JERUSALEM (inn) – Ein israelischer Rechtsanwalt hat Anzeige gegen die regierungskritische Organisation „B‘Tselem“ erstattet. Der „B‘Tselem“-Vorsitzende Hagai El-Ad hatte am Freitag den Weltsicherheitsrat in einer Sitzung aufgefordert, gegen israelische Siedlungen im Westjordanland vorzugehen. Für den Juristen Juval Mor Musli erfüllt dies drei Tatbestände, die in Israels Strafgesetzbuch als „Verrat“ eingestuft werden.
Nach Mors Auffassung hat die Organisation darauf hingearbeitet, der Souveränität des Staates zu schaden. Zudem setze sie sich dafür ein, dass Land an ein ausländisches Gebilde übergeben werde. Hinzu kämen Schritte, die einen Krieg auslösen könnten. Auf diesen drei Punkten basiert die Anzeige des Aktivisten der sozialdemokratischen Arbeitspartei, wie die Onlinezeitung „Times of Israel“ berichtet.
„Unsichtbare, bürokratische Gewalt“
Im Sicherheitsrat lautete das Thema: „Illegale israelische Siedlungen: Hindernisse für Frieden und die Zweistaatenlösung“. Der Antrag kam von den Mitgliedsstaaten Ägypten, Angola, Malaysia, Senegal und Venezuela, die Initiative von den Palästinensern. Hintergrund ist die sogenannte „Arria-Formel“, die zwanglose Treffen ohne Abstimmung ermöglicht. Dort besteht keine Anwesenheitspflicht.
In der Sitzung sagte der „B‘Tselem“-Vorsitzende El-Ad, Israel schaffe Tatsachen vor Ort, bevor ein Friedensabkommen mit den Palästinensern geschlossen werde. Dadurch wolle es Zeit gewinnen. Die „tägliche unsichtbare, bürokratische Gewalt“ dominiere das palästinensische Leben „von der Wiege bis zum Grab“. Dazu gehöre die israelische Kontrolle darüber, welche Palästinenser in die besetzten Gebiete ein- und aus ihnen ausreisten.
Der „B‘Tselem“-Chef ergänzte, es sei der moralische Imperativ des Sicherheitsrates, eine Botschaft an Israel zu senden. Diese müsse lauten, dass „es nicht 50 Jahre lang ein anderes Volk besetzen und sich als Demokratie bezeichnen kann“. Worte hätten keine Auswirkung auf Israel. Deshalb müsse der Rat aktiv werden, um die Besatzung zu beenden. Der hebräische Name der linksgerichteten Vereinigung bedeutet übersetzt „nach dem Ebenbild“ und bezieht sich auf den biblischen Schöpfungsbericht (1. Mose 1,27).
Gruppen nicht zum Schweigen bringen
Auch die israelische Organisation „Peace Now“ (Frieden jetzt) war in der Sitzung vertreten, allerdings durch ihre Partnerorganisation in den USA, „American Friends of Peace Now“. Deren Politikdirektorin Lara Friedman merkte an, das Treffen befasse sich mit Menschenrechten. Einige der teilnehmenden Staaten verletzten selbst Menschenrechte. Dennoch habe sie einer Teilnahme zugestimmt, weil das Klima in Israel für Rechtsgruppen rau geworden sei. Die Arbeit dieser Gruppen sei zu wichtig, als dass sie zum Schweigen gebracht werden dürften.
Die Zahl der Siedler sei während der vergangenen 20 Jahren aufgrund der israelischen Regierungspolitik dramatisch gewachsen, fügte Friedman an. Zwischen 2009 und 2015 seien unter Premier Benjamin Netanjahu 11.000 neue Wohneinheiten im Westjordanland bewilligt worden. Es gebe ein israelisches System, das der Ausweitung von Siedlungen gewidmet sei. Die Investition in Siedlungen zeige, dass der Staat versuche, die Zweistaatenlösung zu verhindern.
USA und Russland kritisieren Hauszerstörungen
Der stellvertretende UN-Botschafter der USA, David Pressman, merkte an, die Vereinigten Staaten seien „zutiefst besorgt und lehnen Siedlungen, die zersetzend für Frieden sind, ab“. Israelische Aktivitäten im Westjordanland, vor allem Siedlungsbau, „schaffen eine Einstaatwirklichkeit vor Ort“. Die Zerstörung palästinensischer Wohnhäuser, vor allem in der von Israel kontrollierten Zone C des Westjordanlandes, habe deutlich zugenommen. Beide Seiten müssten unmittelbare Schritte zur „Umsetzung der Zweistaatenlösung“ unternehmen. Pressman verurteilte auch palästinensische Terroranschläge gegen Israelis. Wer zur Gewalt aufhetze, sende eine Botschaft an die internationale Gemeinschaft, dass er nicht am Frieden interessiert sei.
Der russische Vertreter in der Sitzung sagte, der israelisch-palästinensische Konflikt nähere sich „dem Augenblick der Wahrheit“. Es bestehe ein Konsens über die Illegalität von israelischem Siedlungsbau, Abriss von Häusern und Gewalt. Diese Aktivitäten schafften „palästinensische Enklaven“, die von der Außenwelt abgeschlossen seien. „Israel braucht Sicherheit, aber ohne die Zweistaatenlösung wird die Bedrohung Israels wachsen“, lautete die russische Perspektive.
