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In einer üblen Welt ist Glück relativ

Im ersten auf Deutsch erschienenen Buch des israelischen Autors Erez Majerantz gibt es viel Krankheit, Exkremente und Ausschweifungen. Oftmals ist nicht klar, ob das absurde Leid der Protagonisten noch traurig oder auf zynische Weise wieder lustig ist. Eine Rezension von Timo König
Schlimmer geht immer: Ein Buch auf dem schmalen Grat zwischen Tragik und Komik

„Das Leben an sich ist das geringste aller Übel – Sieben Kurzgeschichten und eine Novelle“ ist das erste Buch des israelischen Autors Erez Majerantz, das in deutscher Sprache erscheint. Obwohl Majerantz seit sechs Jahren in Berlin wohnt und EU-Bürger ist, hat das Büchlein mit 116 Seiten eine starke israelische Prägung. Einige Geschichten waren zuvor bereits auf Hebräisch oder Englisch erschienen. Die meisten spielen in Israel. Eine sogar im Himmel. Überhaupt ist Religion öfter Alltagsthema, als es bei hiesigen Publikationen der Fall ist. Da warnt etwa ein Taxifahrer einen Todkranken, dass der Krebs eine göttliche Bestrafung für dessen Lebensweise sei. Oder ein Schüler büxt auf einer Klassenfahrt in der Ukraine aus und schlägt sich zum Grab das chassidischen Rabbis Nachman durch.

Die innerisraelischen Referenzen sind so vielfältig, dass der Leser Schwierigkeiten haben dürfte, sie alle zu verstehen. Wer weiß schon aus dem Effeff, dass „Golfspielen“ in Caesarea eine Anspielung darauf ist, dass dort bevorzugt reiche Menschen wohnen? Oder dass Petach Tikva als archetypisches Provinznest gilt? Auch der Name Jigal Amir, also des Mörders des ehemaligen Premierminister Jitzchak Rabin, wird wohl nicht jedem ein Begriff sein. Dankenswerterweise werden einige dieser „Insider“ durch Fußnoten erklärt. Einen gewissen Charme hat auch, dass das Buch in alter deutscher Rechtschreibung erscheint. Weniger charmant ist die große Zahl an Rechtschreib- und Redigierfehlern, die den Lesefluss behindert.

Tod und Verderben

Auf den ersten Blick wirken die Geschichten derart pessimistisch, dass das Leben an sich tatsächlich noch als das „geringste aller Übel“ erscheint: Um den Zustand der Welt steht es so schlecht, dass es absurd ist. Der lakonische Schreibstil des Autors lässt die Sinnlosigkeit des Lebens nur noch aberwitziger erscheinen. Liebhaber von Zynismus und schwarzem Humor kommen hier auf ihre Kosten. Es liest sich in etwa so, als hätte es ein depressiver Helge Schneider verfasst.

Eine Geschichte endet damit, dass ein Musiker merkt, dass alles, was ihm im Leben Hoffnung gab, völlig sinnlos ist. Ende. In einer anderen verbringt ein religiöser Fanatiker sein Leben damit, sich selbst in zwanghafter Selbstkasteiung Leid zuzufügen. Doch sogar daran scheitert er. So verbrennt er sich absichtlich die Finger mit einem Feuerzeug, nur um enttäuscht festzustellen, dass „extreme Hitze immer von einem Gefühl der Kälte begleitet sein würde“, obwohl er doch „unbedingt den heißen Schmerz“ erleiden will. Selbst seine Notdurft verrichtet er absichtlich nie ganz: „Der zurückgehaltene Kot soll ihn stören, doch nicht die lebenswichtigen Körperfunktionen schädigen.“ Doch er merkt, dass all das Leiden für ihn letztendlich ja auch eine Form von Befriedigung darstellt – Ziel verfehlt.

Fäkalien und andere Körpersekrete, Krankheit und Ausschweifung machen die Lektüre streckenweise zu einer Zumutung. Doch das soll so sein. Die letzte Geschichte des Buches setzt dem Ganzen die Krone auf, indem sie das Ende eines Menschen schildert, der den nuklearen Holocaust miterlebt: „Mit dieser Erkenntnis wirst du erschöpft zu Boden sinken, neben einem anderen toten Körper, nichts mehr erwartend, nichts mehr hoffend, Deine Seele wird den Körper mit dem Wissen verlassen, daß das Beste erreicht ist.“

Ein Hoffnungsschimmer

Erkennt Majerantz gar keine Hoffnung in der Welt? Vielleicht doch ein wenig. Einmal wird die Erde sogar zu einem besseren Ort, indem ein himmlischer Robin Hood „die Manager mit Gewissen“ beschenkt: Ganze Konzerne gehen in Konkurs, aber Menschen, die in der Güterherstellung arbeiten, können aufatmen. Doch auf unsere Welt bezogen will der Autor wohl nur sagen, dass es zu einem solchen Happy End in der Realität nicht kommen wird, weil die Menschen „gewissenlos“ seien.

Die wohl positivste Erzählung ist die, in der „die Tage des Messias“ anbrechen: In der Stadt Dimona lesen die Menschen nun nicht mehr Psalmen, sondern interessieren sich für Grosz-Gemälde. Statt zum Tora-Studium gehen sie zu Gruppenorgien: „Dimona ist das Paris der 1920er Jahre geworden, ein Licht für die Nationen.“ Wenn der Welt etwas Hoffnung geben kann, dann ist es laut Majerantz wohl nicht Religion, sondern sozialliberale Werte und Kunst.

Läuterung der Seele

Die letztere Kerbe haut Majerantz mit seinem Buch. Die Kurzgeschichte „Glück ist relativ“ wirkt wie eine Parabel auf das ganze Buch: Hier lässt sich die Teilnehmerin eines Workshops drei Tage lang quälen, um das Leben danach mehr wertschätzen zu können: „Wie sie so langsam begraben wurde und Sand in ihre Kehle drang, fühlte sie zum ersten Mal in ihrem Leben, daß sie unbedingt atmen, unbedingt leben will! Sie stöhnte, versuchte zu entkommen.“

Einen ähnlichen Effekt bewirkt die Lektüre des Buches: Durch die Konfrontation mit dem Schmerz scheint das gewöhnliche Leben im Vergleich nicht mehr so schlimm. Die Wirkung ist Vergleichbar der „Katharsis“ nach Aristoteles: Laut dem antiken griechischen Philosophen erfährt der Zuschauer einer Tragödie durch das Durchleben von „Jammer und Schrecken“ eine Läuterung der Seele. Um selbst zynisch zu werden, könnte man es auch mit der Anziehungskraft von Sendungen über Hartz IV-Familien vergleichen: Im Angesicht tragischer Schicksale kommt dem Zuschauer das eigene weniger übel vor. Vielleicht ist das aber zu viel Deutung. Vermutlich ist schwarzer Humor einfach unterhaltsam.

Erez Majerantz: „Das Leben an sich ist das geringste aller Übel“, AphorismA, 116 Seiten, 15 Euro, ISBN: 978-3-86575-077-8

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