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Jubel und Tote

Der Gaza-Krieg ist vorbei. „Wir haben gesiegt“, sagte Sami Barhum, einer von vier Hamas-Sprechern, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Gaza. Die Straßen füllten sich. Jubelnde Menschen. Wie beim Kölner Karneval wurden Bonbons und „Kamelle“ in die Luft geworden.
Anlässlich ihres Sieges über Israel verteilte die Hamas Süßigkeiten im Gazastreifen. (Archivbild)

„Das nächste Mal werden wir Jerusalem und den Boden von ganz Palästina erobern“, versprach Barhum. Doch die überschwengliche Freude über den großen militärischen wie moralischen Sieg der Hamas war nicht ungetrübt. Bei den fröhlichen Feiern gab es noch einen Toten und Dutzende Verletzte – durch Freudenschüsse in die Luft.
Die Hamas spielte ihr Spiel bis zum letzten Augenblick. Allein im Kibbutz Nirim nahe des Gazastreifens explodierten im Laufe des letzten Kriegstages über 100 Mörsergranaten und Kurzstreckenraketen. Dabei wurde ein 52 Jahre alter Israeli getötet. Ein 43-Jähriger erlag später seinen Verletzungen. Weitere sechs Israelis wurden unter Dauerbeschuss nach Be‘er Scheva ins Soroka-Hospital evakuiert.
Im Laufe des Tages verzeichnete die Hamas auch noch weitere Erfolge, darunter einen Direkttreffer auf ein Haus in Aschkelon. Ebenso wurde in der Nachbarstadt Aschdod ein Spielplatz mit Splittern durchlöchert. Die Rakete Nr. 277 landete zielgenau im Sandkasten.
Gerüchte über einen bevorstehenden Waffenstillstand kamen schon in den Mittagsstunden auf. Es hieß, dass der palästinensische Präsident Mahmud Abbas am Abend eine „Überraschung“ verkünden wolle. Und nachdem er in Ramallah einen von Ägypten ausgehandelten, zeitlich unbegrenzten Waffenstillstand verkündet hatte, gab es keine weitere Bestätigung aus anderer Quelle. Die israelische Regierung hielt sich bedeckt und ließ erst am Abend durchblicken, dass die Feuerpause „akzeptiert“ worden sei, aber ohne Bedingungen. Auch die Ägypter boten zunächst keine weitere Aufklärung. Vor allem aber fehlte eine Stellungnahme von Chaled Masch‘al, dem Auslandschef der Hamas mit Sitz in Katar, der bisher alle Feuerpausen durch Raketenbeschuss Israels platzen ließ.
Unklar war vor allem, ab wann die Feuerpause zu gelten habe. 19 Uhr Ortszeit war verstrichen, ohne das es ruhig geworden wäre in den finsteren grenznahen israelischen Ortschaften, wo über 100 Raketen die Stromleitungen gekappt haben. Ob 20 Uhr oder Mitternacht nun das echte Kriegsende bedeutet, konnte keiner der israelischen oder palästinensischen Reporter sagen, die in Israel und im Gazastreifen an den strategischen Punkten verteilt standen. Auf der israelischen Seite trugen sie schusssichere Jacken.

Die Errungenschaften der Hamas

Die Hamas behauptet, diesen Krieg gewonnen zu haben. Zwar sind nur sechs israelische Zivilisten ums Leben gekommen und immerhin 64 Soldaten. Das gilt kaum als „Erfolg“ angesichts der weit mehr als 2.000 palästinensischen Todesopfer. Doch die Hamas hat „heldenhaft“ Stand gehalten bei einem der längsten Kriege in der Geschichte Israels. 50 Tage lang hat sie Israel mit Raketen beschossen, Tel Aviv und sogar Haifa im Norden angegriffen und eine Zeitlang den Ben-Gurion-Flughafen teilweise lahmgelegt.
Auch hat die Hamas der israelischen Tourismusindustrie einen nachhaltigen Schaden beigefügt. „Nach dem Gazakrieg von 2009 hat es anderthalb Jahre gebraucht, bis sich unsere Geschäfte wieder normalisiert haben. Diesmal werden wir noch länger warten müssen, bis die Touristen wieder nach Israel kommen“, jammerte ein Jerusalemer Taxifahrer. Tatsächlich häufen sich die Anrufe aus Deutschland, ob eine Rundreise im September oder ein Besuch zu Weihnachten überhaupt in Betracht gezogen werden könne. „Wegen des Krieges“ häufen sich die Stornierungen für das Jahr 2015, sagte eine Reiseagentin.
Vor allem ist es der Hamas gelungen, den Staat Israel mit Erfolg zu terrorisieren. Heftig diskutieren Bürgermeister von Be‘er Scheva bis zum Süden von Tel Aviv den Beginn des Schuljahres am 1. September. Die Schulen mögen mit Betonbalken gegen anfliegende Raketen geschützt sein, aber niemand will die Verantwortung für die Schulbusse übernehmen, die morgens die Kinder zur Schule fahren.
Die wirtschaftlichen Schäden sind unermesslich. Nicht nur die Kompensation für zerstörte Häuser und von Panzerketten umgepflügte Felder lassen sich kaum schätzen. Niemand wird wohl die Unternehmer entschädigen, die während des Krieges ihre Fabriken schließen mussten. Offen ist, ob den Israelis neue Steuern auferlegt werden oder ob die Budgets aller Ministerien gekürzt werden, was die sozial Schwachen, Patienten und Autofahrer trifft, sowie die Regierung sparen muss.

Hamas-Führer wagt sich ins Freie

Auch politisch hat die Hamas gesiegt, obgleich Einzelheiten des Waffenstillstandsabkommens von keiner Seite veröffentlicht worden sind. Angeblich wird Israel die in den letzten Tagen noch kräftig von der Hamas beschossenen Grenzübergänge in Kerem Schalom und Eres für Warenverkehr und für Patienten aus Gaza weiter als bisher öffnen. Israel wird wohl auch Zement für den „Wiederaufbau“ einlassen. Unklar ist, wer über die Zementsäcke wachen soll, damit die nicht für die Befestigung von Angriffstunneln und Raketen-Abschussrampen zweckentfremdet werden.
Das beste Anzeichen für ein Kriegsende kam mit Live-Bildern am Abend gegen 20.30 Uhr aus dem Gazastreifen. Nach zwei Monaten unter der Erde, im Befehlsbunker unter dem Schifa-Hospital, tauchte Mahmud Abu Sahar auf, eine der führend Figuren der Hamas. Aufrecht stehend fuhr er in einem Auto mit offenem Sonnendach durch Gaza. Offenbar fürchtete er keinen gezielten Drohnenangriff der Israelis mehr. In der letzten Kriegswoche hatte Israel mehrere militärische Befehlshaber der Hamas dank exakter Informationen gezielt „ausgeschaltet“. So ist inzwischen bekannt geworden, dass drei getötete „Generale“ des militärischen Arms der Hamas sich nur für 15 Minuten für eine Absprache treffen wollten. Die Israelis wussten davon. Die bereit stehenden Kampfflugzeuge beendeten das Treffen nach nur 4:30 Minuten.

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