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„Die Berichterstattung ist katastrophal“

Die Journalistin Andrea von Treuenfeld hat viele Male Israel bereist – und zum Jubiläum ein Buch mit Episoden zur Geschichte des jüdischen Staates verfasst. Im Gespräch mit Israelnetz erzählt sie von ihrer Begeisterung für Israel, der Entstehung des Buches und ihrer Kritik an der Medienberichterstattung.
Will Touristen Israel erklären: Andrea von Treuenfeld

Israelnetz: Frau von Treuenfeld, welchen Bezug haben Sie zur Religion, zum christlichen Glauben?

Andrea von Treuenfeld: Mein persönlicher Zugang zu Religion und Gott ist nicht so ausgeprägt. Das war mit Sicherheit auch nicht der Grund für mich, das Buch zu schreiben. (lacht)

Was war dann der Grund dafür?

Als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal nach Israel fuhr, hatte ich wenig Ahnung von dem Land. Ich arbeitete in einem Kibbuz, der geprägt war durch viele deutschsprachige Überlebende der Scho’ah. Dort habe ich zum ersten Mal erlebt, wie jemand mitten im Gespräch plötzlich den Ärmel hochschiebt und mir seine tätowierte Nummer zeigt. Das war ein Moment, den ich auch heute noch nicht in Worte fassen kann. Damals war mir klar, dass ich – als Deutsche und nur wenige Jahrzehnte nach dem Krieg – diese Menschen nicht nach ihrem Leben fragen kann. Später habe ich dann Bücher über Holocaust-Überlebende und über die Zweite Generation geschrieben.

Aus diesen ersten Gesprächen in dem Kibbutz und einer vorausgegangenen Reise durch das Land resultiert mein Interesse. Ich war – und bin – fasziniert von den Menschen, der Landschaft, der Atmosphäre, fuhr immer wieder hin, berichtete später als Journalistin für verschiedene Medien über Israel. Und so war es fast eine logische Schlussfolgerung, ein Buch über seine Besonderheiten zu schreiben.

Haben Sie jüdische Wurzeln?

Nein. Aber das ist auch nicht der Punkt. Selbst wenn mir Religion, welche auch immer, nicht allzu viel sagt, so ist Israel dennoch ein Land, das zutiefst berührt. Man hat dort plötzlich eine Ahnung, eine Vorstellung von seiner jahrtausendealten Geschichte.

Was kann Deutschland, drei Jahre nach der Flüchtlingswelle, von Israel lernen?

Den Glauben daran, es zu schaffen. Und auch den Willen. Die Juden, die nach Israel kamen – egal ob sie kurz nach der Staatsgründung immigrierten oder wie die sowjetischen Juden in den 90er Jahren –, mussten einfach untergebracht und integriert werden. Die afrikanischen und die arabischen Juden waren ganz anders sozialisiert als die aschkenasischen Juden. Da prallten Welten aufeinander. Trotzdem hat es – mit Abstrichen – geklappt, weil der Wille da war. Wir könnten auch lernen, diese Intoleranz mal zur Seite zu schieben. Mir ist nicht jeder Syrer sympathisch, mir ist aber auch nicht jeder Deutsche sympathisch. Und möglicherweise habe ich Angst, wenn mir eine Gruppe ausländischer Jugendlicher entgegenkommt. Habe aber auch Angst, wenn mir eine Gruppe angetrunkener Deutscher entgegenkommt. Das ist für mich kein Unterschied. Was wir also von Israel lernen können, ist: statt ausgrenzen – wie es etwa eine Partei auf aggressivste Weise fordert – offen sein, hinhören. Vielleicht auch mal helfen.

Welche Rolle spielt der Konflikt zwischen dem Judentum und dem Islam in dem Land?

Es ist weniger ein Konflikt zwischen Judentum und Islam als zwischen Juden und Palästinensern, die beide das Land für sich beanspruchen.

Ihr Buch „Israel. Momente einer Biographie“ ist chronologisch geordnet, Sie folgen aber keinem roten Faden, sondern setzen darin Schwerpunkte durch 140 Episoden. Wie kam es zu der ungewöhnlichen Herangehensweise?

