Mit dem Beginn des jüdischen Monats Adar ist in den Straßen Israels und besonders in Jerusalem immer wieder eine Melodie zu hören: „Mi sche-nichnas adar, marvin simcha – Wer in den Monat Adar eintritt, vermehrt seine Freude.“ Israelis spielen, flöten und singen diesen Satz so, als würde sich diese Freude mit Beginn des neuen Monats automatisch einstellen.
Es ist die Vorbereitung auf Purim, das wohl bunteste und vielleicht beliebteste Fest im jüdischen Kalender. Es beginnt in diesem Jahr am Abend des 9. März und wird bis zum Abend des 10. März gefeiert. In Jerusalem und anderen Städten beginnt Purim jedoch erst einen Tag später, so dass es am Abend des 11. März endet.
Der Name geht auf das akkadische Wort „puru“, „Los“, zurück. Gemeint sind die Lose, die Haman geworfen hatte, um den Tag zu bestimmen, für den er den Völkermord an den Juden geplant hatte. Im biblischen Buch Ester steht in 3,7 geschrieben: „Im ersten Monat, das ist der Monat Nisan, im zwölften Jahr des Königs Ahasveros, wurde das Pur, das ist das Los, geworfen von Haman, von einem Tage zum andern und von Monat zu Monat, und das Los fiel auf den dreizehnten Tag im zwölften Monat, das ist der Monat Adar.“
Besessen vom Vernichtungswillen
Der Name Ester stammt aus dem Persischen und bedeutet „Stern“. Der hebräische Name ist „Hadassa“, das bedeutet „Myrte“. Die Geschichte von Ester spielt am Hof des persischen Königs Ahasveros. Eine jüdische junge Frau wird zur Königin gewählt und gelangt dadurch zu Macht und Einfluss. Mithilfe ihres Verwandten Mordechai gelingt es ihr, ihr Volk vor dem erklärten Vernichtungswillen des Großwesirs des Königs, Haman, zu retten. Gemäß Ester 3,8 hatte der Intrigant gegen die Juden gewettert: „Es gibt ein Volk, verstreut und abgesondert unter allen Völkern in allen Provinzen deines Königreichs, und ihr Gesetz ist anders als das aller Völker, und sie tun nicht nach des Königs Gesetzen. Es ziemt dem König nicht, sie gewähren zu lassen.“
Den obszessiven Wunsch Hamans, das jüdische Volk zu vernichten, konnte Ester durch List und durch die Gunst des Königs verhindern. Die Bibel berichtet in Ester 8,16f.: „Für die Juden aber war Licht und Freude und Wonne und Ehre gekommen. Und in allen Provinzen und Städten, an welchen Ort auch immer des Königs Wort und Gesetz gelangte, da war Freude und Wonne unter den Juden, Gastmahl und Festtag.“ Das Fest selbst wurde von Mordechai eingesetzt und war bei den Makkabäern auch als „Gedenktag des Mordechai“ bekannt (2. Makkabäer 15,26).
Die Rettung symbolisiert den Sieg des jüdischen Volkes über – mit dem heutigen Vokabular ausgedrückt – Antisemiten und hat sich deshalb im Laufe der Geschichte zu einem fröhlichen Fest entwickelt. Obwohl der Gottesname im ganzen Buch nicht einmal erwähnt ist, nahmen die aus dem Exil zurückgekehrten Juden die Geschichte als Beweis dafür, dass Gott sein Volk beschützt. Das Buch selbst spricht nicht vom Gebet, doch es wird beschrieben, wie Ester fastet, bevor sie ungebeten vor den König tritt. Religiöse Juden legen darum einen Tag vor Purim das „Ta’anit Ester“, einen Fastentag, ein.
Bibellesung mit Krach
Wann das Buch Ester entstand, ist nicht geklärt. Viele Historiker gehen jedoch davon aus, dass es noch vor der Eroberung Persiens durch die Griechen fertiggestellt wurde, also vor 330 vor unserer Zeitrechnung.
In der hebräischen Bibel ist das Buch Ester den Schriften, den Ketubim, zugeordnet und ist eine der fünf Megillot, der sogenannten Festrollen. Während des Purim-Festes wird im Abend- und im Morgengottesdienst in den Synagogen die ganze Megilla gelesen, das ganze Buch Ester. Dabei ist es Kindern eine besondere Freude, wenn Sie bei der Lesung des Bösewichts Haman möglichst viel Krach machen dürfen. Eigens für diesen Zweck hergestellte Ratschen und Rasseln helfen dabei.
