JERUSALEM (inn) – Die Geschichte erinnert an ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht: Die Familie Banai, deren Vorfahren in ihrer Anfangszeit im Heiligen Land Außenseiter in einer eingeschworenen Gesellschaft sind, ist nach nur wenigen Generationen in der israelischen Künstlerwelt verwurzelt. „Jeder Israeli hat seinen eigenen Banai – manchmal sogar mehr als einen“, ist Kuratorin Tal Kobo überzeugt. Sie spielt darauf an, dass es die Künstler dieser Familie sind, die die Israelis geprägt haben und umgekehrt von den Israelis geliebt werden.
Die Jerusalemer Davidszitadelle zeigt in diesen Wochen eine Ausstellung zu dieser Künstlerfamilie. Als die Schau Mitte Juni eröffnet wird, sind noch nicht alle Schilder angebracht, in manchen Ecken wird noch geschraubt und das laute Bohrgeräusch im Hintergrund stört die musikalischen Einspieler.
Die Besucher lassen sich davon jedoch nicht beeindrucken: „Corona sorgt eben überall für Störungen und Verzögerungen“, sagt Orli. Die Rentnerin ist mit zwei ihrer Freundinnen zu Besuch aus Be’er Scheva gekommen. „Eigentlich sind wir eher zufällig heute hergekommen. Nach der langen Zeit der Ausgangssperren wollten wir mal wieder etwas Kultur erleben.“ Interessiert liest sie einen Abschnitt über die Schauspielerin Orna Banai.
Prägende Familiengeschichte
Der Name der Ausstellung „Das ist unsere Melodie“ ist dem Lied „Tip tippa“ des 1953 geborenen Sängers und Liedermachers Ehud Banai entnommen, ein Cousin Ornas. „Unsere Melodie“ – weil die Familiengeschichte der Banais in vieler Hinsicht charakteristisch ist für die Bevölkerung des jüdischen Staates; viele Israelis finden sich darin wieder.
Die Ausstellung ist zweigeteilt: Der erste Teil stellt die Geschichte der Familie und ihr Leben im Iran dar. Mehrere Hundert Jahre lebt die Familie Banai – damals hieß sie Bana – im persischen Schiras. Als Teil der jüdischen Gemeinde prägt sie das kulturelle Leben der muslimisch-persischen Umwelt maßgeblich mit – als Dichter, Musiker und Schauspieler. Die Ausstellung zitiert einen Bericht der internationalen jüdischen Kultur-Organisation Alliance Israélite Universelle aus dem Jahre 1903. Dieser besagt, dass 60 der 5.000 jüdischen Bewohner Sänger und Musiker waren, und dass alle drei Musikgeschäfte in der Stadt Juden gehörten.
Obwohl der Name Bana, „Bauarbeiter“, ihrer Berufsbezeichnung entspricht, sind sie neben der körperlichen Tätigkeit vor allem als Geschichtenerzähler und Musiker bekannt. Die Ausstellung zeigt das traditionelle Saiteninstrument Schurangiz sowie zahlreiche hebräische Texte mit persischen Malereien.
Neubeginn mit Hindernissen
Krankheit, Nahrungsmittelknappheit sowie ein verstärktes feindliches Klima durch ihre muslimische Umwelt führen dazu, den Traum der Familie von einer Rückkehr nach Jerusalem Wirklichkeit werden zu lassen.
Und so zeigt der zweite Teil der Ausstellung, wie die Familie im Heiligen Land Fuß fasst. Im Jahr 1881 wandern Rachamim und Rachel Bana mit ihren drei Söhnen Abraham, Isaak und Jakob nach Jerusalem aus. Ein halbes Jahr sind sie unterwegs, „doch als sie am Ziel ankamen, wurden sie nicht wirklich mit offenen Armen empfangen“, weiß Eilat Lieber, Direktorin des Museums der Davidszitadelle. Im Osmanischen Reich ist Jerusalem kein Prachtstück. Die Neueinwanderer leben zu Beginn in Zelten und in den verlassenen römischen Gräbern außerhalb der Altstadt.
