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Gegen eine neue Ersatztheologie

Messianische Juden gelten vielen Kirchenvertretern als Störfaktor für den christlich-jüdischen Dialog. Wie Juden und Christen von dieser Gruppe profitieren können, zeigt eine Sammlung wissenschaftlicher Aufsätze. Eine Buchrezension von Elisabeth Hausen
Das neue Buch gibt Aufschluss über das problematische Verhältnis der Kirche zu den messianischen Juden

Juden betrachten sie als konvertierte Christen, die offizielle Kirche erkennt sie nicht an – die sogenannten „messianischen Juden“. Eine neuerschienene Sammlung wissenschaftlicher Beiträge befasst sich mit verschiedenen Aspekten dieser Glaubensrichtung. Bei den Autoren handelt es sich um mehrere Pfarrer, eine Judaistin und einen Juden, der an Jesus glaubt. Der Titel deutet an, in welche Richtung die Beiträge gehen: „Messianische Juden – eine Provokation“. Dabei kommt auch das vieldiskutierte Thema Judenmission zur Sprache.

Die Judaistin und Pastorin Hanna Rucks widmet dieser Problematik unter der Überschrift „Reizwort Judenmission“ eine Abhandlung. Sie schreibt: „Alle haben beim Thema ‚Judenmission‘ Angst, etwas zu verlieren – und das macht dieses Thema so hoch sensibel!“ Die Autorin führt Gegenargumente für die weitverbreitete Vorstellung an, messianische Juden seien eine „Frucht von Judenmission“. Es gebe verschiedene historische Beispiele dafür, „dass sich messianisch-jüdische Gemeinden gerade in Abgrenzung zu dem gebildet haben, was sie unter ‚Judenmission‘ verstanden“.

Rucks geht auch auf das Verhalten ein, das in Israel unter das Antimissionsgesetz fällt: „Wiederum andere sehen im Begriff ‚Judenmission‘ alle Aktivitäten, die Notlagen ausnutzen oder mit Hilfe von Druck bzw. finanziellen Anreizen Juden zum Glauben an Christus zu bringen versuchen.“ Für die Judaistin enthält der Begriff drei Aspekte: Missionspraxis; Haltung; theologische Grundansichten. Um Missverständnisse zu vermeiden, schlägt sie das Wort „Begegnung“ als Alternative vor.

Paulus konvertierte nicht zum Christentum

Herausgeber Ulrich Laepple nimmt Bezug auf den Ausschuss „Christen und Juden“ der Evangelischen Kirche im Rheinland. Er lobt dessen Errungenschaften und merkt dann an, ein Thema sei in der Ausschussarbeit konsequent ausgespart, ja tabuisiert worden: die messianischen Juden. „Sie schienen in dem erarbeiteten israel-theologischen Konzept auf jüdischer wie auf kirchlicher Seite eine Verlegenheit zu sein, die mit Schweigen übergangen wurde.“

Aus Sicht des Theologen müsste es beides geben: „Ein klares Ja der Kirche zum synagogalen Mehrheitsjudentum und ein ebenso klares Ja zum messianisch-jüdischen Minderheitsjudentum – und beides theologisch wohl begründet“. Der Apostel Paulus hätte nicht sagen können, dass er Jude war und nun Christ geworden sei. Trotz seiner Taufe sei er nicht konvertiert, es habe sich um einen durchweg innerjüdischen Vorgang gehandelt. Laepple zitiert das Selbstverständnis des Christen Paulus: „Denn ich bin ein Israelit, vom Geschlecht Abrahams, aus dem Stamm Benjamin“ (Römer 11,1).

Kirche hat judenchristliches Fundament

Ebenfalls wohlwollend gegenüber messianischen Juden ist der Pfarrer Peter Hirschberg. Nach eigenen Angaben hat er durch Christus-gläubige Juden zum christlich-jüdischen Dialog gefunden. Dennoch zeigt er ein gewisses Verständnis für im Dialog engagierte Christen, die sich von diesen Juden distanzieren. Gleichzeitig hält er fest, er habe sich oft gefragt, ob man sich in christlich-jüdischen Dialogkreisen wirklich die Mühe mache, messianischen Juden menschlich und theologisch gerecht zu werden.

