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Der Mauerfall aus israelischer Sicht

Der Fall der Berliner Mauer löste in Israel Furcht und Freude aus. Zum 30. Jahrestag gedenken israelische Medien ausführlich des historischen Ereignisses – und betonen die postiven Aspekte.
Gedenken: Moderatorin Antonia Yamin erklärt den israelischen Zuschauern, was es mit der Berliner Mauer auf sich hatte

„Freude über den Fall der Mauer; Furcht vor einer deutschen Einheit“ – diese Schlagzeile der israelischen Tageszeitung „Yediot Aharonot“ aus dem November 1989 fasst die widersprüchlichen israelischen Gefühle jener bewegenden Tage vor 30 Jahren zusammen. Zur Anteilnahme an der Freude derjenigen, die sich ihre Reisefreiheit mit friedlichen Mitteln erkämpft hatten, gesellte sich die Furcht vor dem Wiedererstarken des Landes, das keine 50 Jahre zuvor den Massenmord an sechs Millionen Juden organisiert hatte.

Damals konnte keiner ahnen, in welche Richtung sich Deutschland entwickeln würde. Doch nach dem Tod des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) schrieb die Zeitung am 20. Juni 2017 über Verträge, die er mit dem damaligen israelischen Regierungschef Jitzchak Schamir in den 80er Jahren abgeschlossen hatte. Weiter heißt es in dem Nachruf: „Etwa sechs Jahre später fällt die Berliner Mauer und Helmut Kohl vereinigt Ost- und Westdeutschland. Manche befürchteten, dass wieder ein großes Deutschland entstehen würde, ein Viertes Reich. Unter ihnen waren Holocaustüberlebende, die laut ihre Stimme erhoben. Gerade Schamir und (Schimon) Peres, die den Standpunkt und die Aufgabe des modernen Deutschlands verstanden, unterstützten die Einheit, und Kohl, der diese moralische Unterstützung brauchte, war Israel bis zu seinem letzten Tag dankbar.“

Wiedervereinigung nur auf der „fast messianischen“ Tagesordnung

Direkt nach dem Fall der Mauer rechneten die Israelis allerdings nicht mit einer Wiedervereinigung. Der Botschafter in Bonn, Benjamin Navon, schrieb am 14. November 1989 in einem Telegramm nach Jerusalem: „Die Angelegenheit der deutschen Einheit stellt für Israel nur bezüglich der Zunahme des deutschen Nationalismus ein Thema dar. Die Einheit ist vielleicht auf der ‚fast messianischen‘ Tagesordnung in Deutschland, aber sicher nicht auf der faktischen Tagesordnung.“

Anlass für das Telegramm war eine bevorstehende Debatte in der Knesset. Der Diplomat zitierte den Vorsitzenden der Republikaner, Franz Schönhuber, der zu den Flüchtlingen aus der DDR geäußert hatte: „Soll GSD-Pack drüben bleiben“. Navon betonte, dass sich Deutschland im Vergleich zur Nazizeit verändert habe: „Wenn Schönhuber, der sich nicht davor scheut, nationalistische Gefühle für seine politischen Bedürfnisse zu nutzen, dieses Thema nicht bemüht, gibt es eine Grundlage für die Annahme, dass Nationalismus und Einheit im heutigen Deutschland nicht zwangsläufig Hand in Hand gehen.“

Am 16. November wies das Außenministerium die israelischen Vertretungen an, Ostdeutschland aufzurufen, die historische Verantwortung für die Scho’ah zu übernehmen, wie es Westdeutschland bereits getan habe. In der DDR gab es allerdings keinen israelischen Botschafter, weil die beiden Länder nie offizielle Beziehungen hatten. Das Ministerium bekundete Unterstützung für Freiheit und Demokratie. Bei der Frage der Einheit Deutschlands forderte es eine neutrale Haltung. Botschafter Navon sprach am 21. November mit dem ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt. Der SPD-Politiker erwartete zu jenem Zeitpunkt keine baldige Einheit, sondern eine Föderation.

„In ihrem Herzen eine Mauer“

Doch wie geht Israel heute mit dem Gedenken an den Mauerfall um? Zum 30. Jahrestag brachte die Rundfunkanstalt „Kan“ eine Dokumentation unter der Überschrift: „BeLiba Choma“. Die hebräischen Worte sind dem bekannten Lied „Jeruschalajim schel Sahav“ (Jerusalem von Gold) von Naomi Schemer entnommen, in dem es um das geteilte und nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 wiedervereinigte Jerusalem geht. Die Übersetzung lautet: „In ihrem Herzen eine Mauer“.