Der malaysische Botschafter wiederum forderte laut der Tageszeitung „Ha‘aretz“: „Wir müssen Israel nicht mehr Zuckerbrot geben, sondern mehr Peitschen.“
Netanjahu: Gewalt bereits vor Siedlungen
Die Beteiligung von „B‘Tselem“ an der Sitzung stieß in Israel nicht nur bei Anwalt Musli auf Kritik. Regierungschef Netanjahu warf der Organisation Samstagnacht vor, sie habe sich „dem Chor der Schlammschlacht“ gegen Israel angeschlossen. Dabei habe sie „die falsche Behauptung, dass ‚die Besatzung und die Siedlungen‘ der Grund für den Konflikt seien, wiederaufbereitet“.
Netanjahu schrieb auf Facebook: „In der israelischen Demokratie können sich flüchtige und seltsame Organisationen wie ‚B‘Tselem‘ auch äußern. Aber der größte Teil der Öffentlichkeit kennt die Wahrheit.“ In Wahrheit griffen die Palästinenser Israel seit etwa 50 Jahren an. Sie hätten damit begonnen, noch bevor es eine Siedlung gab. Sie griffen Israel weiter vom Gazastreifen aus an, obwohl der vollständig geräumt sei. Dies beweise, dass nicht die Besatzung die Wurzel des Problems sei, sondern „die fortdauernde palästinensische Weigerung, einen jüdischen Staat in irgendwelchen Grenzen anzuerkennen“.
Der Likud-Vorsitzende kündigte an, sich für ein neues Gesetz stark zu machen. Dieses solle verhindern, dass Freiwillige im Nationalen Dienst für die Organisation arbeiten. Jedes Jahr steht „B‘Tselem“ ein Zivildienstleistender zur Verfügung. Derzeit ist die Stelle vakant.
Die stellvertretende Außenministerin Zippi Hotovely (Likud) sagte: „Die Besiedlung von Judäa und Samaria ist ein gerechter und moralischer Akt. Sie ist legal nach internationalem Recht. Die Wurzel des Konfliktes ist Terror, Gewalt und die Weigerung der Palästinenser, Israels Existenz als jüdischer Staat zu akzeptieren.“ „B‘Tselem“ befinde sich mit ihren Ansichten und Aktionen außerhalb der Reichweite der israelischen Öffentlichkeit.
Teilweise Verständnis für „B‘Tselem“
Der Abgeordnete Itzik Schmuli von der „Zionistischen Union“ meldete sich im Gespräch mit dem Fernsehsender „Kanal 2“ ebenfalls zu Wort: „Es besteht kein Zweifel, dass die Politik Netanjahus und der Rechten Israel in einen demographischen Konflikt und eine nationale Katastrophe führt, während die einzige Lösung die Trennung ist. Gleichzeitig ist es jedoch ein großer Fehler, voreingenommen zu parteiischen UN-Organisationen zu rennen.“ Es diene vor allem dazu, die Dämonisierung Israels in der Welt zu fördern.
Tamar Sandberg von der linksgerichteten Meretz-Partei bekundete hingegen Unterstützung für die israelischen Gruppen: „Der Gedanke, dass wir mit der Besatzung weitermachen können und gegen den Boten zu hetzen, ist kindisch und schädlich. Sich der Besatzung entgegenzustellen, ist patriotisch, und der Vergleich, den Bibi (Netanjahu) zu schaffen versuchte, als wäre Unterstützung für Israel Unterstützung für die Besatzung, ist schlicht eine Lüge.“ In Wirklichkeit dienten Menschenrechtsorganisationen Israel. Denn sie „zeigen, dass derjenige, der es wirklich schlimmer macht, und das schon so viele Jahre lang, Premierminister Netanjahu ist“.
El-Ad: Nicht gegen Israel, sondern gegen Besatzung
„B‘Tselem“-Direktor El-Ad verteidigte indes seinen Auftritt vor dem Weltsicherheitsrat. Israelische Organisationen sollten nicht daran gehindert werden, Regierungspolitik auf der internationalen Bühne zu kritisieren „Ich habe mich nicht gegen mein Land geäußert, sondern gegen die Besatzung. Die entschiedene Aktion von Hunderttausenden Israelis gegen eine Besatzung, die demnächst 50 wird, ist der beste Weg, einen Wandel herbeizuführen.“
Netanjahu prahle mit Israels guten Beziehungen mit Ländern, die in Wirklichkeit scharfe Kritiker der Siedlungen seien, äußerte der Aktivist weiter. „Dies wird B‘Tselem und Hunderttausende in Israel, die gegen die Besatzung sind, nicht abschrecken. Wir werden weiter die Wahrheit in Israel und im Ausland erzählen: Die Besatzung muss enden.“
Israelischer Vertreter: Geschichte geleugnet
Nur einen Tag vor der Sitzung des Sicherheitsrates hatte sich die UNESCO auf Betreiben der Palästinenser mit dem Status des Tempelberges befasst. Dabei sprach der Welterbeausschuss eine jüdische Verbindung zu dem Gelände in Jerusalem ab. Ein ranghoher israelischer Vertreter nahm darauf am Freitag gegenüber „Ha‘aretz“ Bezug: Die Behauptungen des Sicherheitsrates „leugnen Tausende Jahre einer tiefen Verbindung zwischen dem Volk Israel und seinem Land – genau wie es gestern mit der absurden Entscheidung der UNESCO geschehen ist“.
Der Beamte fügte hinzu: „Israelische Gemeinden als Hindernis für Frieden anzusehen, nimmt die skandalöse palästinensische Forderung wieder auf, dass Palästina frei von Juden sein soll. In jedem anderen Fall würde eine solche Forderung abgelehnt. Niemand würde auf die Idee kommen, zu sagen, eine Bedingung für Frieden sei, dass Israel frei von Arabern ist.“ (eh)UNESCO-Resolution: Al-Aksa-Moschee statt jüdischer Tempel (inn)
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