Auf 18 Regalmetern stehen rund 1.000 Bücher: Alles zum Kochen und Backen – auf Englisch, Deutsch, Hebräisch und Französisch – was nach vielen Jahren begeisterten Sammelns und Hamsterns zusammengekommen ist. Die Bücher bieten einen interessanten Einblick in die Mentalität der Kochbegeisterten verschiedener Länder.
Das älteste Exemplar in meiner Sammlung sind die „Recepte der gewöhnlichen und feineren Küche“ von Henriette Davidis, 1846 in Barmen gedruckt, die 2. Auflage dieses bis heute immer wieder aufs Neue aktualisierten Klassikers. Nicht einmal das Davidis-Museum in Dortmund verfügt über ein Exemplar dieser seltenen Auflage.
Bekanntlich war man in Deutschland früher in der Hauptsache ordentlich und gründlich. Allesumfassende Rezeptsammlungen erfreuten sich besonderer Beliebtheit. Klassiker wie die Schmöker von Mary Hahn und Henriette Davidis enthalten Anleitungen für alle denkbaren Speisen, von Suppen bis zum süßen Dessert. Die älteren Auflagen richten sich dabei ausdrücklich an die „Hausfrau“ und „geübte Köchin“, denn vor mehr als einhundert Jahren standen noch keine Männer am heimischen Herd und die typische Hausfrau hatte nur ein einziges Kochbuch, um ihre Familie für alle Zeiten abwechslungsreich zu ernähren. Die älteren Werke dieser Art sind auch nicht bunt bebildert, wie viele der heutigen Kochbücher, sondern enthalten zwischen eng und unübersichtlich in gotischer Schrift gedruckten Rezepten bestenfalls ein paar Stiche. Abgebildet sind auch nicht die fertigen Speisen oder Schritte zur Zubereitung, sondern Backöfen, Küchenwerkzeuge und Grills.
Neue Kochbücher lockern die Küchenlandschaft auf
Diese Tradition allumfassender Kochbücher wird heute von Elektrowerken wie „Schleswag“ oder der „Berliner Kraft- und Licht AG“ (Bewag). fortgeführt. Dort finden sich teilweise wirklich gute Rezeptempfehlungen – aber nur durch die Lektüre des kompletten Kochbuchs. Starköche wie Johann Lafer setzen heute diese Tradition fort: „Meine Kochschule“ bietet alles, von der Vorspeise über Fleisch- und Gemüsegerichte bis hin zu Getränken.
Mit Dr. Oetker und dem „Könemann“-Verlag hat sich die Küchenlandschaft aufgelockert. Es gibt Prachtbände mit vielen bunten Bildern und kulturellen Streifzügen durch Sachsen, Bayern, Baden, dem Schwabenland und Ostfriesland. Man schaut auch über den Tellerrand nach Thailand, China, Indien und Frankreich, USA und Spanien. Ebenso bietet der heutige Markt Bücher, bei denen es sich jeweils nur um eine Zutat dreht: Joghurt, Knoblauch, Tomaten, Pasta, Hühnchen oder Kartoffeln. Andere konzentrieren sich auf die Kochmethode wie backen, dünsten oder einmachen. Selbstverständlich werden auch moderne Trends bedient: Veganer und Vegetarier.
Die israelische Küche
Eine völlig andere Ausrichtung bietet meine recht ausgiebige Sammlung israelisch-hebräischer Kochbücher. Bei den meisten steht „koscher“ unter dem Titel. Zutaten wie Schwein oder Seegetier sowie Gerichte, in denen Milch und Fleisch gemischt werden, sind ausgeschlossen. Erst 1987 hat es der bekannte Fernsehkoch Israel Aharoni gewagt, neben einem koscheren Kochbuch, etwa zur chinesischen Küche, auch eine nicht-koschere Ausgabe anzubieten.
Auf die Frage, ob es überhaupt schon eine „israelische Küche“ gebe, lachte Aharoni: „Selbstverständlich. Man fülle ein irakisches Fladenbrot mit einem Wiener Schnitzel, türkischem Tomatensalat, arabischem Tahini und jemenitischer S‘chug-Gewürzpaste.“
In einschlägigen Restaurants in Tel Aviv steht auf dem Menü „weißes Fleisch“, wenn Schwein gemeint ist. Als Eli Landau jüngst ein ganzes Kochbuch zum Thema „Schwein“ herausgab, selbstverständlich der mediterranen Küche angepasst, beließ er den Einband weiß und nannte es das „Das Weiß-Buch“. Das klingt wie ein politischer Untersuchungsbericht.
