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Netanjahu: „Einen weiteren Holocaust verhindern“

JERUSALEM (inn) – Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat die Diskussion um das iranische Atomprogramm mit der Lage vor dem Zweiten Weltkrieg verglichen. Anlässlich des nationalen Holocaust-Gedenktages warf er demokratischen Staatsführern vor, erneut die Augen vor einer Katastrophe zu verschließen.
Warnte zum Holocaust-Gedenktag vor dem Iran: Benjamin Netanjahu
Mit einer Zeremonie in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem haben führende israelische Politiker am Mittwochabend an den Holocaust erinnert. Anlass war der nationale Gedenktag für Holocaust und Heldentum, „Jom HaScho‘ah“. Regierungschef Benjamin Netanjahu leitete seine Rede mit diesen Worten ein: „Vor 70 Jahren läuteten in der freien Welt die Glocken der Freiheit. Der furchtbare Alptraum, der die gesamte Menschheit in die Tiefen des Blutes gehüllt hatte, war in Europa zu einem Ende gekommen. Aber der Tag, an dem die Nazis bezwungen wurden, war nicht nur ein Tag der Erleichterung und des Jubels. Es war ein Tag der großen Trauer für unsere Nation, aber auch ein Tag des Nachdenkens für Weltführer.“ Nach Kriegsende hätten die politischen Führer die „wichtigste Lektion des Zweiten Weltkrieges“ ausgesprochen: „Demokratien dürfen angesichts tyrannischer Regime, die expandieren wollen, kein Auge zudrücken.“ Ein versöhnlicher Zugang zu diesen Regimen erhöhe nur ihre Neigung zur Aggression, sagte Netanjahu gemäß einer Mitteilung des Premierministeramtes. Wenn diese Aggression nicht rechtzeitig aufgehalten werde, könnte sich die Menschheit in einer viel blutigeren Schlacht wiederfinden. Der Regierungschef kritisierte die Beschwichtigungspolitik gegenüber Adolf Hitler in den Jahren vor dem Krieg. Die freie Welt habe versucht, „sich durch Gesten bei ihm einzuschmeicheln“. Warnungen hätten die Politiker in den Wind geschlagen. Der Preis sei der Tod von sechs Millionen Juden und Millionen anderen Bürgern gewesen.

„Finsternis und Nebel ersetzen die Lehren“

Doch auch heute handelten Staatschefs nicht entsprechend den Lehren, die sie aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust ziehen müssten. „Genau wie die Nazis danach strebten, die Zivilisation zu zerschmettern und eine ‚Herrenrasse‘ zu gründen, um sie bei der Kontrolle der Welt zu ersetzen, während sie das jüdische Volk auslöschten, so strebt auch der Iran danach, die Kontrolle über die Region zu erlangen. Dann würde er sich weiter ausbreiten, mit der ausdrücklichen Absicht, den jüdischen Staat auszuradieren“, merkte Netanjahu an. Der Regierungschef zitierte aus dem biblischen Propheten Jesaja, Kapitel 60, Vers 2: „Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker.“ Die Lehren lösten sich auf. Ihren Platz nähmen Finsternis und Nebel ein, welche die Wirklichkeit leugneten. In diesem Zusammenhang äußerte Netanjahu Kritik an dem geplanten Abkommen mit dem Iran. „Die Supermächte stellen sich taub gegenüber den Massen im Iran, die schreien: ‚Tod Amerika; Tod Israel‘. Sie verschließen die Augen vor den Szenen der Hinrichtung derjenigen, die sich dem Regime widersetzen, und der Angehörigen von Minderheiten. Sie schweigen still angesichts der massiven Bewaffnung von Terror-Organisationen.“ Er verwies auf den iranischen Wettbewerb, bei dem Teilnehmer aus 56 Ländern bildlich die Leugnung des Holocaust darstellen wollen. Netanjahu fügte an: „Verehrte Gäste, heute habe ich in meinem Büro einen 85-jährigen Holocaust-Überlebenden getroffen, Abraham Niederhoffer. Abraham wurde in Rumänien geboren. Als er zwölf Jahre alt war, wurde er Zeuge des brutalen Mordes an seinen Verwandten durch einen rumänischen Soldaten. Er wurde in einem Viehwaggon in die Ukraine gebracht, wo er den Holocaust überlebte. Angesichts der beständigen Weigerung der kommunistischen Behörden in Rumänien, seine Emigration zu genehmigen, kam er erst 1969 nach Israel. Hier arbeitete er als Ingenieur und Vorarbeiter, er leistete seinen Beitrag zum Aufbau des Landes. Er erzählte mir seine Geschichte mit großen Emotionen, so sehr, dass er mehrere Male unterbrechen musste. Am Ende des Treffens flehte er mich an: ‚Premierminister‘, sagte er, ‚es ist Ihre Pflicht, einen weiteren Holocaust zu verhindern.‘ Ich antwortete: ‚Genau darin sehe ich meine Verantwortung.‘“ Netanjahu schloss mit dem Satz: „Die Nation Israel, die aus dem Höllenfeuer erstanden ist, ist für jede Herausforderung bereit.“

