den beiden Ländern aufgenommen haben und die am Mittwoch in die dritte Runde gingen. Auf die Frage, ob diese im Kontext einer allgemeinen Normalisierung der israelisch-arabischen Beziehungen zu sehen seien, sagte Al-Hariri: „Ich hoffe es.“ Seiner Meinung nach sollten die Länder auch Verhandlungen über die Landgrenze führen, deren Verlauf an mehreren Punkten umstritten ist.
Al-Hariri äußerte sich auch zur innenpolitischen Lage im Libanon, wo sein Bruder Saad, bis 2019 Premierminister, derzeit versucht, eine neue Regierung zu bilden. Er war vor drei Wochen damit beauftragt worden, nachdem sein Amtsnachfolger zurückgetreten und ein anderer Kandidat an der Aufgabe gescheitert war. Im Interview sprach sich Bahaa al-Hariri dafür aus, die schiitisch-terroristische Hisbollah-Partei aus der Regierung auszuschließen. Darauf angesprochen, dass sein Bruder die Hisbollah in der Vergangenheit in die Regierung integriert hatte, sagte Bahaa: „Jede Regierung mit einer Hisbollah-Beteiligung ist ein großer Fehler.“
Bahaa al-Hariri ist nicht als Politiker im Libanon aktiv. Der Milliardär arbeitet als Unternehmer und lebt derzeit in Monaco. Im „Axios“-Interview sprach er von „sehr großen politischen Differenzen“ zwischen ihm und seinem Bruder. Offenbar plant er, zukünftig eine aktivere Rolle im öffentlichen Leben des Libanons einzunehmen: „Ich beabsichtige nicht, Premier, Abgeordneter oder Minister zu werden, aber ich möchte meinem Land dienen.“ Saad und Bahaa sind Söhne des früheren libanesischen Premierministers Rafik al-Hariri, der 2005 nach seinem Rücktritt einem Bombenattentat zum Opfer fiel. Im August 2020 befand ein Sondertribunal der Vereinten Nationen einen Libanesen mit Verbindungen zur Hisbollah in der Angelegenheit für schuldig.
Ist Frieden möglich?
Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein Verwandter eines hochrangigen libanesischen Politikers zu einem möglichen Frieden mit Israel äußert. Ende Oktober hatte sich die Tochter des libanesischen Präsidenten Michel Aun, Claudine, offen für einen Frieden mit dem israelischen Nachbarn gezeigt, sobald Meinungsverschiedenheiten zu Fragen wie dem Grenzverlauf gelöst seien. Präsident Aun selbst hatte im August auf die Frage nach einem möglichen Frieden gesagt: „Das hängt davon ab. Wir haben Probleme mit Israel, die wir zuerst lösen müssen.“ Im Zusammenhang mit den aktuellen Verhandlungen schrieb eine staatliche Nachrichtenagentur jedoch, dass Aun diese auf die spezifischen Grenzfragen beschränkt sehen wolle.
In Israel erklärte Premier Benjamin Netanjahu Mitte Oktober, die Grenzverhandlungen könnten „vielleicht“ ein „erster Schritt sein in eine Zukunft, in der wir wahren Frieden schaffen“. Energieminister Juval Steinitz dämpfte zum Auftakt der Verhandlungen hingegen die Erwartungen: „Es geht hier nicht um Friedensgespräche, sondern um die Lösung eines technischen Problems“. Das israelische „Institut für nationale Sicherheits-Studien“ bewertete die Chancen für eine baldige „strategische Veränderung“ in den israelisch-libanesischen Beziehungen jüngst ebenfalls zurückhaltend: „Die Feindschaft wird bleiben, solange die Hisbollah und ihre Partner, darunter auch die christliche Partei von Präsident Aun, Einfluss im Libanon haben.“
Von: ser