Benjamin Netanjahu ist ein Politiker mit Ecken und Kanten. Konflikte meiden und großräumig „umschiffen“? Kommt für ihn zumindest auf außenpolitischem Parkett in der Regel nicht infrage. Unvergessen, wie er 2017 den damaligen deutschen Außenminister Sigmar Gabriel auslud, weil dieser sich während eines Besuches in Israel mit umstrittenen „Menschenrechtsorganisationen“ treffen wollte.
Doch der Likud-Chef ist auch ein Politiker, der überschwänglich loben kann. „True friend of Israel“ – wahrer Freund Israels – gehört wohl zu seinen liebsten englischen Bezeichnungen, wenn er mal wieder einen ausländischen Politiker zu Gast hat, den er auf seine Seite ziehen will. Sogar Angela Merkel kann sich mit diesem Prädikat Netanjahus schmücken, obwohl es zwischen den beiden Staatenlenkern teils massive Differenzen gibt.
Israelisches Misstrauen gegenüber FPÖ
Nun ist auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz in den Genuss dieser wohlklingenden Beschreibung gekommen. Der jüngste Regierungschef Europas war am Samstag zu einem dreitägigen Aufenthalt in Israel ohne Besuch der palästinensischen Gebiete gelandet. Seine Mission: Vertrauen zwischen den beiden Regierungen herzustellen. Denn seitdem Kurz‘ Volkspartei im Dezember in eine Regierung mit der rechtskonservativen Freiheitlichen Partei (FPÖ) eingetreten ist, blickt man im jüdischen Staat zumindest teilweise kritisch nach Wien.
Als die Freiheitlichen zur Jahrtausendwende zuletzt Teil der Regierung geworden waren, hatte Jerusalem seinen Botschafter aus Wien abgezogen. Mit Entsetzen hatte man seinerzeit verschiedene Äußerungen der damaligen FPÖ-Führungsfigur Jörg Haider, etwa zur „ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“, zur Kenntnis genommen. Und auch als die FPÖ nun, 17 Jahre später, erneut Koalitionspartner der ÖVP wurde, beeilte sich Israel klarzustellen, dass man mit FPÖ-Ministerien erst einmal nur auf Beamtenebene Kontakt pflegen werde. Eine Belastung für die Beziehungen zwischen beiden Staaten. Schließlich ist von diesem Boykott nicht zuletzt auch das Außenministerium betroffen, das Nahost-Expertin Karin Kneissl – selber parteilos – im Auftrag der FPÖ leitet.
Besuch an der Klagemauer
Inzwischen jedoch ist von israelischer Verärgerung über Kurz‘ Kooperation mit den Freiheitlichen nicht mehr viel zu spüren. Im Gegenteil: Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von Kurz und Netanjahu kam das Thema überhaupt nicht explizit zur Sprache. Stattdessen bemühte sich letzterer, „Sebastian“, wie er den österreichischen Kanzler beim Vornamen nannte, mit Nachdruck zu loben. Der sei ein „wahrer Freund Israels und des jüdischen Volkes“.
Da hatte der ÖVP-Politiker bereits nicht nur die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besucht – Pflichtprogramm für einen europäischen Politiker –, sondern auch, wenn auch offiziell privat, bei der Klagemauer vorbeigeschaut und sich dabei von zahlreichen Kameras begleiten lassen. Ein außergewöhnliches Verhalten, meiden westeuropäische Politiker den 1980 von Israel annektierten Osten Jerusalems doch eigentlich.
Ich konnte heute in #Jerusalem die #Grabeskirche und die #Klagemauer besuchen – sehr beeindruckende Orte! Ich freue mich bereits auf die Termine morgen, unter anderem auf das Treffen mit Premierminister Bibi @netanyahu. pic.twitter.com/NyLtVwWU6J
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) 10. Juni 2018
Dass Netanjahu seinem Gast dann später auf der Pressekonferenz alles zumuten wollte, nur nicht einen einzigen kritischen Ton, ist vor diesem Hintergrund kaum verwunderlich. „Ich hoffe, dass andere europäische Führer deinem so wichtigen Beispiel folgen“, kommentierte Netanjahu den Klagemauer-Besuch.
