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Offener Brief an „Radio Vaticana“

Der katholische Sender „Radio Vaticana“ hat Statistiken zur Zahl der Christen in Israel veröffentlicht. Durch Fehler und unterschlagene Informationen entsteht dabei der Eindruck, dass die Zahl der Christen sinkt. Ein Kommentar von Ulrich W. Sahm
Die Zahl der Christen in Israel hat über die vergangenen Jahrzehnte zugenommen

Liebe Redaktion von „Radio Vaticana“,

Sie haben eine „Bestandsaufnahme“ der Lage der Christen im Nahen Osten veröffentlicht. Darin heißt es: „In Israel hingegen leben heutzutage nur noch 170.000 Christen vor allem arabischen Ursprungs, also 2,4 Prozent der Bevölkerung, während der Prozentsatz an Christen zur Geburtsstunde des Landes 1948 noch 20 Prozent betrug. Im Westjordanland gibt es 59.000, im Gazastreifen hingegen nur 1.300 Christen auf 2 Millionen Einwohner. In Jerusalem stellen die Christen 15.800 von 870.000 Bewohnern.“

Ihre Angaben sind sachlich falsch und widersprechen sogar Angaben aus dem von Ihnen zitierten Report der Vereinigung der katholischen Wohlfahrtsorganisation im Nahen Osten (CNEWA). Während Sie (zu Recht) bei den arabischen Staaten mit absoluten Zahlen argumentieren, um den Schwund der Christen zu demonstrieren, bringen Sie im Falle Israels mit 170.000 (der heutigen Zahl) nur eine absolute Zahl, um dann einen „Schwund“ zu behaupten, indem Sie übergehen zu Prozentzahlen, also heute „nur“ noch 2,4 Prozent der Bevölkerung.

Stetiges Wachstum

Hierzu Folgendes: Indem Sie die Zahl der Christen in den früheren Jahren verschweigen, unterschlagen Sie, dass die Zahl der Christen in Israel langsam, aber stetig gewachsen ist. Laut israelischem Statistikamt gab es 34.000 Christen im Jahr 1949. Diese Zahl ist gemäß Ihren Angaben auf heute 170.000 Christen gewachsen – allein durch natürliche Vermehrung.

Sie behaupten, dass der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung in der Geburtsstunde Israels noch 20 Prozent betrug. 1949 lebten in Israel insgesamt etwa 1,1 Millionen Menschen. Gemäß Ihrer Zahl müsste es damals also rund 200.000 Christen gegeben haben. Doch gemäß offiziellen Statistiken gab es nur 159.000 „Araber“, also Muslime wie Christen. Ihre Zahl kann beim besten Willen nicht stimmen.

Anteil wegen äußerer Faktoren gesunken

Sie lassen außerdem die rund 60.000 Gastarbeiter (nach anderen Angaben sogar 200.000) aus, von denen viele Christen sind, speziell Philippiner, Rumänen, Polen und andere. Die Zahl der Christen in Israel ist in Wirklichkeit erheblich größer, wenn Sie die rund 300.000 nicht-jüdischen Russen mitzählen, die 1990 massenweise eingewandert sind und in der offiziellen Statistik als „Andere“ angeführt werden.

Der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung ist gesunken wegen Faktoren, die nichts mit den Christen selber zu tun haben. In den 1950er Jahren, als es in Israel eine Gesamtbevölkerung von zunächst etwa 806.000 Menschen gab, verdoppelte sich die Gesamtbevölkerung um rund 800.000 Juden, die aus allen arabischen Ländern vertrieben worden waren. Hinzu kamen noch Masseneinwanderungen aus Polen, Rumänien, der ehemaligen Sowjetunion (etwa eine Million Menschen), Äthiopien und vielen anderen Ländern. Die natürliche Vermehrung bei Christen liegt bei etwa 1,7 Prozent (ähnlich wie bei den Juden). Bei muslimischen Arabern belief sich diese Zahl laut Statistikamt im Jahr 1990 noch auf 3,8 Prozent, im Jahr 2013 nur noch auf 2,2 Prozent.

Meines Wissens sind Christen dank ihrer guten Bildung besser integriert als andere Minderheiten in Israel. Deshalb gibt es unter den Christen nicht viele Auswanderer. Überdurchschnittlich viele Christen sind im Parlament, bei den Gerichten (und sogar beim Obersten Gericht) und in den Universitäten vertreten.

Irreführendes Zahlenspiel

Ihre Spielerei mit dem prozentualen Anteil an der Bevölkerung allein im Falle Israels ist irreführend. Genauso könnte man behaupten, dass in der Bundesrepublik der Anteil der Türken (der sogenannten Gastarbeiter) im Jahr 1990 dramatisch gesunken ist. Denn die deutsche Bevölkerung in der Bundesrepublik ist durch die Wiedervereinigung von heute auf morgen um 16,4 Millionen gewachsen, während kein einziger Türke Deutschland verlassen hat.

Tatsache ist, dass Israel das einzige Land in Nahost ist, in dem die Zahl der Christen in absoluten Zahlen steigt, von 34.000 im Jahr 1949 auf 170.000 im Jahr 2017 (nach Ihren Angaben). Eine Ausnahme dazu mag allein Jordanien sein; unter den Flüchtlingen aus den umliegenden Ländern (Syrien, Irak, Ägypten) befinden sich Christen. Ihre Formulierung „leben nur noch“ lässt einen Schwund bei den Christen in Israel vermuten, obgleich es seit 1949 eindeutig eine Steigerung um das Fünffache gab.

Keine Vergleichszahlen für Gaza und Westjordanland

Fraglich ist auch, warum Sie für das Westjordanland und Gaza nur die heutigen Zahlen erwähnen und keine Vergleichszahlen. Im Gazastreifen lebten bis zu Ende der israelischen Besatzung 2005 zwischen 3.500 und 5.000 Christen. Dass seitdem deren Zahl auf 1.300 gesunken ist, sollte erwähnt werden und Ihnen zu denken geben.

Was von solchen Zahlenspielen zu halten ist, können Sie in meiner Recherche von 2006 nachlesen, als ich mal versucht habe, die Zahl der in Bethlehem lebenden Christen zu ermitteln.

Ihr Ulrich W. Sahm, Jerusalem

Von: Ulrich W. Sahm

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