Clara-Lisa Wiebers arbeitet im Paradies – zumindest bietet ihr Dienst regelmäßig den Blick auf Palmen, sattgrünen Rasen und das Mittelmeer. Die 18-jährige Frankfurterin ist als Freiwillige für ein Jahr im religiösen Zentrum der Bahai im israelischen Haifa tätig. Die Gartenanlage am Karmel-Berg mit ihren 19 Terrassen gehört zum UNESCO-Welterbe.
„Ich wollte eine Phase in meinem Leben haben, in der ich mich ganz dem Dienst widme“, sagt die schmale, blonde Frau, die als Arbeitskleidung ein graues Polohemd und eine schwarze Hose trägt. Mehr als 650 Freiwillige betreiben die Anlage. Wiebers kontrolliert und informiert vor allem Besucher am Eingang.
Gleichberechtigung aller Menschen
Die junge Frau gehört selbst der Religion an, deren Anhänger an einen Gott glauben. Bahai sehen die Gleichberechtigung aller Menschen, Frieden und Bildung als zentrale Gebote für die Entwicklung hin zur Einheit der Menschheit an. Bis zu sieben Millionen Bahai gibt es weltweit, davon rund 5.700 in Deutschland, wie die Gemeinschaft angibt. Am kommenden Sonntag feiern die Gläubigen den 200. Geburtstag ihres Religionsgründers Baha Ullah.
Wiebers Eltern sind selbst Bahai. Als sie 15 war, hat sie sich „erklärt“, wie Wiebers sagt – sich dafür entschieden, Bahai zu sein. „Mit 15 hat man sozusagen das Recht, seine eigenen Entscheidungen zu machen“, sagt sie mit sanfter Stimme. Erst dann können Jugendliche Bahai werden. Die Religion hat ihren Ursprung Mitte des 19. Jahrhunderts im Iran. Die Religionsgründer Bab (arabisch für Pforte) und Baha Ullah (Pracht Gottes) waren Muslime. Ihre Anhänger wurden als Abtrünnige vom Islam, als Gotteslästerer verfolgt, der Bab hingerichtet. Bis heute können Bahai ihre Religion im Iran nicht offen leben.
Baha Ullah wurde des Landes verwiesen und kam letztlich nach Akko, in die dortige Gefängniskolonie des osmanischen Reiches. In der Hafenstadt liegt heute sein Grab, einige Kilometer nördlich von Haifa. Die Grabstätte des Bab befindet sich in einem Tempel im Zentrum der Gärten.
Kein Alkohol, kein Sex vor der Ehe
Als Bahai gelten für Wiebers verschiedene Regeln, eine davon lautet: kein Alkohol. „Das ist eines der einfachsten Gesetze“, sagt sie. „Ich bin so aufgewachsen, meine Eltern trinken auch keinen Alkohol. Es hat mir nie gefehlt.“ Ihre Freunde aus der Schulzeit hätten sie da sehr unterstützt.
Sex vor der Ehe ist ebenfalls verboten. „Ich finde, das macht viel Sinn. Es geht darum, jemanden zu finden, mit dem man sein Leben aufbaut“, sagt die junge Frau. Das solle man nur mit einer Person tun. Bahai dürfen auch Nicht-Bahai heiraten. Aber immer müssen alle vier Elternteile der Ehe zustimmen.
Wiebers betet zudem jeden Tag. Dafür wäscht sie sich Hände und Gesicht und wendet sich Richtung Norden nach Akko. Die Einhaltung der Gesetze bleibt allerdings weitgehend jedem Bahai selbst überlassen. „Wir glauben, dass die Beziehung zwischen dem Individuum und Gott ist“, erklärt sie. „Ich bin verantwortlich für mein eigenes geistiges Wachstum.“
Dieses Grundverständnis zeigt auch die Struktur der Religionsgemeinschaft: „Es gibt keinen Klerus, keine Priester, alles sind gewählte Institutionen.“ Zentrales Organ ist das Universale Haus der Gerechtigkeit in Haifa.
Ein Grundsatz der Bahai ist, dass alle Religionen den gleichen Ursprung haben. „Wir glauben, weil sie alle von der gleichen Quelle abstammen, dass die zentralen spirituellen Lehren die gleichen sind“, sagt Sarah Vader, stellvertretende Generalsekretärin der internationalen Bahai-Gemeinschaft. Die einzelnen Glaubensrichtungen hätten sich nur aufgrund unterschiedlicher kultureller und zeitlicher Einflüsse anders entfaltet. Die Bahai-Gemeinschaft wächst laut Vader weltweit.
Vor allem Frauen und junge Menschen von Bahai angezogen
„Die Religion ist vor allem sehr einfach und sehr klar, und spricht tatsächlich die zentralen Bedürfnisse der Menschen an“, sagt Mosche Scharon, Bahai-Experte und emeritierter Professor der Hebräischen Universität in Jerusalem. Gerade Frauen und junge Menschen fühlten sich von den Ideen der Gleichberechtigung, des Friedens und der Bildung angesprochen. „Sie werden Bahai, weil sie spüren, dass das in die moderne Zeit gehört.“
Clara-Lisa Wiebers will im Januar wieder nach Deutschland zurückkehren und Medizin studieren. In Israel dauerhaft bleiben, kann sie sowieso nicht. Baha Ullah hat verfügt, dass Bahai sich nicht im Heiligen Land niederlassen dürfen.
Von: Stefanie Järkel, dpa/dn