In dem Beitrag kommen Zeitzeugen zu Wort, auch ein ehemaliger ostdeutscher Häftling. Der Überwachungsterror der Stasi und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit sind anschaulich dargestellt. Moderatorin Antonia Yamin geht am noch bestehenden Rest der Mauer entlang und sagt: „Es war die wichtigste Nacht in der Geschichte des modernen Deutschlands. Am 9. November 1989, als Massen die Berliner Mauer zu Fall brachten, gab dies das Signal für die Einheit Deutschlands. Es war auch die Nacht, die in der Folge Deutschland zur wichtigsten Großmacht in Europa machte. Schwer zu glauben, aber Deutschland, wie wir es heute kennen, besteht insgesamt 30 Jahre. Ein junger Staat in jeder Hinsicht.“

Auch die linksgerichtete Tageszeitung „Ha’aretz“ widmet sich dem Thema. „30 Jahre nach ihrem Fall ist die Berliner Mauer immer noch Teil der DNA der Stadt“ lautet die Schlagzeile eines Artikels, in dem es unter anderem um die noch bestehenden Unterschiede zwischen Ost und West geht.

Israelischer Zeitzeuge: Neonazis demonstrierten für Großdeutschland

Die Zeitung „Ma’ariv“ wiederum lässt einen Israeli zu Wort kommen, der im November 1989 die historischen Ereignisse live miterlebt hat – Gideon Kotz. Bereits zehn Jahre zuvor war er, ausgehend von der Leipziger Messe, auf Einladung der Behörden durch die DDR gefahren. Mit Blick auf die Holocaust-Verbrechen habe er sich damals gedacht: „Endlich sehe ich Deutsche, die bestraft werden“, erinnert er sich. „Traurigkeit und Eintönigkeit herrschten überall. Dieser Eindruck änderte sich natürlich mit dem Übergang in den Westen.“

Am 9. November war Kotz in West-Berlin und wartete an der Mauer: „Von der anderen Seite der Mauer waren laute Schläge zu hören. Die Mauer begann zu zittern. Die Geräusche von der anderen Seite waren immer deutlicher zu hören. Die Gemeinde des Westens, Berliner um mich herum, hielt ihren Atem an. Sehr langsam öffnete sich ein kleines Loch in der Mauer, und Steine begannen zu fallen. Plötzlich erschien ein Kopf und danach Beine und der Körper eines jungen Mannes, mager und schwärzlich. Hinter ihm kam eine junge Frau mit zerrissenen Jeans heraus. Solche Dinge gibt es also auch im Osten. Man konnte Tränen in den Augen der beiden sehen. Die Deutschen, die normalerweise zurückhaltend sind, begannen laut zu rufen und zu klatschen. Ein kleiner Junge kam mit Blumen in seinen Händen angerannt und reichte sie der jungen Frau.“

Auch der „Ma’ariv“-Autor erwähnt das Thema Nationalismus: „Unter den Tausenden Neugierigen, die sich am Brandenburger Tor versammelten, stachen neonazistische Demonstranten hervor, die Flaggen schwenkten und dazu aufriefen, Großdeutschland wieder aufzurichten.“

Jüdische Gemeinde im Osten hatte positive Erwartungen

Kotz sprach auch mit dem damaligen Leiter der jüdischen Gemeinde in Ost-Berlin, Peter Kirchner. Dieser äußerte ihm gegenüber die Vermutung, „dass die Öffnung der Tore die Gemeinde positiv beeinflussen würde und endlich die Aufnahme von Beziehungen mit der Schwestergemeinde im Westen ermöglichen würde“. Die Synagoge in der Oranienburger Straße sei seit Jahren mit Geldern aus dem Westen restauriert worden. „Die jüdische Gemeinde im Osten wandte sich auch mit einem offiziellen Gesuch an die Behörden, diplomatische Beziehungen mit Israel aufzunehmen. Die Antwort war, dass es derzeit keine Regierung gebe, und wenn eine solche errichtet werde, werde sie zu dem Thema eine Entscheidung treffen.“

Heute ist das wiedervereinigte Deutschland für Israel ein wichtiger Partner. Die Ängste vor einem „Vierten Reich“ sind vom Tisch. Doch neonazistische Tendenzen und antisemitische Äußerungen in Deutschland werden vom jüdischen Staat immer noch besonders aufmerksam beobachtet – sei es im Osten oder im Westen.

Von: Elisabeth Hausen

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