Ich saß mit meinem Lektor zusammen und überlegte, wie man das Thema „70 Jahre Israel“ aufgreifen könnte. Interviews mit Politikern und Historikern? Nein, es war alles schon gesagt. Schließlich kam ich auf die Idee, zu recherchieren, was wann war. Und so habe ich zu jedem Jahr Ereignisse herausgesucht, die prägend waren für das Land. Entstanden ist eine subjektive Auswahl, was absolut gewollt war. Natürlich müssen in einem Buch über Israel Kriege und Intifadas ebenso genannt werden wie Politiker, Mosche Dajan und Golda Meir zum Beispiel. Aber eben auch Ereignisse und Menschen, die bei uns nicht so bekannt sind. So wie die legendäre Schauspielerin Orna Porat, die mir in ihrem Haus in Ramat Gan ihre wirklich spektakuläre Lebensgeschichte erzählt hat. Oder der Friedensaktivist Abie Nathan, der mit „The Voice of Peace“ einen Piratensender im Mittelmeer betrieb. Er war Kult, ich habe diesen Sender schon gehört, als ich vor Jahren im Kibbutz gearbeitet habe. Und wenn ich in Jerusalem oder Tel Aviv war, habe ich mich immer gefragt, wer dadurch geehrt wird, dass sein Name auf einem Straßenschild steht. Dov Hoz etwa, nach dem der Flughafen der Stadt benannt ist, war einer der Gründer der Untergrundorganisation Haganah und Flugpionier. Oder Chaim Arlosorov, einer der Gründer der Arbeiterpartei und in seiner Jugend befreundet mit der späteren Magda Goebbels, der bei einem nie geklärten Attentat am Strand getötet wurde. Viele spannende Geschichten …

Wen und was möchten Sie mit dem Buch erreichen?

Sowohl Menschen, die Israel bereits kennen und mehr wissen möchten, als auch Menschen, die zum ersten Mal dorthin fahren und sich den üblichen Reiseführer kaufen, darüber hinaus aber nicht noch ein 500-Seiten-Werk zur Geschichte des Landes lesen wollen. In meinem Buch sind chronologisch – aber auch thematisch nach Stichworten wie Ereignisse, Gebäude, Konflikte, Kultur oder Personen – Episoden erzählt, deren Protagonisten erstaunlicherweise immer wieder miteinander verknüpft sind. Entstanden ist somit ein kleines Nachschlagewerk mit unbekannteren Details der Geschichte des Staates. Ich möchte damit die Neugier auf Israel wecken. Möchte zeigen, dass dieses Land unglaubliche viele Facetten hat. Es sind eben nicht nur die Konflikte, sondern vor allem unglaublich faszinierende Menschen und Ereignisse, die seine 70 Jahre geprägt haben.

Wie lange haben Sie für die Recherchen gebraucht?

Zu einer großen Zahl der 140 Geschichten hatte ich ein Basiswissen und wusste daher ziemlich genau, wonach ich noch zu suchen hatte. Abgesehen von meinen Reisen in das Land und den dortigen Gesprächen lese ich seit vielen Jahren Bücher israelischer Autoren sowie die „Jüdische Allgemeine“ und verschiedene Newsletter. Das gezielte Recherchieren und Schreiben hat dann ein dreiviertel Jahr gedauert. Noch nie habe ich ein Buch in so kurzer Zeit geschrieben – es sollte fertig werden zum Geburtstag Israels am 14. Mai.

Im Buch teilen Sie auch Ihre Sicht auf die Welt. Etwa, wenn Sie Jitzchak Rabin als den besten Politiker des Landes bezeichnen …

Natürlich ist das subjektiv. Subjektiver geht gar nicht (lacht). Aber ich habe es so empfunden im Laufe der Jahre und der Gespräche. Rabin war ein knallharter Falke, der sich im Alter zum Friedenskämpfer wandelte und extrem beliebt wurde. Die Menschen haben ihm vertraut. Einige Zeit nach den tödlichen Schüssen auf ihn, 1995, ging ich mit einem Guide durch Tel Aviv. Das war ein cooler junger Mann, der am Ort des Attentats in Tränen ausbrach. Das hat mich sehr beeindruckt. Bei uns würde kein 30-jähriger Stadtführer in Tränen ausbrechen angesichts eines Politikermordes. Das zeigte mir, wie eng die Israelis mit diesem Mann verbunden waren. In der Erinnerung seiner letzten Jahre war für mich Rabin der Mann, der es hätte schaffen können, den Frieden zu bringen.

Warum nicht Schimon Peres?

Schimon Peres war immer der zweite Mann und stand im Schatten von Rabin. Er hatte nicht das Charisma, das Rabin hatte.

Im Vorwort Ihres Buches sagen Sie, dass kein anderes Land der Welt so im Fokus der internationalen Berichterstattung steht. Woran liegt das?

Es hat vermutlich mehrere Faktoren. Einerseits ist es erstaunlich, dass Israel, umgeben von einer riesigen Überzahl von Feinden, noch immer – und übrigens als einzige Demokratie im Nahen Osten – existiert. Dass seine Bewohner eben nicht von den arabischen Gegnern, wie von denen mehrfach angekündigt, ins Meer getrieben wurden. Andererseits ist es auch erstaunlich, dass ein paar Menschen – zur Zeit der Staatsgründung waren es 800.000 – aus einem Wüstengebiet die Hightech-Nation Nummer eins gemacht haben. Aber ist es überhaupt das Land dieser Menschen? Und kann eine Zwei-Staaten-Lösung funktionieren? Fragen, die immer wieder gestellt werden. Wie schon erwähnt, Israel polarisiert. So stark, dass über dieses winzige Land mit seinen heute acht Millionen Menschen mindestens so intensiv berichtet wird wie über die Großmächte Amerika oder Russland. Leider immer wieder auch von Journalisten, die niemals dort waren. Die zwar eine Meinung haben, aber keine Ahnung.

