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Geschichte einer israelischen Nonne

Die Dokumentation „A Sister’s Song“ erzählt von einer Israelin, die Nonne wird. Dabei erfährt der Zuschauer auch eine Menge über russische Einwanderer in Israel und die Definition von Lebensglück. Eine Filmkritik von Michael Müller
Die Geschwister Marina (l.) und Tatiana in der Dokumentation „A Sister's Song“

Marina hat Schuldgefühle. Die alleinerziehende Mutter, die am Technion studiert hat und mit ihrem Sohn in Haifa lebt, erinnert sich an ihre Jugend. In Jerusalem entdeckte sie als neugieriges Kind das Kreuzkloster. Das beeindruckende Gebäude südöstlich der Knesset übte auf sie eine besondere Faszination aus. Der Legende nach soll an diesem Ort der Baum gestanden haben, aus dessen Holz das Kreuz Christi gefertigt wurde. Marina nahm ihre zwei Jahre ältere Schwester Tatiana mit zum Kloster, weil die besser Englisch sprechen konnte. Heute lebt Tatiana als Nonne in einem Kloster auf Griechenland. Die Familienbande sind fast abgerissen. Besonders das Verhältnis zu den Eltern ist praktisch nicht mehr existent.

Tief in ihrem Herzen fühlt Marina, dass sie wegen ihrer damaligen Neugierde mitverantwortlich für den Lebenswandel ihrer Schwester ist. Die israelische Filmemacherin Danae Elon spürt dieser Familiengeschichte in der Dokumentation „A Sister’s Song“ (Lied einer Schwester) nach. Seine Weltpremiere feierte der Film im Mai auf dem Tel Aviver Festival Docaviv. Aktuell zu sehen ist „A Sister’s Song“ auf dem Filmfestival von Montréal. Einen deutschen Verleih gibt es noch nicht.

Parallele zu deutschem Film über Legionäre Christi

Im Kloster rufen die anderen Nonnen Tatiana Schwester Jerusalem. Für ihre Schwester heißt sie einfach Motek (Süße), ihre Mutter nennt sie weiterhin Tatiana. Die Familie wanderte aus Russland nach Israel ein, als Marina und Tatiana noch klein waren. Direkt nach dem Schulabschluss verlässt Tatiana ihre Heimat, um nach Griechenland ins Kloster zu gehen. Der Film folgt jetzt dem Versuch Marinas, wieder Kontakt mit ihrer älteren Schwester herzustellen und sie im besten Falle nach Hause zu bringen.

Dabei erinnert „A Sister’s Song“ an eine deutsche Dokumentation, die im Februar auf der Berlinale ihre Weltpremiere hatte: In „The Best Thing You Can Do with Your Life“ (Das Beste, was du mit deinem Leben anfangen kannst) versuchte die Regisseurin Zita Erffa, ihren Bruder aus der katholischen Ordensgemeinschaft der Legionäre Christi zu befreien. Dabei stellte die Deutsche fest, dass der Bruder glücklich in der Gemeinde lebte. Aber auch da speiste sich die Motivation für die Reise aus einer Mischung von Schuldgefühlen und dem Wunsch, dass die familiären Verbindungen wieder enger werden.

Zweiteres ist auch die treibende Kraft hinter der Reise von Marina nach Griechenland. Ihr Interesse gilt weniger den religiösen Ritualen des griechisch-orthodoxen Klosters. Sie glaubt zu wissen, dass ihre Schwester Tatiana dort nicht glücklich sein kann. Wenn sie ihre Schwester nach Israel zurückbringt und mit ihrem christlichen Lehrmeister und Beichtvater Gerondas wieder vereint, so ihr Gedankengang, dann wäre allen geholfen. Zumal Tatiana dann auch ihre Mutter und Marinas Sohn wiedersehen könnte. Aber Marina versteht nicht, dass es bei Tatianas Lebensentscheidung um Leben und Tod geht. Der Tod bedeutet in diesem Fall nicht, ihren geistigen Vater Gerondas nicht wiedersehen zu können, sondern nicht mehr mit Gott zu sein.

Die beiden israelischen Schwestern haben eine ganz unterschiedliche Sicht auf die Frage, was sie im Leben glücklich macht Foto: Danae Elon Films
Die beiden israelischen Schwestern haben eine ganz unterschiedliche Sicht auf die Frage, was sie im Leben glücklich macht

Streit um den Sinn des Lebens

Einmal sagt die Oberschwester des Klosters vielleicht etwas garstig, aber auch pointiert analysierend: „Wer ist Marina, dass sie von Erfolgen im Leben spricht? Sie ist zwei Mal geschieden, oder? Ich will nicht böse sein und nur ihre Sicht verstehen. Aber glaubt sie wirklich, dass sie die wahre Sicht auf Glück und Zufriedenheit im Leben hat? Anstatt sie herausholen zu wollen, könnte sie ihre ältere Schwester für ihre hohen Ziele bewundern.“

Von daher handelt diese kanadisch-israelische Dokumentation nicht nur von einer familiären Rückholaktion. Es ist auch die Geschichte von russischen Einwandern in Israel, die sich vor allem in den ersten Jahren sehr fremd im Land gefühlt haben. Sie seien von den Israelis weiterhin als Russen angesehen worden und fühlten sich den Juden nicht zugehörig, erzählt die angereiste Mutter vor der Kamera. Mit ihren Töchtern spricht sie ausschließlich Russisch. Nach den gescheiterten Versuchen, auf dem israelischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, waren sie und ihr Mann in die USA ausgewandert. Tatianas Anknüpfungspunkt zum christlichen Glauben erklärt die Dokumentation auch ein Stück weit heraus aus dem Gefühl des emotionalen Verlorenseins in Israel.

Die Landschaften und das Miteinander der Geschwister sind in „A Sister’s Song“ wunderschön und atmosphärisch gefilmt. Ein weiteres Qualitätskriterium ist, dass die Regisseurin Elon ihren Protagonistinnen mit der Kamera nicht nur optisch, sondern auch beim Blick in die Seele sehr nahe kommt. Nicht umsonst steht dem Film das Emily-Dickinson-Zitat „Sich trennen ist den Himmel seh’n und in die Hölle fahr’n“ voran. Das Werk hat zwar eine Lauflänge von nur knapp 80 Minuten. Der Film schafft es trotzdem, gleichzeitig von Israel, Glaube, Familie, Glück und dem Sinn des Lebens zu erzählen. Die 47-jährige Regisseurin, die in Jerusalem aufwuchs, ist die Tochter des israelischen „Ha’aretz“-Journalisten Amos Elon, der ein großer Kritiker der israelischen Politik seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 war.

Von: Michael Müller

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