Wenn Zehntausende Menschen bei strömendem Regen zum Begräbnis eines Politikers kommen, hat dieser im Leben wohl vieles richtig gemacht. Vor 40 Jahren, am 29. Februar 1980, starb Jigal Allon, bis 1977 israelischer Außenminister, im Alter von 61 Jahren an einem Herzanfall. Eine Prozession brachte den Leichnam am 3. März vom Krankenhaus in Afula in seinen 35 Kilometer entfernten Wohnort, Ginossar am nordwestlichen Ufer des Sees Genezareth. Mitte der 1930er Jahre hatte Allon den Kibbutz mitbegründet.
Zahlreiche politische, militärische und andere gesellschaftliche Führungsfiguren zollten Allon Respekt. Dabei hoben sie sein militärisches Genie als Kommandeur der Palmach und später in der Armee hervor. Unter Allons Kommando gelang es Israel etwa, die Ägypter im Unabhängigkeitskrieg 1948/49 in der Negev-Wüste zurückzudrängen.
Doch auch Allons Friedensbemühungen fanden Erwähnung. Sogar der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat meldete sich in einer Mitteilung zu Wort und bekundete sein Beileid. Er würdigte das Engagement des damaligen Außenministers beim Abzug israelischer Truppen vom Sinai Mitte der 1970er Jahre – ein Schritt auf dem Weg zum 1979 geschlossenen Friedensvertrag. Tatsächlich entsprach es Allons Vorstellung, dass der Friede nicht auf einmal kommen würde. Vielmehr bedürfe es kleiner Schritte, um Vertrauen herzustellen – einer dieser Schritte war eben das Abkommen Sinai II zwischen Israel und Ägypten.
Ein Plan für Nahost
Auch mit Jordanien hatte Allon eigentlich diese Kunst der kleinen Schritte im Blick, um dauerhaft zu einem Frieden zu kommen. Sein 1967 nach dem Sechs-Tage-Krieg vorgestellter Plan, heute bekannt als „Allon-Plan“, war dazu ein Mittel: Dieser sah eine israelische Annektion von Teilen des Westjordanlandes, mitsamt des Jordantales, vor. Die vorwiegend arabisch besiedelten Teile des Gebietes sollten hingegen in einen politischen Verbund mit Jordanien gebracht werden. Mit anderen Worten: Der Plan betonte die Bedeutung sicherer Grenzen – die Kontrolle des Jordantales –, bei gleichzeitiger Bereitschaft zu territorialen Kompromissen.
Hinter diesem Plan steckte eine Haltung, die Historiker heute als eine „Mischung von Taube und Falke“ beschreiben: Die Auffassung, dass Israel nur in sicheren Grenzen überleben könne – und dass unter Voraussetzung dieser Sicherheit aber auch Frieden mit den Ländern der Region möglich sei. Andere bekannte israelische Politiker wie Mosche Dajan gingen von einer grundsätzlichen Gegnerschaft in der Region aus, die unlösbar schien und nur durch entschiedene Sicherheitspolitik eingedämmt werden könne.
In den 1970er Jahren traf sich Allon dreimal mit dem jordanischen König Hussein, um diese Angelegenheiten zu besprechen. Nach außen hin zeigte sich Hussein freilich kompromisslos, er trage Verantwortung für „jeden Zentimeter“ Land. Heute lässt sich nur darüber spekulieren, was passiert wäre, wenn es Allon vergönnt gewesen wäre, als Kandidat der Arbeitspartei bei den Wahlen 1981 anzutreten und Regierungschef zu werden – in den letzten Lebensjahren arbeitete er auf dieses Ziel hin. Und in der Position des Premierministers hätte er sicher versucht, seinen Plan voranzubringen.
Amt und Verzicht
Tatsächlich hegte Allon schon lange Ambitionen auf den Regierungsposten. Nach dem Tod Levi Eschkols 1969 führte er die Regierungsgeschäfte übergangsweise und war neben Mosche Dajan einer der Favoriten für eine dauerhafte Amtsübernahme. Vom damaligen Generalsekretär der Arbeitspartei, Pinchas Sapir, ließ er sich aber davon überzeugen, Golda Meir den Vortritt zu lassen. Als Meir 1974 zurücktrat, bot sich die nächste Gelegenheit. Doch aus Parteiräson zog er zurück, so dass Jitzchak Rabin den Posten bekam. Damit wurde nicht er, sondern Rabin der erste Premier, der im Land geboren wurde, nämlich 1922 in Jerusalem.
Allon kam 1918 in Kfar Tabor zur Welt. Im Alter von 27 Jahren war er bereits Kommandeur der paramilitärischen Palmach, und mit 30 Jahren der mit Abstand erfolgreichste Kommandeur der israelischen Armee im Unabhängigkeitskrieg. Allerdings war er sich mit Staatsgründer David Ben-Gurion nicht grün: Dieser hatte Anfang 1949 den israelischen Vormarsch im Sinai beendet, Allon wollte weiter kämpfen. Aufgrund dieses Streites machte Ben-Gurion später nicht Allon zum Armeechef, wie es viele erwartet hatten, sondern Jigael Jadin.
Vielleicht ist diese Konstante in der Biographie Allons, letztlich nie „ganz nach oben“ gekommen zu sein, ein Grund dafür, dass sein politisches Vermächtnis heute unterschätzt wird. Ein Schimon Peres, der Mitte der 1970er Jahre als Verteidigungsminister gegen das Sinai-Abkommen war und zuletzt als Vertreter des „Friedenslagers“ galt, ist in der historischen Erinnerung weitaus präsenter. Das beklagt jedenfalls der israelische Historiker Udi Manor. Der 40. Todestag bietet Anlass, Allons Vermächtnis neu zu bedenken.
Von: Daniel Frick