Wie bewerten Sie die Berichterstattung in Deutschland über Israel und den Nahen Osten?

Als katastrophal, weil sie vorwiegend anti-israelisch ist. Dass Israelis einen Palästinenser erschossen haben, wird groß berichtet. Ganz am Ende eines solchen Artikels steht, dass zuvor Palästinenser drei Israelis erschossen haben. Mit anderen Worten: Die Gewichtung stimmt nicht. Und das ist Sinnbild für eine breite anti-israelische Stimmung – nicht nur in den Medien, sondern auch, unter anderem durch die einseitige Berichterstattung geprägt, in der Bevölkerung.

Wie erklären Sie sich das?

Es gibt dazu verschiedene Theorien. Die eine lautet: Die Deutschen sind so anti-israelisch eingestellt, weil sie sich, bewusst oder unbewusst, von der eigenen Vergangenheit reinwaschen wollen, indem sie sagen: „Die Israelis sind nicht besser als die Nazis.“ Das ist natürlich ein völliger unangemessener und absurder Vergleich. Selbstverständlich muss eine sachliche Auseinandersetzung mit der Politik dieses Landes – wie mit der jedes anderen Landes auch – immer möglich sein. Nur nicht, wenn sie mit Antisemitismus vermischt wird. Und das ist die zweite Erklärung: der latente Antisemitismus – bisher mehr oder minder versteckt, seit einiger Zeit aber offensichtlich wieder gesellschaftsfähig. Wie sonst ist es möglich, dass Juden auf Schulhöfen drangsaliert oder auf offener Straße bespuckt, angepöbelt, zusammengeschlagen werden, dass auf Demonstrationen „Juden ins Gas“ gebrüllt wird? Bedrückend, dass es wieder so weit ist.

Kommt aus Ihrer Sicht der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung zu spät?

Ich würde sagen: besser spät als gar nicht. Wenn dank seines Amtes zukünftig Organisationen, denen antisemitische Vorfälle gemeldet werden, vernetzt werden, um geschlossen geeignete Maßnahmen zu treffen, gegen jede Form von Antisemitismus und Rassismus vorzugehen, ist das ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Was halten Sie vom Vorschlag des Zentralratsvorsitzenden der Juden, Besuche von Holocaust-Gedenkstätten in den Lehrplänen zu verankern?

Ich bin eine große Befürworterin der von Schulen organisierten Besuche von Holocaust-Gedenkstätten – sofern sie intensiv vor- und nachbereitet werden. Wenn die Jugendlichen diese Fahrten als willkommenen Unterrichtsausfall und netten Ausflug sehen, ist das nicht nur komplett fehlgeleitet, sondern auch kontraproduktiv.

In die Lehrpläne sollten aber nicht nur KZ-Besuche aufgenommen werden, sondern auch – solange sie noch möglich sind – Zeitzeugen-Gespräche. Ein Überlebender, der erzählt, was damals geschehen ist, erreicht Schüler logischerweise ganz anders als trockene Fakten. Und wenn es eines Tages die persönlichen Schilderungen der Verfolgten nicht mehr geben wird, sollten sie ersetzt werden durch deren schriftliche Berichte, also Bücher über die Scho’ah.

Wie ergeht es Ihnen mit Ihren Berufskollegen, wenn Sie so unverhohlen eine Lanze für Israel brechen? Wie nehmen Sie das wahr?

Ich bin freie Journalistin. Insofern werde ich nicht in einem Redaktionsalltag von Kollegen auf Israel angesprochen. Und im Freundeskreis bin ich noch nie als zu pro-israelisch angegriffen worden. Kritik an Israel und an meiner Sympathie für das Land höre ich eher bei Diskussionen im Anschluss an Lesungen mit meinen Büchern über Überlebende der Scho’ah. Seltsamerweise, denn dabei geht es ja nicht zwingend um Israel. Aber offensichtlich haben manche Zuhörer auch an dieser Stelle das Bedürfnis, Juden automatisch mit Israel gleichzusetzen – und somit eine Möglichkeit zu finden, das Land beziehungsweise seine Politik zu kritisieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Andrea von Treuenfeld: „Israel. Momente seiner Biographie“, Gütersloher Verlagshaus, 224 Seiten, 20 Euro, ISBN: 978-3-579-08711-5

Die Fragen stellte Norbert Schäfer

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