Begeistert zitierte der Premier dann auch aus einer „wundervollen“ Rede von Kurz, in der dieser davon gesprochen hatte, dass die Österreicher während des Dritten Reichs nicht nur Opfer, sondern auch Täter gewesen seien – „kühne und mutige Worte, die zeigen, wie Sie Österreich führen“, so Netanjahu. Und: „Sie haben Ihren Worten Taten folgen lassen. Sie haben Null-Toleranz gegenüber Antisemitismus gezeigt.“ Die Botschaft des Regierungschefs: Ich weiß, dass ich Ihnen vertrauen kann
Netanjahu: Kontakte zum Außenministerium „intensivieren“
Und so gab Netanjahu nur wenige Augenblicke später bekannt, dass er den Generaldirektor des israelischen Außenministeriums angewiesen habe, die Kontakte zum österreichischen Außenministerium zu „intensivieren“. Kontakte zur FPÖ-Ministerin erwähnte er nicht. Und dennoch: Die österreichische Charmeoffensive scheint erste, wenn auch kleine Früchte zu tragen. Und so sah Kurz im weiteren Verlauf der Pressekonferenz keinerlei Anlass, die gute Stimmung durch Kritik an „Bibi“ in Gefahr zu bringen: Der Kanzler verlor weder ein Wort zum international regelmäßig kritisierten Siedlungsbau, noch zum Vorgehen der israelischen Armee im Zusammenhang mit den Ausschreitungen im Gazastreifen – und fiel damit aus der Reihe seiner ansonsten an Israel-Kritik nicht sparenden EU-Kollegen.
Dass sich das Verhältnis Israels zur FPÖ schon jetzt merklich entspannt hat, zeigt auch ein Forschungsabkommen, das Minister beider Staaten später unterzeichneten. Israels Regierung hatte dieses im Jahr 2000 noch wegen der FPÖ-Regierungsbeteiligung auf Eis gelegt. Inzwischen jedoch scheint das Mitregieren der Freiheitlichen die Israelis nicht mehr davon abzuhalten, das Abkommen zu beschließen.
Sogar dass der FPÖ-Boykott am Ende ganz fallen könnte, ist durchaus im Bereich des Denkbaren. Auch weil es Netanjahu zunehmend schwer fallen dürfte, zu begründen, warum sein Kabinett den rechten, aber nicht neonazistischen Kräften Europas derart aus dem Weg geht. Denn zum einen bemüht sich die FPÖ, wie auch andere rechtskonservative Parteien, seit Jahren, israelische Bedenken auszuräumen. Sie äußert sich oft sogar pro-israelischer als andere Parteien. So erklärte Parteichef Heinz-Christian Strache etwa im Dezember, alles „in seiner Macht stehende“ tun zu wollen, um die österreichische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen.
Und zum anderen decken sich gesellschafts- und innenpolitische Vorstellungen der konservativen Regierung in Jerusalem häufig mit denen der rechtskonservativen Parteien Europas – etwa wenn es um eine restriktive Migrationspolitik oder eine kritische Haltung gegenüber dem Islam geht. Mit dem Knessetabgeordneten Jehuda Glick (Likud) gibt es auch in Netanjahus eigenen Reihen bereits einen prominenten Fürsprecher für ein Ende des FPÖ-Boykotts.
Kurz will in EU für Verständnis für Israel werben
Jetzt jedenfalls legt Israel seine Hoffnungen erst einmal in die anstehende EU-Ratspräsidentschaft Österreichs. Die Alpenrepublik wird diese zum 1. Juli für ein halbes Jahr übernehmen. Kurz will seine dann exponierte Stellung in Europa nach eigenen Angaben dafür nutzen, den EU-Staaten die besondere Sicherheitslage Israels zu erklären. Die werde oftmals „nicht ausreichend verstanden“, setzte der Kanzler in Israel einen Seitenhieb gegen Europäer wie die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini – Worte wie Balsam für die israelische Seele. Mogherini hatte immer wieder israelkritische Positionen eingenommen und wohl auch deshalb zuletzt keinen Gesprächstermin bei Netanjahu erhalten.
In entsprechend entspannter Atmosphäre ging Kurz‘ Visite beim israelischen Regierungschef dann auch zu Ende. Als der Jungkanzler auf der Pressekonferenz etwas naiv, aber doch irgendwie nicht selbstverständlich feststellte, dass Israels Nachbarn „nicht wie unsere – Liechtenstein oder die Schweiz – sind“, hakte Netanjahu augenzwinkernd und unter dem Gelächter der anwesenden Journalisten ein: „Sollen wir für ein paar Wochen tauschen?“ „Ich weiß nicht, ich weiß nicht!“, antwortete Kurz mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
Von: Sandro Serafin