Was die Mame mitgebracht hat
Auffällig ist das Fehlen von hebräischen Kochbüchern zur deutschen oder polnischen Küche. Vielmehr sind viele Kochbücher exotischen Gegenden gewidmet: Georgien, Marokko, Libanon, Jemen, Ägypten, Irak oder den „Gerüchen von Aleppo“ in Syrien.
Diese Bücher haben nichts oder nur wenig mit der Küche in den genannten Ländern zu tun. Vielmehr hat man den Großmüttern über die Schulter geschaut und aufgezeichnet, was diese aus Kurdistan, Irak, Indien oder dem Maghreb mitgebracht haben. Es handelt sich dabei vornehmlich um eine typisch jüdische Küche. Mit der Vertreibung der Juden war sie aus den Ursprungsländern verschwunden. Das Erbe wird in Israel bewusst gepflegt. Ein israelischer Koch erzählte, er sei einmal nach „Kurdistan“ im Osten der Türkei gefahren. Doch nirgends konnte er jene Gerichte entdecken, die in Israel als „typisch kurdisch“ in aller Munde sind.
Ein spezielles Phänomen ist die „jemenitische“ Küche. Einst kannten nur Eingeweihte die scharfe Würzpaste S‘chug aus Koriander und scharfer Paprika oder die Blätterteig-Brote wie Jachnun und Malawach. Heute findet man sie in jedem besseren Supermarkt. Die jemenitische Gewürzmischung „Hawaidsch“ für Suppen ist in Israel populärer als indisches „Curry“. Beide weisen eine gewisse Ähnlichkeit auf. Jemen an der Südspitze der arabischen Halbinsel war ein Knotenpunkt der Kulturen. Obgleich die Jemeniten nur eine relativ kleine Minderheit sind, hat ihre mitgebrachte Kultur das Land entscheidend geprägt, etwa mit dem Gesang von Ofra Hasa oder Achinoam Nini (Noa).
Kleines Volk und große Portionen
Gleich zwei Kochbücher in der Sammlung bieten mehr Rezepte, als es Mitglieder des „kleinsten Volkes der Welt“ gibt: der Samaritaner. Das seit gut 3.000 Jahren archäologisch im Heiligen Land nachgewiesene Volk umfasste einst eine Million Menschen. Samaritaner betrachten sich als die „echten Juden“. Sie verwenden bis heute die althebräische Schrift, wie sie unter König David verbreitet war und längst durch die aramäische Quadratschrift ersetzt worden ist. In biblischer Zeit waren die Samaritaner erbitterte und mächtige Feinde der Israeliten. Heute ist das Volk der Samaritaner auf nur noch 600 Mitglieder geschrumpft. Sie leben in Enklaven in Nablus, auf dem Berg Garizim, und in Holon südlich von Tel Aviv.
Ein Kuriosum ist „Kochen bei Zahal“, also ein Militär-Kochbuch, verfasst von Bataillonskommandeur Gadi Keinan. Alle populären Speisen wie Pasta in Tomatensoße, Blätterteig oder Mayonnaise werden in zwei Versionen aufgelistet: eine für zehn und eine zweite für hundert Portionen. „Befehlshaber, Soldaten“, grüßt das Vorwort. Das Kochbuch soll die Mahlzeiten in Kasernen schmackhafter machen. Herausgeber ist das Verteidigungsministerium.
Arabische Küche
Seit einigen Jahren wächst das Interesse vieler Israelis an der Küche ihrer arabischen Nachbarn. Wegen politischer Korrektheit und um potentielle Kunden nicht abzuschrecken wird da getitelt „Die Küche der Araber des Landes Israel“ oder „Arabisches Kochen in Galiläa“. Das Wort „Palästinenser“ kommt nicht vor.
