Manche Menschen bewundern Schönheitsköniginnen, andere belächeln sie – und mitunter werden sie unterschätzt. Eine, die derzeit besonderen Mut beweist, ist Sarah Idan. Sie gewann die Wahl zur Miss Irak 2017. Sie kämpft für Koexistenz, wird bedroht und ihre Familie musste aus der Heimat fliehen.
Beim Israelkongress in Frankfurt am Main im November 2018 hielt Idan eine Rede und erzählte, wie in ihrem Land Kinder ab der ersten Klasse zum Hass gegen Israel und die USA erzogen worden seien. Nach dem Sturz von Saddam Hussein begegnete sie erstmals einem US-Soldaten. Die damals 14-Jährige rechnete damit, von ihm erschossen zu werden. Doch er zückte keine Waffe, sondern schenkte ihr stattdessen eine Blume. Dieses Erlebnis lehrte sie, alles bis dahin Gelernte zu hinterfragen.
Israelnetz: Ende 2017 veröffentlichten Sie im Rahmen des Wettbewerbs zur Miss Universe ein gemeinsames Foto mit Miss Israel, Adar Gandelsman, im sozialen Netzwerk Instagram. Hatten Sie im Hinterkopf, dass Sie sich damit auch politisch äußern?
Sarah Idan: Wir haben uns bei einem Fototermin getroffen. Ich sah Adar, und wir begrüßten uns. Sie näherte sich mir vorsichtig. Tatsächlich sind viele Israelis nervös, wenn sie mich das erste Mal treffen.
Warum ist das so?
Ich traf etwa auf dem Israelkongress in Frankfurt den israelischen Sicherheitsminister Gilad Erdan. Er fragte mich, ob er „Hallo“ sagen dürfe oder er es besser sein lassen solle. Ich begrüßte ihn und sprach mit ihm über seine gerade gehaltene Rede. Danach war er wie ausgewechselt. So war es auch, als Adar zu mir kam. Sie sagte, dass sie Angst habe, mich anzusprechen, weil sie aus Israel sei, und ich möglicherweise nicht mit ihr reden wolle.
Wie reagierten Sie?
Ich sagte: „Wovon redest du denn? Wir sind hier als Botschafterinnen des Friedens und zeigen der Welt, dass wir keine Probleme miteinander haben.“ Dann machten wir das Selfie. Anschließend sprachen wir lange miteinander. Wir hatten das nicht geplant, es war spontan – vielleicht auch Schicksal. Es gibt Araber und Perser, die behaupten, die israelische Regierung habe mich als Miss Irak eingesetzt und zur Miss-Universe-Wahl geschickt. Angeblich hätten sie mich auch beauftragt, das Foto mit Adar zu machen. Sie sagen, alle meine Reden würden aus Israel stammen.
Wie reagieren irakische Medien auf solche Gerüchte?
Im irakischen Fernsehen gab es eine Analyse-Sendung zu mir, in der mir Journalisten die gleichen Vorwürfe machten.
Dann gingen Sie noch einen Schritt weiter und besuchten im Juni 2018 Israel.
Danach wurden die Reaktionen noch schlimmer, aber das macht mir nichts aus. Ich weiß, wem meine Kritiker dienen. Ich weiß, auf welcher Seite ich stehe und wo sie stehen. Das ist alles, was zählt.
Welche ist Ihre Seite?
Ich stehe für Menschlichkeit, den Frieden zwischen den Menschen und eine moderne Art zu denken ein. Es ist wichtig, dass die Regierung oder die Gesetzgebung unabhängig von der Religion arbeiten können. Alle Menschen, die mich hassen, lieben den Iran. Sie wollen nicht nur den Irak, sondern die gesamte Welt als ein islamisches Land vereint sehen. Sie wollen alle Juden umbringen. Das ist wahnsinnig. Ich würde sie als mental krank beschreiben. Ich glaube an das Gute im Menschen.
Was für Erfahrungen machten Sie, als Sie Israel besuchten? Fühlten Sie sich mitunter unwohl?
Nein, mit Ausnahme von zwei Vorkommnissen: Wir reisten nach Haifa und gingen in ein Restaurant. Zu dieser Zeit kam meine Geschichte bereits ständig im Fernsehen vor. Da waren Araber, die mich ansahen, als ob sie nicht besonders glücklich wären. Meine Freunde sagten, wir sollten gehen, sie trauten der Situation nicht. Eine ähnliche Sache passierte mir an der Klagemauer. Nach dem Besuch ging ich in einen Souvenirladen. Dort sagten mir Araber, dass sie wüssten, wer ich bin und was ich tue. Das machte mir ein wenig Sorgen. Sie hinterließen den Eindruck, als seien sie nicht gerade froh über meine verbreitete Botschaft.
Was überraschte Sie in Israel am meisten?
Am besten gefallen hat mir der Besuch des jüdisch-babylonischen Museums in Or Jehuda. Da waren sehr viele Juden, die aus dem Irak eingewandert sind, die mich willkommen hießen. Es gab viel irakisches Essen – das war wunderschön. Sie erzählten mir bewegende Geschichten und zeigten mir Gegenstände, die sie aus dem Irak mit nach Israel gebracht hatten. Ich sah ihre Liebe für den Irak, obwohl sie in Israel leben, ihre Heimatverbundenheit. Dort habe ich auch zum ersten Mal ein Bild der ersten Miss Irak, Renee Dangoor, gesehen.