In der Davidszitadelle ist eine Ausstellungswand mit dem Zitat des legendären Jerusalemer Reiseführers Avraham Mosche Lunz über diese Zeit versehen: Die Hütten der armen Bewohner der Jaffastraße seien für alle Passanten gut sichtbar und riefen Ekel hervor. „Die Hütten, welche sie mit ihren eigenen Händen erbaut haben, können ihr Leben nicht erhellen, denn sie sind aus kaputten Platten gebaut und mit alten Zinnstücken abgedeckt, ohne Boden und Dach. Sie haben keine Zisternen für Regenwasser oder Toiletten, und die Bewohner sind sowohl an kalten als auch an Regentagen gefährdet. Besucher dieses Viertels sind schockiert und rufen aus: ‚Das ist ein Viertel von Jerusalemer Zigeunern‘.“
Die kleine jüdische Gemeinschaft wird jedoch größer. Die Menschen beginnen, außerhalb der Altstadt Viertel zu bauen. Die Bana-Familie zieht mehrfach um. In dieser Zeit siedeln viele Juden aus dem Iran in der Gegend um den jüdischen Markt Machane Jehuda. Sie sind Teil der persischen Gemeinschaft und prägen durch ihre Musikalität auch das religiöse Leben in und um die Synagogen. Bis heute ist die Synagoge der „Liebenden Zions“ in der Schilostraße im Volksmund vor allem als die „Perser-Synagoge“ bekannt.
Vom Bauarbeiter zum Gemüsehändler
Als der Machane Jehuda gebaut wird, kauft Elijahu Jakob, der Enkel Rachamims, einen Laden für seinen Sohn Meir. Er soll es leichter haben als im Baugewerbe und darum Gemüsehändler werden.
Meirs Enkel Jakob, ein Ur-Ur-Enkel von Rachamim, hebraisiert schließlich den Familiennamen von Bana zu Banai. Ehud, ein Sohn Jakobs, schreibt ein Lied über die Wohnung seiner Großeltern Meir und Bechora über dem Gemüseladen, auf dem Machane Jehuda, „Birnenstraße 1“. „Dass die Banai-Familie tatsächlich in der Nummer 13 und nicht in der Nummer 1 wohnte, tut dem Erfolg des Liedes keinen Abbruch“, erzählt Lieber verschmitzt.
In Israel kennt das Lied fast jeder, in der Birnenstraße 13 trägt heute ein beliebter Hummus-Laden den Namen „Birne 1“ – und stolz verweisen die Betreiber auf das unscheinbare Namensschild der legendären Familie über dem Eingang.
Die Ausstellung macht deutlich, welche Rolle die Musik im Leben der ganzen Familie spielt. In einem Kurzfilm erzählt Uri Banai, wie die gesungenen Gebete, die Großvater Meir regelmäßig aus der Synagoge mitbrachte, ihn und seine Geschwister geprägt hätten.
„Natürlich sind wir ein Museum mit geschichtlichem Schwerpunkt. Doch vielleicht richtet sich die Ausstellung gar nicht in erster Linie an ein typisches Museumspublikum“, sinniert Lieber. „Wir wollen bewusst andere Menschen ansprechen. Menschen, die sonst eher selten ins Museum gehen. Die Banai-Familie bietet eine optimale Gelegenheit dazu, die Geschichte Jerusalems und Musik miteinander zu verbinden.“
Museumseröffnung mit Maskenpflicht
Ursprünglich war die Ausstellung in der Davidszitadelle für Anfang Mai angesetzt. Staatspräsident Reuven Rivlin hatte seine Teilnahme zugesagt, ebenso verschiedene Mitglieder der Banai-Familie. „Das Coronavirus zwang uns, umzuplanen, sodass wir die Ausstellung nun mit sechs Wochen Verspätung eröffnen“, erzählt Lieber Mitte Juni. Wie viele kulturelle Einrichtungen stehe auch die Davidszitadelle vor großen Herausforderungen. Doch Lieber will nicht aufgeben: „Unser Museum finanziert sich zu 80 Prozent aus Eintrittsgeldern, davon sind fast 60 Prozent Besucher aus dem Ausland. Dass wir nun ausgerechnet in einer Zeit, wo keine ausländischen Besucher kommen können, eine Ausstellung zeigen, die sich ohnehin in erster Linie an ein israelisches Publikum richtet, ist ein Glücksfall.“
Orli aus Be’er Scheva ist begeistert. Die Maskenpflicht hält sie nicht davon ab, sich auf den Inhalt zu konzentrieren: „Einfach toll! Hier wird deutlich, wie eng das Leben der Banais mit der Stadt Jerusalem verknüpft ist. In allen ihren Liedern und Werken spielt doch diese Stadt immer wieder eine Rolle.“ Gebannt schaut sie sich einen Filmausschnitt des Schauspielers Jossi Banai aus den 60er Jahren an. Obwohl 2006 gestorben, scheint er für Orli sehr lebendig: „Die Banais haben auch uns Nichtjerusalemern Jerusalem etwas näher gebracht.“
Von: mh