Zwei Werke tragen unter dem Titel den Hinweis „Koscher“. Selbstverständlich tauchen da viele Klassiker der nahöstlichen Küche auf. Doch die biblische Götterspeise „Zicklein in der Milch seiner Mutter“ wurde aus Rücksicht auf die jüdischen Kunden nicht aufgenommen, obgleich das Gericht bei keiner arabischen Hochzeit fehlen darf. Ebenso fehlen andere wunderbare Speisen, bei denen Joghurt und Fleisch vermengt werden.
Biblisch kochen
In der großen Welt der Kochbücher mangelt es nicht an „Bibel-Kochbüchern“. Manche sind albern, wenn etwa Tomaten oder Kartoffeln vorkommen, die erst nach Kolumbus aus Amerika nach Europa kamen und noch viel später in den Nahen Osten. In der Bibel werden zwar Zutaten wie Wachteln, Kräuter, Zwiebeln und Honig erwähnt, aber über die Zubereitung ist nichts bekannt.
Der biblische Honig stammte übrigens wahrscheinlich nicht von Bienen, sondern war eher eine süße Dattelpaste. Nicht immer kann man sich bei biblischen Gerichten auf das heutige Verständnis der Begriffe verlassen. Als Ruth von einer Reise kam und hungrig war, habe sie eine Schüssel voller „Essig“ mit ihrem Brot gegessen. Da steht „Hometz“, doch es wird ähnlich geschrieben und genauso ausgesprochen wie „Humus“. Hat sie vielleicht doch eher Kichererbsenbrei genossen, dessen „Erfindung“ die Palästinenser für sich beanspruchen und zu ihrer „Nationalspeise“ erkoren haben?
Historisches Jerusalem
Interessanter und fundierter ist da der „Katalog“ einer kulinarischen Ausstellung in der Jerusalemer Davids-Zitadelle im Jahr 1992, zusammengestellt von Sari Anski, heute eine populäre Kochbuchautorin und Fernsehköchin. Hier wurden historische Mahlzeiten nachgestellt. Dabei verzichteten die Kuratoren auf die Rekonstruktion eines Frühstücks des Königs Salomon.
Auch die berühmteste aller Mahlzeiten, das letzte Abendmahl Jesu, kommt ohne Rezept daher. Erhalten geblieben ist dagegen das Festmenü zur Einweihung des Augusta-Victoria-Hospiz‘ auf dem Ölberg am 10. April 1910. Kronprinz Ferdinand, Sohn von Kaiser Wilhelm II., war Ehrengast. Da gab es „Reisspeise mit gedämpften Nieren“, „Ochsenlenden-Braten“ und „Rebhuhn-Pastete“ – alles zum nachkochen.
Das älteste Rezept im neuesten Buch
„Frisch aus dem Ofen“ sind die ersten Exemplare der zweiten überarbeiteten Auflage „Wunder(sahm)es aus Jerusalem“, „Rezepte und Wissenswertes der israelischen Küche, gewürzt mit ein paar Erinnerungen“. Im Kapitel, „Wo König Salomon zu Fuß hinging“ habe ich eine Speise aus biblischer Zeit rekonstruiert.
Das vornehme „Haus des Achiel“ wurde am 9. des Monats Av im Jahr 586 vor Christus zusammen mit dem Tempel und der Stadt Jerusalem vom assyrischen König Nebukadnezar in Schutt und Asche gelegt. Daher konnte kein Kochbuch gerettet werden. Achiel hatte jedoch bis zum 8. Av das stille Örtchen benutzt, das Archäologen neben dem großen Wohnzimmer freigelegt haben, erkennbar durch einen wohlgeformten Stein mit einem Loch in der Mitte. Das Erdreich darunter wurde zur Analyse in die USA geschickt.
Achiel hatte Lamm, Ziege, Hühnchen oder Pute gegessen, gewürzt mit allen Kräutern, die heute noch in Jerusalem am Straßenrand wild wachsen. So habe ich Rosmarin, Salbei, Minze und Kapern mit Zwiebeln, Knoblauch, Olivenöl, Salz und Pfeffer in den Mixer gegeben, damit das Fleisch mariniert und gebacken. Das „letzte Mahl des Achiel“ lohnt den Aufwand. Es schmeckt vorzüglich.
Ulrich W. Sahm, „Wundersa(h)mes aus Jerusalem“, Edition Fisch, 20 Euro, ISBN: 978-3-9815429-2-9
Dieser Beitrag erschien zuerst bei www.audiatur-online.ch