Israelnetz: Herr Issacharoff, zu Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie betont, dass Sie sich in Deutschland bereits sehr wohl fühlen. Inzwischen wurden mitten in Berlin israelische Flaggen verbrannt. Ändert das die Gefühlslage?
Jeremy Issacharoff: Ich fühle mich immer noch sehr wohl. Als Botschafter wurde ich sehr herzlich empfangen. Es gab hervorragende Begegnungen mit Politikern, allen voran Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel. Aber die Flaggenverbrennungen waren offenkundig sehr erschütternd. Solche Szenen erwartet man in Teheran oder in anderen Städten des Nahen Ostens, aber nicht in einer toleranten und weltoffenen Stadt wie Berlin. Die israelische Flagge zu verbrennen zeigt nicht einfach nur eine Meinungsverschiedenheit. Die Menschen, die israelische Flaggen verbrennen, erkennen nicht das Existenzrecht Israels an. Das ist antisemitisch und sollte verurteilt werden – wie die deutsche Regierung es auch getan hat. Und das ist es, was mich ermutigt. Es müssen aber weitere Schritte folgen.
An welche Schritte denken Sie?
Die Einrichtung eines Antisemitismus-Beauftragten, wie es nun auch der Bundestag offiziell gefordert hat, wäre ein sehr positiver Schritt. Aber vor allem ist die gesamte deutsche Gesellschaft gefragt, ein Bewusstein für Antisemitismus in seinen verschiedenen Spielarten zu entwickeln – und eben auch dagegen aufzustehen.
Die deutsche Regierung hat sich zur Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, zurückhaltend geäußert. Vermissen Sie politische Unterstützung?
Zunächst einmal war das eine Entscheidung der Amerikaner, niemand ist verpflichtet, ihnen zu folgen. Die USA haben Stellung bezogen, und als mächtigste Nation haben sie dazu auch das Recht. Aber die Menschen müssen verstehen, dass jede mögliche Friedensvereinbarung Jerusalem als Hauptstadt beinhalten wird. Auch der Status quo bezüglich der Religionsfreiheit ändert sich dadurch nicht. Das ist ein Eckpunkt der israelischen Politik der vergangenen 50 Jahre. Jerusalem ist seit 1967 wiedervereinigt, erst seitdem gibt es wieder einen Zugang zu den heiligen Stätten für Vertreter aller Religionen. Darauf kann Israel stolz sein. Aber das ist weniger eine politische Frage. Das ist Teil unserer DNA.
Politische Unterstützung könnte auch bedeuten, palästinensischen Terror abzulehnen. Nun war aber im Mai zu sehen, wie sich Bundespräsident Steinmeier in Ramallah vor dem Grab Jasser Arafats, der mit Terror gegen Israel vorgegangen ist, verneigt hat. Wie passt das zur vielzitierten Solidarität mit Israel?
Arafat gehört sicherlich nicht zu Israels Lieblingscharakteren in der Geschichte des Nahen Ostens. Die Beziehungen waren nicht einfach, es gab viele Feindseligkeiten, er führte Terroraktionen durch. Andererseits setzte er auch seine Unterschrift unter die Oslo-Abkommen. Wenn sich Steinmeier nun mit Palästinensern trifft, sollte man das nicht als Mangel an Einsatz für Israel deuten. Er hat als Präsident in aller Deutlichkeit betont, dass Antisemitismus keinen Platz in Deutschland haben darf. Und dass das für jeden gilt, auch wenn er aus arabischen Ländern flieht oder einwandert. Ich halte Steinmeier für einen großen Freund Israels.
Der Staat Israel feiert in diesem Jahr sein 70-jähriges Bestehen. Sie arbeiten seit 37 Jahren, mehr als die Hälfte dieser Zeit, für das Außenministerium. Wie kam es zu dem Entschluss, in den diplomatischen Dienst zu treten?
