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Wenn ein Engel im Nahostkonflikt Gemüter besänftigt

In ihrem Debütroman „Am Boden des Himmels“ liefert die junge Autorin Joana Osman einen originellen Beitrag zum Thema „Versöhnung im Nahostkonflikt“. Dafür erhält sie den Phantastikpreis der Stadt Wetzlar – und erzählt bei der Verleihung, wie ihr auf einer Reise durch Israel und die Palästinensergebiete die Idee für das Buch kam.
Den Preis erhielt Joana Osman von Oberbürgermeister Manfred Wagner

WETZLAR (inn) – Ist er ein Engel – oder doch nur ein etwas kindlicher Araber aus Ostjerusalem? Sein arabischer Name „Malek“ jedenfalls bedeutet „Engel“. Und viele Araber halten ihn für ein himmlisches Wesen. Denn wo Malek Sabateen auftaucht, vergessen Menschen ihre Streitigkeiten und ihren Hass, gehen Schritte aufeinander zu und entwickeln Mitgefühl füreinander. Doch die israelische Polizei vermutet in dem 19-Jährigen den Anstifter zu einem Aufruhr in Tiberias, und er wird als möglicher Terrorist festgenommen. Dagegen demonstrieren dann zahlreiche Araber – und eine Journalistin versucht, durch ihre Recherche seine Freilassung zu erwirken.

Diese Handlung ist Teil des Romans „Am Boden des Himmels“ von der 1982 geborenen Autorin Joana Osman. Dafür hätten ihr eigene Erlebnisse in Israel und den Palästinensergebieten als Grundlage gedient, erzählt die Tochter eines aus dem Libanon stammenden Palästinensers und einer Deutschen bei der Verleihung des Phantastikpreises 2020 der Stadt Wetzlar. Es ist die erste Auszeichnung, die sie für ihr Romandebüt erhält. Die Jury hatte dafür über 60 Bücher zur Auswahl.

Joana Osman: „Am Boden des Himmels“, Atlantik, 288 Seiten, 22,90 Euro, ISBN 978-3-455-00653-7 Foto: Israelnetz/Elisabeth Hausen
Joana Osman: „Am Boden des Himmels“, Atlantik, 288 Seiten, 22,90 Euro, ISBN 978-3-455-00653-7

Doch nun ist es Joana Osman, die an diesem Freitagabend den Preis aus den Händen von Oberbürgermeister Manfred Wagner (SPD) in Empfang nimmt. Sie ist sichtlich gerührt und immer noch überwältigt. Vor einigen Jahren sei sie mit ihrem israelischen Freund Ronny Edry und dessen Frau durch Israel und das Westjordanland gefahren, sagt sie. An israelischen und palästinensischen Schulen und Universitäten referierte sie darüber, wie wertvoll Freundschaft über Grenzen hinweg sei. Die jüdischen Zuhörer hätten gefragt, was nötig sei, damit die Palästinenser ihr Trauma verstehen. Die Palästinenser hätten genau die umgekehrte Frage gestellt.

Kann Literatur die Welt verändern?

Im Auto kam ihr dann der Gedanke, dass dafür ein Wunder nötig sei. Und so entstanden die ersten Skizzen für das Buch. Bereits 2003 habe sie im Englisch-Abitur die Frage, ob Literatur die Kraft habe, die Welt zu verändern, mit „ja“ beantwortet. Literatur sei ein Katalysator der Macht, Ideen und Visionen reifen zu lassen.

Während des Schreibens fragte sich Joana Osman, wie Menschen das Trauma des Feindes am eigenen Leibe erfahren können. Und da sie für sich das Genre „Magischer Realismus“ gewählt hat, träumt in dem Roman die arabische Journalistin Layla, dass sie als jüdisches Mädchen von den Nazis deportiert werde und im Konzentrationslager Stacheldraht berühre. Als sie am Morgen erwacht, hat sie davon Blutspuren an ihren Händen. Dieses magische Erlebnis befähigt die Araberin, sich in Juden hineinzuversetzen. Dadurch hat möglicherweise auch die an sich unmögliche Liebe zwischen ihr und dem jüdischen Neurobiologen Lior Orly eine Chance.

Die Jury hat die Entscheidung unter anderem damit begründet, dass sich der Debütroman „mit viel Feingefühl des schweren Themas des Nahostkonflikts“ annehme. Weiter heißt es: „Über dem gesamten Text liegt ein Hauch des Wunderbaren, das es bräuchte, um diesen Konflikt zu lösen. Osman bewegt sich immer im Grenzbereich des Phantastischen, ohne jemals in Kitsch abzugleiten.“ Zudem heben die Juroren hervor, dass keine der Figuren zum bevorzugten Sympathieträger werde. In der Tat ergreift die Autorin keine Partei für eine der Seiten. Jede Figur hat ihre eigene Geschichte, die ihr mitunter schwer nachvollziehbares Verhalten zu erklären versucht. Der Roman wechselt laufend die Erzählperspektive, ohne den Leser zu überfordern.

