JERUSALEM (inn) – Spätestens bis Mittwoch um Mitternacht müssen Israels Parteien dem Wahlkomitee ihre Kandidatenlisten zu den bevorstehenden Parlamentswahlen am 2. März 2020 einreichen. Erst danach wird bekannt sein, welche Parteien zur Wahl stehen. Besonders bei den linken Parteien herrscht Untergangsstimmung.
Der altehrwürdigen und einst allmächtigen Arbeitspartei, die 1948 den Staat gegründet und jahrzehntelang allein mit absoluter Mehrheit regiert hatte, droht laut Umfragen der Sturz unter die Sperrklausel von 3,25 Prozent und damit das Aus. Gleiches gilt für die Linkspartei Meretz. Um zu überleben, haben die derzeitigen Köpfe dieser Parteien einen Zusammenschluss beschlossen. Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte sich die Arbeitspartei mit der kleineren Gescher-Partei zusammengeschlossen.
In den Wahlurnen werden im März Zettel mit der Aufschrift „Emet“ (Wahrheit) ausliegen, dem mythologischen Kennzeichen der Arbeitspartei. Doch die führenden Kandidaten zählen eher zu der als „linksextrem“ eingestuften Meretzpartei.
Unmut bei Kandidatenwahl
Zu den wichtigsten Kandidaten dieses neuen Parteienbündnisses zählen der offen schwul lebende Nitzan Horowitz sowie der ehemalige Verteidigungsminister und Arbeitsparteivorsitzende Amir Peretz. Unmut gibt es wegen der Kandidaten für die hinteren Plätze, die teilweise „unreal“ sind, weil sie kaum eine Chance haben, in die nächste Knesset gewählt zu werden.
Ausgeschlossen wurde die prominente Stav Schaffir. Ihr wurde der zweite Platz auf der Liste und ein künftiger Ministerposten verwehrt. Daraufhin hat sie beschlossen, sich mit einer winzigen „Grünen Partei“ zur Wahl zu stellen, oder aber mangels Zuspruch ganz auf eine weitere politische Karriere zu verzichten. Empörung äußerte der arabische Kandidat Issawi Fredsch. An 11. Stelle platziert hat er kaum eine Chance, im März Abgeordneter zu werden und will deshalb das Parteienbündnis verlassen. Das aber würde bedeuten, dass die israelische „Linke“ ohne einen einzigen arabischen Kandidaten antreten würde.
Für eine Partei, die sich ideologisch als das Heim der Befürworter einer ansonsten in Israel wenig populären Zwei-Staaten-Lösung sowie der Kooperation mit den knapp 1,3 Millionen Arabern im Lande präsentiert, wäre das ein Schlag gegen den Anspruch und das Ansehen der Linken. Das könnte viele entscheidende Stimmen kosten. Denn die Araber, rund 20 Prozent der Wähler, könnten darauf verzichten, ihre Stimme einer linken zionistischen Partei zu geben und stattdessen das „anti-israelische“ arabische Parteienbündnis wählen. Da die arabische „Vereinigte Liste“ grundsätzlich keine Chance hat, Mitglied einer Regierungskoalition zu werden, könnte die Konstellation manche Wähler abschrecken, das neue Linke Bündnis zu wählen. Grundsätzlich gilt die große Frage, ob ein Zusammenschluss traditioneller großer Parteien mit extremistischen kleinen Fraktionen Wähler anzieht oder eher abstößt.
Verglichen zu Deutschland, würde das heißen, dass SPD, Grüne und die Linke wegen der Sperrklausel vom elektoralen Verschwinden bedroht wären und sich dann zu einem neuen Bündnis gemeinsam mit den Überbleibseln der KPD zusammenschlössen. Es ist zu vermuten, dass traditionelle Sozialisten oder Umweltschützer sich nicht mehr „zuhause“ fühlen könnten.
Geschwächte Linke oder Hoffnungsschimmer?
Die israelische Tageszeitung „Yediot Aharonot“ bezeichnet den Zusammenschluss der Parteien als „Flammenanzünder der Hoffnung“. Und auch wenn die neuen Parteilisten bisher noch nicht vorliegen – als sicher gilt, dass die traditionelle israelische Linke erneut einen Schlag erhalten und sich nur geschwächt über Wasser halten kann. Im Zusammenhang von Avoda und Meretz spricht die Tageszeitung „Ha’aretz“ von einer „Zwangsheirat“. Zustimmung bekam das neue Bündnis inzwischen vom Vorsitzenden der Blau-Weiß-Partei, Benny Gantz. Dieser begrüßte die Zusammenführung ausdrücklich: „Es ist richtig, dass es eine Partei geben wird, die sich innerhalb des politischen Spektrums links von unserer Partei befindet.“
Für Aufregung sorgte zudem der Likud-Politiker Mosche Kachlon. Der amtierende Finanzminister gab bekannt, dass er sich im März nicht erneut zur Wahl stellen wolle. Nach Führung des Finanzministeriums in den vergangenen fünf Jahren sei er erschöpft und wolle außerdem künftig gern mehr Zeit mit seiner Familie verbringen.
Von: Ulrich W. Sahm/mh