Der Jom-Kippur-Krieg 1973 war ein entscheidender Faktor. Ich war damals 18 Jahre alt und fragte mich, wie viele in meinem Alter, was ich mit meinem Leben anstellen soll. Ich bin zwar in London aufgewachsen, aber ich kannte Israel durch regelmäßige Besuche seit meiner Kindheit. In diesem Jahr sah ich dann aber dieses kleine Land, bedroht durch arabische Armeen. Da wusste ich: Das erste, was ich tun sollte, war, in das Flugzeug zu steigen und nach Israel zu fliegen, um dort zu helfen. In der Armee hatten sie letztlich keine Verwendung für mich. Aber ich beendete mein Jura-Studium in London mit dem Schwerpunkt internationale Beziehungen, und mit dieser Ausbildung lag dann auch der diplomatische Dienst nahe.
Wie hat sich in den Jahren Ihrer Arbeit die Sicherheitslage für Israel verändert?
Seit dem Friedensvertrag mit Ägypten 1979 hat Israel auch mit anderen arabischen Ländern einen Prozess zur Stärkung der Zusammenarbeit begonnen. Aus den Differenzen, die früher zu Krieg geführt hätten, sind Differenzen auf diplomatischer Ebene geworden. Die Folge waren Konferenzen, bilaterale Gespräche, Kooperationen in Bereichen wie der Umwelt, Sicherheit und Rüstungskontrolle, Flüchtlinge, Wasser, Wirtschaft, der Oslo-Prozess, der Friedensvertrag mit Jordanien. Das sind Entwicklungen, die die Struktur unserer Region verändert haben. Die Vorstellung davon, dass Israel eine Bedrohung sei, ist in der Region stark zurückgegangen.
Welche Rolle spielt der Iran bei dieser Entwicklung?
Nicht nur der Iran, sondern auch nicht-staatliche Akteure wie der Islamische Staat oder die Hisbollah bedrohen inzwischen die Region. Das führte zu einer Überlappung von Interessen zwischen arabischen Ländern und Israel. Jedes Land sieht die Probleme zwar aus der eigenen Warte. Aber das ist die Grundlage dafür, optimistisch zu sein, dass sich die arabisch-israelischen Beziehungen weiter verbessern. Das käme auch Europa und dem Rest der Welt zugute. Denn was im Nahen Osten passiert, bleibt nicht im Nahen Osten. Der Bürgerkrieg in Syrien ist ein trauriges Beispiel. Eine Folge sind die vielen Flüchtlinge, die nach Europa kommen, um Schutz zu suchen.
Was haben Sie sich für Ihre Amtszeit in Deutschland vorgenommen?
Zwischen Deutschland und Israel entwickeln sich spannende Synergien. Mir geht es darum, diese Kräfte zu erkunden und zu stärken. Das gilt für die Zusammenarbeit der Geheimdienste und für die Cybersicherheit. Ich sehe auch eine wechselseitige Stärkung beider Armeen – erst im November gab es mit anderen Ländern eine gemeinsame Übung in Israel. Aber auch im Bereich der Wirtschaft bieten sich viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit: Das autonome Fahren und die Sicherheit vernetzter Autos sind zentrale Themen der Zukunft. Durch gemeinsame Projekte können beide Seiten voneinander profitieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Jeremy Issacharoff kam 1955 in London zur Welt und wuchs dort auf. Seit 1982 arbeitet er im diplomatischen Dienst. Unter anderem war er Berater von Benjamin Netanjahu in dessen Amtszeit als UN-Botschafter (1986–1989) und beriet die Vereinten Nationen in Fragen der Abrüstung. Von 2010 bis 2014 war er Vize-Generaldirektor des israelischen Außenministeriums. Die deutsche Sprache eignet er sich derzeit an; das Interview wurde auf Englisch geführt.
Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 1/2018 des Israelnetz Magazins. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/915152, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online.
Die Fragen stellte Daniel Frick