BE’ER SCHEVA (inn) – Der israelische Schriftsteller Aharon Appelfeld ist tot. Er starb in der Nacht zu Donnerstag im Alter von 85 Jahren. Sein vielfältiges Werk befasste sich vor allem mit Juden in Osteuropa und mit dem Leben im jungen Staat Israel. Mehrfach schilderte er die Zerrissenheit vieler Juden in Europa vor dem Zweiten Weltkrieg – zwischen der Tradition ihrer Väter und der freien, attraktiven Welt der Nichtjuden. Ein großes Thema des gebürtigen Rumänen war auch der Holocaust.
Vor etwa einem Jahr sagte Appelfeld der Wochenendzeitschrift „Israel HaSchavua“: „Ich habe eine Aufgabe in der Welt, und die ist das Schreiben. Nach der großen Zerstörung, deren Zeuge ich war, hatte ich das Bedürfnis, die Trümmer in meinem Inneren aufzurichten.“ Mit der großen Zerstörung habe er die Scho’ah gemeint, merkt die Tageszeitung „Ma’ariv“ dazu an.
Ermordung der Mutter im Nebenzimmer miterlebt
Der Schriftsteller kam am 16. Februar 1932 als Erwin Appelfeld in Schadowa bei Czernowitz auf die Welt. Das Gebiet gehörte damals zu Rumänien, heute ist es Teil der Westukraine. Als er acht Jahre alt war, wurde seine Mutter von den Nationalsozialisten ermordet. Er lag mit Mumps im Bett und hörte die tödlichen Schüsse vom Nebenzimmer aus. Später kam er mit seinem Vater in ein Arbeitslager nach Transnistrien, wurde jedoch bald von ihm getrennt. Er versteckte sich in Wäldern und auf Feldern. So überlebte er die Judenvernichtung. 1946 gelangte er mit der Jugend-Alijah ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina. Seinen Vornamen änderte er in Aharon um.
Nach dem Besuch zweier landwirtschaftlicher Schulen und dem Militärdienst studierte Appelfeld Literatur an der Hebräischen Universität Jerusalem. Von 1979 bis 2000 war er Professor an der Fakultät für Hebräische Literatur der Ben-Gurion-Universität in der Wüstenhauptstadt Be’er Scheva.
Appelfeld hat mehr als 40 Bücher geschrieben, 14 wurden ins Deutsche übersetzt. Für sein literarisches Schaffen erhielt der Israeli zahlreiche Auszeichnungen. 2013 wurde er für den „International Man Booker Prize“ nominiert. Bereits 1983 hatte er den Israelpreis für Belletristik bekommen. Die Franzosen ehrten 2004 sein Buch „Geschichte eines Lebens“ mit dem „Prix Médicis étranger“, die Italiener verliehen ihm 2008 den Grinzane-Preis.
Zuletzt erschien im November 2017 sein Buch „Meine Eltern“ auf Deutsch. Es spielt 1938 in seiner alten Heimat. Die Hauptfigur ist ein Junge namens Erwin, der drei Jahre älter ist als der Autor, aber viel Ähnlichkeit mit ihm hat. Die Eltern mieten eine Bauernhütte am Fluss Pruth für die Sommerfrische – ohne zu ahnen, dass es ihre letzten unbeschwerten Ferien sein werden. Die Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“ schrieb in einer Rezension: „Die düstere Vorahnung des Zweiten Weltkrieges schwebt über diesem atmosphärischen Roman.“
Israelische Politiker würdigen Appelfeld
Das israelische Kulturministerium würdigte den verstorbenen Schriftsteller am Donnerstagmorgen: „Das Kulturministerium verneigt sich vor einem der größten Schriftsteller unseres Volkes.“ Ministerin Miri Regev fügte an: „Appelfeld beschäftigte sich bei seinem Schreiben mit der furchtbaren Scho’ah und hinterließ uns allen schriftliche Erinnerungen, die eine ganze jüdische Welt betreffen, die es gab und die nicht mehr ist. Für immer ist seine Äußerung in mir eingraviert, dass er aus dem Leben kommt und sich nicht Fantasien hingibt. Mit seinem Tod hat er uns ganze Lebensgeschichten hinterlassen, die für immer bei uns bleiben werden, im Augapfel der nationalen und persönlichen Erinnerung.“
Staatspräsident Reuven Rivlin schrieb in den sozialen Netzwerken, seine Ehefrau Nechama und er seien „sehr traurig über das Dahinscheiden unseres teueren Schriftstellers Aharon Appelfeld. Mögen seine Erinnerung und sein Werk immer gesegnet sein“.
Nechama Rivlin hatte erst vor Kurzem auf Facebook mitgeteilt: „Wenn ein Buch von Aharon Appelfeld erscheint, erfasst mich Aufregung. Um genau zu sein, einmal war ich mitten beim Kochen für ein Fest, und ich erfuhr durch eine Radiosendung, dass ein neues Buch von ihm erschienen war. Ich ließ alles stehen und rannte zur nächsten Buchhandlung, um mir ein Exemplar zu erwerben.“ Sie lobte die anschauliche Darstellung in seinen Büchern: „zum Beispiel die Beschreibungen von Essen, so dass man wirklich den Duft des frischen Brotes riechen kann, das aus dem Ofen kommt“.
Von: eh