Laudator: Menschen und Landschaften plastisch dargestellt

In der Laudatio weist Pfarrer Wolfgang Grieb von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Gießen-Wetzlar darauf hin, dass am Freitagabend, also während der Preisverleihung, für Juden der wöchentliche Ruhetag beginnt. Der Gruß „Schabbat Schalom“ deute den Wunsch an, dass wenigstens für ein paar Stunden der Hauch des himmlischen Friedens einkehren möge in die Zerrissenheit der Welt. Im Roman bleibe Maleks Identität geheimnisvoll, doch sein Auftreten verwandele die Menschen, die sich in der Nähe befänden. Auch andernorts geschehe Veränderung. Eine Schlüsselfunktion hat für ihn eine Szene, in der eine Scho’ah-Überlebende in einem arabischen Jungen namens Omar ihren Bruder Simon zu erkennen glaubt. Sie umarmt ihn, er fängt an zu weinen.

Man sehe diese und andere Menschen bei der Lektüre vor sich, rieche ihre Kochtöpfe, spüre ihre Verletzungen. Auch Landschaften und Ortschaften seien plastisch dargestellt, sagt Grieb. Für ihn, der mehrere Jahre in Israel lebte und auch die Palästinensergebiete kennt, würden Erinnerungen wach. Wer noch nie dort war, habe die Möglichkeit, aus der Ferne hautnah in den vielfältigen Alltag einzutauchen. Der Roman vermittle das Gefühl: „Du bist willkommen am Boden des Himmels“. Jeder könne ein Engel werden, und Engel seien zum Einreißen von Mauern nötig. Der Wetzlarer Pfarrer beendet seine Laudatio mit den Worten: „Vielen Dank für diese phantastische Reise!“

Nach der Preisverleihung: (v.l.) Klarinettist Travis Meisner, OB Manfred Wagner, Joana Osman und Laudator Wolfgang Grieb Foto: Israelnetz/Elisabeth Hausen
Nach der Preisverleihung: (v.l.) Klarinettist Travis Meisner, OB Manfred Wagner, Joana Osman und Laudator Wolfgang Grieb

Zum Motiv des Brückenbauens passt auch die musikalische Untermalung der Preisverleihung. Der Klarinettist Travis Meisner von der Wetzlarer Musikschule spielt Klezmerstücke. In einem sind die Verse 2 bis 4 aus dem 22. Psalm vertont: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe. Aber du bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels.“

Autorin aktiv um Frieden bemüht

Joana Osman hat ihren palästinensischen Vater, der in Beirut aufwuchs und mit einem Stipendium in München studierte, nicht kennengelernt. Nach der Hochzeit lebten ihre Eltern zwei Jahre im Irak, da sie sich wegen des Bürgerkrieges nicht im Libanon aufhalten konnten. 1979 kehrten sie nach Deutschland zurück, sagt die Mutter Maria Neubrand-Osman im Gespräch mit Israelnetz. Der Vater starb Ende 1983, als Joana 15 Monate alt war. Doch sie identifiziert sich mit seiner Herkunft – seine Eltern stammten aus Jerusalem und Jaffa –, kennt Verwandte unter anderem im Libanon und in der Türkei. Und ihr ist es wichtig, Grenzen zu überwinden.

Von der Verlegenheit während der Verleihung des Preises ist nichts mehr zu bemerken, als die 37-Jährige an die Gäste im Wetzlarer Rathaus appelliert: „Wir brauchen kein Wunder. Das Wunder für Frieden sind wir selbst.“

Dabei bleibt die junge Autorin nicht bei der Theorie. Mit dem Israeli Ronny Edry hat sie das Projekt „The Peace Factory“ (Die Friedensfabrik) gegründet. Unter diesem Dach sammeln sich mittlerweile Initiativen wie „Israel loves Iran – Iran loves Israel“, bei der sich Israelis und Iraner gegenseitig ihre Wertschätzung bekunden. Ähnliche Freundschaftsbekundungen gibt es auch zwischen Israelis und Palästinensern. Ein Versuch, zwischen den USA und Nordkorea zu vermitteln, scheiterte hingegen – weil es in Nordkorea kein Internet gebe. Doch Joana Osman ist zuversichtlich: Literatur und Phantasie seien ein Werkzeug gegen Hass. Sie hofft, dass ihr Buch ebenso wie das Projekt einen Beitrag dazu leisten kann.

Engagiert stellt Joana Osman ihr Friedensprojekt vor Foto: Israelnetz/Elisabeth Hausen
Engagiert stellt Joana Osman ihr Friedensprojekt vor

Der Wetzlarer Phantastikpreis ist mit 4.000 Euro dotiert. Er wird seit 1983 unter Mitwirkung der Phantastischen Bibliothek in der mittelhessischen Stadt verliehen. Die Jurymitglieder sind Literaturkenner aus Wetzlar und der näheren Umgebung.

Von: Elisabeth Hausen

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