Rivlin: „Jeder von uns hat eine Nummer eintätowiert“

Staatspräsident Reuven Rivlin nahm in seiner Ansprache Bezug auf die Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen durch britische Soldaten vor genau 70 Jahren. Die Rückkehr der Überlebenden zum Leben „schien damals unmöglich. Sie mussten sich eine neue Existenz schaffen“, sagte er. Sie hätten neu lernen müssen, Träume zu haben, zu lieben, zu hoffen und zu genießen. Einem Bericht des Nachrichtenportals „Arutz Scheva“ zufolge ging Rivlin auch auf seine eigene Geschichte ein: „Ich wurde in dem Monat, in dem der Zweite Weltkrieg begann, in Jerusalem geboren. Als die Riegel der Todeslager geöffnet wurden – Bergen-Belsen, Auschwitz, Buchenwald, Theresienstadt, Chelmno und Majdanek –, waren meine Freunde und ich hier auf dem Weg in die erste Klasse.“ Die Entfernung zwischen Jerusalem und den Vernichtungslagern sei damals so groß gewesen wie heute. Das Staatsoberhaupt erinnerte an die ersten Überlebenden, die in der Stadt ankamen: „Wir sahen zum ersten Mal die eintätowierte Nummer auf ihren Armen. Zuerst dachten wir, sie seien verrückt. Langsam erkannten wir, dass die Welt verrückt geworden war.“ Rivlin würdigte die anwesenden Scho‘ah-Opfer als „Helden der Wiedererweckung“. Sie seien die Feuersäule vor dem Lager gewesen, ergänzte er mit Bezug auf die in der Bibel geschilderte Wüstenwanderung. „Heute, 70 Jahre nach der Befreiung der Todeslager, stehen wir vor euch und schwören einen Eid und versprechen: ‚Wir alle, jeder von uns, haben eine Nummer im Arm eintätowiert.‘ Doch gleichzeitig und mit demselben Atemzug erinnern wir uns: Wir kamen von Auschwitz, nicht wegen Auschwitz“, betonte Rivlin. „Manche denken fälschlicherweise, dass der Staat Israel eine Art Entschädigung für den Holocaust sei. Es gibt keinen größeren Irrtum.“ Während der Zeremonie entzündeten sechs Überlebende die traditionellen Fackeln, die für die sechs Millionen ermordeten Juden stehen. Am Donnerstagmorgen um 10 Uhr Ortszeit erinnerten landesweit Sirenen die Israelis an das Leiden der europäischen Juden. Zwei Minuten lang verharrten die Menschen in schweigendem Gedenken.

Tibi: „Diskriminierung der Überlebenden ist unerhört“

Unterdessen kritisierte der arabische Knessetabgeordnete Ahmed Tibi die Regierung, weil sich viele Überlebende in einer wirtschaftlichen Notlage befinden. „24 Prozent der Holocaust-Überlebenden unter der Armutsgrenze. Empfindet jemand in der Regierung Scham oder Verlegenheit?“, twitterte er am Dienstag. Mehrere israelische Nutzer warfen ihm daraufhin vor, die Scho‘ah zu leugnen. Doch andere nahmen ihn in Schutz und verwiesen auf frühere Äußerungen des Politikers zugunsten der Opfer der Judenvernichtung. Gegenüber „Yediot Aharonot“ erläuterte Tibi seinen Tweet: „Dass die israelische Regierung schwache Sektoren ignoriert, und in diesem Fall sind es Holocaust-Überlebende, ist ein Kainszeichen auf der Stirn der Regierung und derjenigen, die mit der Sache zu tun haben.“ Die Diskriminierung bei der Rente für die Holocaust-Überlebenden, die erst nach 1953 ins Land kamen, sei unerhört. Der Araber fügte hinzu: „Holocaust-Überlebende in Israel leben in Armut, während andere Teile der israelischen Gesellschaft, zum Beispiel Siedler und Magnaten, weitgehende Steuerbegünstigungen genießen. Das ist unerhört und unmoralisch.“ Gleichzeitig erinnerte Tibi an seine eigene Rede zum internationalen Gedenktag am 27. Januar 2010 in der Knesset. Damals hatte er die Holocaust-Leugner scharf kritisiert und Empathie für die Angehörigen der Opfer bekundete – auch für diejenigen, mit denen er in einem Staat lebt. „Dies ist ein Augenblick, in dem ein Mensch alle seine nationalen und religiösen Hüte abwerfen muss“, sagte der arabische Abgeordnete seinerzeit. Am Mittwoch nahmen in Tel Aviv Hunderte Israelis an einem Marsch teil, der auf die Notlage der Überlebenden aufmerksam machen sollte. Dahinter stand die Organisation „Frühling für die Holocaust-Überlebenden“. Vor dem Marsch fand eine Kundgebung statt, bei der auch die stellvertretende Bürgermeisterin Meherata Baruch eine Rede hielt.

EU: Rückkehr von Antisemitismus nicht zulassen

Die Gesandtschaft der Europäischen Union in Israel nahm in einer Mitteilung Bezug auf den israelischen Gedenktag. Die EU schließe sich den Menschen in Israel an, „die heute der Opfer der Scho‘ah und der Helden des Widerstandes gedenken“, zitiert „Arutz Scheva“ aus der Erklärung. „Wir betrauern den Tod von sechs Millionen Juden und Millionen anderen Opfern.“ Weiter heißt es: „Unschuldige Männer, Frauen und Kinder wurden von den Nazis und ihren Komplizen ermordet, nur weil sie Juden waren. Ihr Gedenken zu ehren bedeutet für uns, gegen Antisemitismus, Vorurteil und rassische Diskriminierung in all ihren Formen aufzustehen, wo immer sie in Erscheinung treten.“ 70 Jahre nach der Scho‘ah fühlten sich erneut jüdische Gemeinden in Europa bedroht. „Als Union, die nach den Tragödien zweier Weltkriege und der Scho‘ah auf den Werten der Menschenwürde und der Menschenrechte aufgebaut wurde, werden wir nicht zulassen, dass die Dämonen von Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz zurückkehren.“ (eh)

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