Das Buch Ester gebietet das Teilen von Gütern mit den Armen, sowie das „Senden von Geschenken“. In Ester 9,19 heißt es: „Darum machen die Juden, die verstreut in den Dörfern und Höfen wohnen, den vierzehnten Tag des Monats Adar zum Tag des Festmahls und der Freude und senden einer dem andern Geschenke.“ Auch nicht-religiöse Israelis schenken sich heute liebevoll gepackte Körbchen mit frischen Teigwaren wie Hamantaschen beziehungsweise „Haman-Ohren“, wie sie auf Hebräisch genannt werden. Auch Schokolade und andere Süßigkeiten gehören zu den Gaben.
Gemäß der Überlieferung in Ester 9,16–19 sollten Juden aus Susa den Feiertag einen Tag später feiern. Die Rabbiner bestimmten, dass diese Regel für alle Juden gelten soll, die in Städten leben, die zur Zeit von Josua von einer Mauer umgeben waren. In Städten, in denen Unsicherheit herrscht, ob sie zur Zeit Josuas ummauert waren, begehen Juden vorsichtshalber an beiden Tagen das Purimfest.
Mittelalterliche Tradition
Wegen seiner ausgelassenen Atmosphäre und der fröhlichen Lieder ist das Fest sehr beliebt. Verkleidungen sind ein wichtiger Bestandteil: Die Rolle der Königin Ester ist vor allem in religiösen Kreisen bei kleinen Mädchen beliebt, Jungen verkleiden sich gerne als Polizisten oder Feuerwehrmänner, Soldaten oder Helden aus dem Fernsehen.
Auch bei den Erwachsenen ist die Spannbreite der Kostüme groß. Viele fertigen sie mit einigem Aufwand selber an, andere rennen noch in letzter Minute in einen der zahlreichen Läden mit Billigwaren aus China. Amerikanische Juden berichten, wie sie sich bereits zu Halloween Gedanken machen, welche Kostüme sie zu Purim tragen. „In Amerika gibt es eine viel größere Auswahl von Verkleidungen, als wir sie hier in Israel haben“, stellen Einwohner des jüdischen Staates regelmäßig fest.
Dabei entstand der Brauch der Kostüme nicht in Persien im 5. Jahrhundert, sondern 1.100 Jahre später und mehr als 3.000 Kilometer entfernt im christlichen Europa des Mittelalters. Ähnlich wie der Karneval der vorösterlichen Fastenzeit vorausgeht, ist auch Purim ein Hinweis auf das 30 Tage später folgende Pessach-Fest. Im Neuen Testament wird das Buch Ester nicht zitiert.
Aufruf zum Betrinken
Aus dem babylonischen Talmud stammt das Konzept Adlojada, was Aramäisch ist und so viel heißt wie „bis er nicht mehr wusste“. Der jüdische Gelehrte Rabbah bar Nachmani (3./4. Jahrhundert) forderte, dass gläubige Juden zu Purim soviel Alkohol trinken sollten, bis sie nicht mehr zwischen dem „verfluchten Haman und dem gesegneten Mordechai“ unterscheiden könnten.
Nach diesem Prinzip wurde 1912 auch der traditionelle Purim-Umzug in Tel Aviv benannt, der, angelehnt an Karneval-Umzüge aus der ganzen Welt, bis heute mit überdimensional großen Figuren des politischen und öffentlichen Lebens gestaltet wird.
Purim in Zeiten des Coronavirus
Auch wenn Purim in Israel kein offizieller Feiertag ist, bleiben viele öffentliche Institutionen geschlossen oder arbeiten verkürzt. Schulen sind geschlossen, der öffentliche Verkehr ist nicht eingeschränkt.
In diesem Jahr findet Purim wegen des Coronavirus unter besonderen Umständen statt. Die legendären Purimfeiern am Jüdischen Markt Mahane Jehuda und im angrenzenden Viertel Nachlaot sind abgesagt. Die Stadtverwaltung hat allerdings in den Sozialen Netzwerken darauf hingewiesen, dass die Straßen gesperrt werden. „Wir lassen uns überraschen und sind für alle Fälle gerüstet“, sagen Studenten aus der Gegend. „Wenn die Feiern ausfallen, müssen wir eben zu Hause selber welche organisieren. Falls die Stadt doch was macht, umso besser.“
Als Traktor, Engel, Roboter, Beseitiger des Coronavirus und Indianer besuchten Viertklässler der Henrietta-Szold-Schule am Sonntag die Residenz des israelischen Präsidenten Reuven Rivlin. Dieser schüttelte aufgrund der aktuellen Vorschriften des israelischen Gesundheitsministeriums zwar keine Hände, doch wünschte er „Euch und allen Israelis ein fröhliches Purimfest“. Angesichts des Coronavirus sagte er: „Nichts wird uns stoppen zu feiern und fröhlich zu sein.“ Den Vorschlag der Kinder, statt dem Handschütteln ihre Füße aneinanderzustoßen, nahm Rivlin begeistert an und nannte es „eine wunderbare Idee“.
Von: mh