In einem Appell richtet er sich an die Kirchen: „Machen wir uns bewusst, wer wir sind und woher wir kommen! Wenn Jesus-gläubige Juden wie Petrus, Paulus und viele andere (nennen wir sie etwas anachronistisch ruhig einmal Messianische Juden) uns, den Nichtjuden, nicht das Evangelium verkündigt hätten, dann würden wir vielleicht immer noch unsere germanischen Götter anbeten. Das Fundament der christlichen Kirche ist judenchristlich.“

Hirschberg weist darauf hin, dass sich die ersten Christus-gläubigen Juden und Nichtjuden viele Konflikte und viel Leid hätten ersparen können, „wenn sie auf eine universale, auch das Judentum umfassende Christologie verzichtet hätten“. Im Gespräch mit Jesus-gläubigen Juden müsse aber auch deutlich werden, „dass und warum wir Judenmission für zutiefst problematisch halten“. Gleichwohl ist der Pfarrer davon überzeugt, dass auch die Juden Jesus einst als ihren Heiland erkennen werden: „Wenn Christus sich als Messias Israels offenbaren wird, dann wird er das Jüdischste im Judentum zum Glänzen bringen, und das wird vermutlich auch für manche Christen und Christinnen eine große Überraschung in sich bergen.“

Christliche Glaubensüberzeugungen in jüdischem Kontest

Auch ein messianischer Jude kommt zu Wort: Richard Harvey aus England. Er durfte 2015 an einer Podiumsdiskussion auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart teilnehmen. Sein erster Text ist eine Zusammenfassung der dortigen Präsentation. Den Kirchentagsbesuchern erläuterte er, was messianische Juden glauben. Die Mehrheit habe einen christlich-orthodoxen Glauben, was die Einzigartigkeit und Gottheit Christi, die Dreieinigkeit und die Autorität der Schrift angehe. Allerdings drückten messianische Juden diese Glaubensüberzeugungen in einem jüdisch-kulturellen und jüdisch-religiösen Kontext aus, der die bleibende Erwählung Israels – verstanden als das jüdische Volk – bestätige. „Dazu gehört die Überzeugung, dass Gott besondere und bleibende Absichten mit seinem Volk hat.“

In einem weiteren Beitrag wendet sich Harvey gegen „eine Theologie, die das Vorhandensein und die theologische Bedeutung der Juden, die an Jesus glauben, ignoriert“. Diese wäre aus seiner Sicht „selber eine Form der Ersatztheologie“ – also der Vorstellung, durch die Kirche sei Israels Erwählung aufgehoben.

Das Ehepaar Rita und Hans-Joachim Scholz berichtet von persönlichen Begegnungen mit Jesus-gläubigen Juden. Die Autoren erinnern daran, dass auch in den Familien der messianischen Juden der Holocaust gewütet habe. „Selbst für die, deren unmittelbare Angehörige verschont geblieben sind, gilt dasselbe wie für alle anderen Juden, die außerhalb des Herrschaftsbereichs der Nazis lebten: Sie wären ebenso ‘dran gekommen‘, wenn sie hinter der Front gelebt hätten“. Messianische Juden litten unter der Missachtung ihrer Holocaust-Geschichte.

Messianisches Judentum gut erklärt

Die unter der Marke „Neukirchener Theologie“ erschienenen Texte sind entsprechend wissenschaftlich. Fachbegriffe werden nicht erklärt, es gibt vereinzelt englische Originalzitate ohne Übersetzung. Die facettenreiche Debatte über Christus-gläubige Juden wird deutlich. Allerdings wäre eine echte Gegenposition wünschenswert gewesen, etwa von einem der Verantwortlichen des Kirchentages, der ja den Auftritt messianischer Juden grundsätzlich ablehnt. Die Autoren zitieren sich teilweise gegenseitig, Harveys Beitrag auf dem Kirchentag wird mehrfach erwähnt.

Dennoch ist das Buch lesenswert, zeichnet es doch die geschichtliche Entwicklung Christus-gläubiger Juden von der Urgemeinde bis heute nach. Auch die Vielfalt der messianischen Theologie und des damit verbundenen Glaubenslebens wird deutlich – von einer sehr jüdischen Ausrichtung bis zu einer christlichen Ausprägung, die fast keine jüdischen Elemente mehr enthält. Ein weiterer Pluspunkt: An den wenigen Stellen, an denen israelische Politik vorkommt, gehen die Autoren differenziert damit um.

Ulrich Laepple (Hg.): „Messianische Juden – eine Provokation“, Vandenhoeck & Ruprecht, 159 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-7887-3055-0

Von: eh

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