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Corona trifft deutsche Bürokratie

Briefpost ist in Deutschland bei offiziellen Dokumenten unverzichtbar. Das gilt offenbar auch bei eingeschränkten Verkehrswegen in der Corona-Krise. Doch manchmal geschieht ein Wunder. Eine persönliche Erfahrung von Ulrich W. Sahm
Bürokratie steht auch in Corona-Zeiten mitunter zwischen Deutschland und Israel

Zwischen Jerusalem und Deutschland gibt es mitunter bürokratische Hürden zu überwinden. Meine Krankenkasse, die DKV, ist ein Tochterunternehmen von ERGO. Sie wird also auch im Ausland durch ERGO vertreten. Die ERGO Group Aktiengesellschaft ist, so sagt jedenfalls Wikipedia, ein international tätiger Versicherungskonzern.

Problemfrei ist auch für ERGO, dass sie mir jeden Monat mitsamt Auslandsgebühr über 800 Euro vom Konto einzieht. Aber wenn es um eine Bescheinigung für einen Zuschuss der Künstlersozialkasse oder für die Steuerbehörde geht, dann scheint ausgerechnet diese deutsche Krankenversicherung noch wenig von Corona und den damit verbundenen weltweiten Problemen gehört zu haben.

Als Journalist durch menschenleere Straßen in Jerusalem zu gehen, ist für mich wenig interessant. Es bietet sich also an, in dieser Corona-Zeit Unterlagen für die Behörden zusammenzustellen. Zu diesem Zweck erbat ich bei ERGO einen Nachweis für die im vergangenen Jahr gezahlten Krankenkassenbeiträge. Dieser wurde denn auch freundlicherweise im Kundenportal unter „Meine Versicherungen“ abgespeichert. Als ich daraufhin aber versuchte, die PDF-Datei abzurufen, erwartete mich eine Überraschung: Sie war „sicherheitshalber“ mit einem Kennwort verschlüsselt. Das sei, so hieß es, per SMS an „das Handy“ geschickt worden.

Briefpost auch ohne Corona unzuverlässig

Ein Anruf bei ERGO via Skype ergab dank einer sehr freundlichen jungen Dame, dass für den Versand des Kennwortes eine uralte, seit Jahren nicht mehr gültige Telefonnummer verwendet worden sei. Auf Nachfrage erklärte sie, dass eine neue Telefonnummer speziell für die Akten gerne per Briefpost angemeldet werden könne. Ich versuchte der Dame von der Krankenversicherung zu erklären, dass die Briefpost wegen der Corona-Pandemie nicht mehr funktioniere, denn seit Wochen sind alle Flugverbindungen nach Israel eingestellt.

Wegen des Kriegszustandes könnten die Briefe auch nicht auf dem Landweg durch Syrien oder den Libanon nach Deutschland transportiert werden. Und selbst als die Luftpost noch funktionierte, hatten wir neulich einen am 11. November abgeschickten Behördenbrief erst Ende März beim Postamt vorgefunden. Nicht ungewöhnlich ist es zudem, an Ostern mit lauter Weihnachtsgrüßen eingedeckt zu werden.

Die junge Dame am Telefon äußerte „großes Verständnis“, beteuerte aber, sie könne die Regeln nicht ändern. Als Ausweg empfahl sie, doch mal bei den deutschen Ämtern anzurufen, die für die Regeln des Datenschutzes zuständig seien. Zwischendurch entschuldigte sie sich und versprach, in wenigen Minuten per Telefon zurückzurufen.

Telefonnummer offensichtlich bekannt, aber …

Es geschah ein Wunder: Denn ausgerechnet mein gültiges deutsches Handy klingelte und besagte junge Frau meldete sich zurück. Ich fragte, warum denn nicht genau diese Telefonnummer auch für den Versand des Kennworts verwendet werden könne. Sie antwortete: „Das geht nicht und würde hier gegen die Regeln verstoßen.“ Denn erst muss per Brief nachgewiesen werden, dass es sich wirklich um mein Handy handle. Sie hatte an der Stimme erkannt, dass der Antragsteller und die Person am Handy identisch waren, und sie hatte auch meine deutsche Handynummer vorliegen, aber die sei eben in meinen Unterlagen nicht der israelischen Postadresse zugeordnet. Und bei ordentlichen deutschen Versicherungen gibt es Regeln.

„Aber Sie wissen doch, dass ich es bin!“. Keine Chance. Die Dame darf mich zwar anrufen, weil sie meine Nummer hat, aber eine SMS auf selbiges Handy durch das zum Behufe des Datenschutzes gesicherte System von ERGO kann ich nur erhalten, wenn ich besagte spezielle Telefonnummer vorher per Briefpost ordnungsgemäß für die Übersendung von Codes für die Freischaltung der Unterlagen angemeldet habe. Und wichtige Unterlagen zustellen, das darf man, wie gesagt, in Deutschland nur per Briefpost.