Dangoor gewann den Miss-Irak-Titel 1947. Aber ihre Familie musste aus dem Land fliehen, weil sie jüdisch war.
Ja, genau. Als mir die Iraker vom Museum ihre Pässe zeigten, in denen ein Stempel sie für immer von der Einreise in den Irak ausschloss, kamen mir die Tränen. Ich sagte ihnen, dass ich mich für mein Land schäme. Die Regierung schmeißt die eigenen Menschen raus. Warum sind keine Muslime oder Christen dagegen aufgestanden? Das war für mich der emotionalste Augenöffner.
Auch Ihre Familie musste den Irak verlassen, weil sie nach Ihrem Foto mit Miss Israel bedroht wurde.
Meine Familie verließ das Land drei Tage, nachdem ich den Beitrag gepostet hatte.
Wie hat Ihre Familie das verkraftet?
Am Anfang hatte sie Angst, weil sie nicht wusste, wo sie hinsollte. Ich rief sie an, weinte und entschuldigte mich bei meiner Mutter. Aber ich wusste nicht, ob ich das Bild wieder entfernen sollte, weil die Menschen dann gedacht hätten, dass ich etwas Falsches getan hätte. Meine Mutter sagte: „Mach dir keine Sorgen.“ Es war nicht das erste Mal, dass wir unser Zuhause verlassen mussten. Meine Eltern verstanden mich. Sie tröstete mich, indem sie sagten, dass es im Irak sowieso schwierig zu leben sei, weil es wirtschaftlich bergab gehe.
Wo lebt Ihre Familie jetzt?
Sie lebt in einem arabischen Land.
Sie haben den Irak 2009 verlassen und sind in die USA ausgewandert. Wie stark vermissen Sie den irakischen Alltag?
Wenn ich ehrlich bin, vermisse ich ihn nicht. Nach allem, was mir passiert ist, nachdem ich gesehen habe, wie sich Menschen verändern – der Irak ist nicht mehr derselbe, wie zu der Zeit, als ich ging. Unter dem Regime von Saddam Hussein war es ein moderater Irak im Vergleich zur aktuellen Regierung. Jetzt ist es definitiv wie im Iran.
Israel und der Irak unterhalten keine diplomatischen Beziehungen. Aber Sie sprachen Ende November als Rednerin beim Israelkongress. Sehen Sie sich selbst als eine Art Botschafterin Ihres Landes an?
Auf jeden Fall. Es gibt von vielen Menschen Reaktionen auf meine Auftritte, obwohl ich keine Position in der irakischen Regierung bekleide. Ich werde als Aktivistin wahrgenommen. Das bedeutet nicht weniger, als ob ich in der Regierung wäre, weil meine Worte die Menschen bewegen. Sie können sich emotional mit mir identifizieren – das hilft dabei, etwas zu bewirken.
Einen Tag vor dem Kongress haben Sie einen Preis des Axel-Springer-Verlages in Berlin erhalten.
Sie haben mir ihren wichtigsten Preis für Courage verliehen. Ich war als besonderer Gast eingeladen. Es war unglaublich.
Wie empfanden Sie es, auf einem Israelkongress zu sein?
Es ist gut für mein Anliegen. Es ist nicht so wichtig, dass Israel anerkennt, was ich tue. Wichtiger ist, dass auch andere Länder das tun. Wenn ich einen Preis in Israel erhalte, denken die Iraker, das wäre keine große Sache, weil ich angeblich eine israelische Marionette sei. Wenn sie aber sehen, dass ich nach Deutschland eingeladen werde, einen Preis und Respekt bekomme, hören sie mir eher zu. Niemand respektiert aktuell die irakische Regierung – nicht einmal das eigene Volk. Die Regierungsmitglieder sind tatsächlich vom Iran gesteuerte Marionetten. Seit ich damals das Bild mit Miss Israel gepostet habe, folgen mir immer mehr Iraker über die Sozialen Netzwerke. Ich will durch die ganze Welt reisen und von Israel erzählen. Ich möchte, dass die Welt die Angelegenheit durch meine Augen sieht.
Was sind Ihre beruflichen Ziele, was haben Sie sich für Ihr Leben vorgenommen?
Aktuell arbeite ich als Repräsentantin der Organisation „Humanity Forward“, die sich für Brücken zwischen Israel und dem Nahen Osten einsetzt. Ich konzentriere mich auf die Verbindung zwischen dem Irak und Israel. Es gibt israelische Organisationen, die Irakern helfen. Wenn die Iraker das sehen, verändert das ihren Blick auf Israel. Ich erzähle meine Geschichte in den Sozialen Medien. Wir haben auch einen YouTube-Kanal eröffnet, in dem ich auf Arabisch über Geschichte und Politik sprechen werde.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview erschien zuerst in der Ausgabe 1/19 des „Israelnetz Magazins“. Bestellen Sie es kostenlos und unverbindlich online.
Die Fragen stellte Martina Blatt