„Gerade jetzt wollen wir Ihre Anliegen so einfach, schnell und bequem wie möglich lösen.“ ERGO

Als treuer Kunde in Israel hat man gerade jetzt auch weiterhin das Vergnügen, pünktlich zahlen zu dürfen. „Einfach, schnell und bequem“, ganz wie es die ERGO verspricht, geht das Geld monatlich vom Konto runter. Alles online, alles kontaktlos. Der Weg ins ERGO-Archiv erfolgt aber offensichtlich ausschließlich per Brieftaube. Anders ist es nicht zu erklären, dass Unterlagen, die man braucht, um dann einen Onlinezugriff auf die Bescheinigungen zu erhalten, auch in Zeiten von Corona selbstverständlich nur und ausschließlich per Post verschickt werden dürfen.

Somit wäre auch der tiefere Sinn des zweiten bekannten Werbespruchs von ERGO geklärt: „Ihr Partner für Versicherungen, Vorsorge und Vermögen mit Experten direkt in Ihrer Nähe.“ Was Nähe ist, das definiert in Deutschland eine Vorschrift mit Briefpostzwang. Und das muss dann ebenfalls per Brief bestätigt werden.

Weiteres Hindernis: Die Postleitzahl

Also versuchten wir es mit der Eingabe der Postadresse im Kundenportal. Die erste Hürde erschien prompt beim Einfügen der Postleitzahl. Falls die nämlich mehr als die in Deutschland üblichen fünf Ziffern enthält, meldet das System sofort in knallrot: „Fehlermeldung. Bitte fügen Sie eine gültige Postleitzahl ein.“ Wenn also schon die Postleitzahl nur deutsch sein darf, wie soll dann der Brief überhaupt ankommen?

In manchen Ländern des Orients gibt es zudem nicht überall Hausnummern, die davon betroffenen Bewohner benutzen, wie im Übrigen auch sonst viele Kunden, einfach Postfächer. Ortsbezeichnungen wie „am Ende der Straße, dritte Palme rechts, kurz vor dem Weg zum Park“ würde ein ordentlicher Deutscher wohl auch nicht nachvollziehen können, zumal die Wegbeschreibung mit den kryptischen Buchstaben der jeweiligen örtlichen Community vermerkt werden müsste, damit der lokale Postzusteller sie auch versteht. In einer Gegend wie der meinigen, die anders als das Stadtzentrum von Düsseldorf öfter mal von Anschlägen heimgesucht wird, könnte zudem so einen netten ordentlichen typisch deutschen Briefkasten auch das Schicksal ereilen, zum Beispiel als Bombendepot missbraucht zu werden. Das wäre einer ordnungsgemäßen Briefzustellung an besagte Adresse ebenfalls abträglich.

Und die Bescheinigung einfach mal ausnahmsweise an meine normale Mail-Adresse zu schicken, derzeit die einzige funktionierende Kommunikationsmöglichkeit, verstoße auch gegen die Regeln und sei „nicht möglich“. Denn ERGO verfüge nicht über normales Internet oder über Versandmöglichkeiten per E-Mail. Dass dem geschätzten Kunden dadurch aktuell und bis ans „Ende von Corona“ mehrere Tausend Euro fehlen, „tut uns leid“, sei aber nicht zu ändern. Die Bescheinigung liegt also immer noch für lange Zeit unerreichbar im verschlüsselten Kundenkonto von ERGO, denn wahrscheinlich wird es noch Monate dauern, bis wieder Flugverkehr nach Israel eingerichtet ist und der normale Postweg offensteht.

Wo ein Wille ist …

Nachtrag: Eben erreicht mich die Nachricht, man wolle versuchen, eine Ausnahmegenehmigung zu erwirken, um meine israelische Handynummer auch ohne vorheriges Anschreiben aus Deutschland und postalische Bestätigung meinerseits ins System einfügen zu dürfen. Ich bin gespannt.

Inzwischen geschah noch ein Wunder: Deutschlands größter Versicherer mit über 28.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 18,7 Milliarden Euro Umsatz (2018) hat sich jetzt doch einen PC geleistet und E-Mail eingerichtet. Die seit Anfang April gewünschte Bescheinigung ist auf diesem Wege unverschlüsselt eingetroffen, trotz aller Datenschutzbestimmungen. Die haben wohl aus der Zeitung erfahren, dass es Corona in der Welt gibt. ERGO sei gedankt.

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