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Jüdische Chasaren: Eine falsche Legende

Mittelalterliche Legenden berichten die Konversion der Chasaren zum Judentum. Antisemiten und Palästinenser nehmen dies zum Anlass, heutigen Juden ihr Judentum abzusprechen. Dabei sind Zweifel an den Überlieferungen angebracht.
Das Reich der Chasaren erreichte im Frühmittelalter eine erhebliche Ausdehnung, bis ihr Einfluss im 10. Jahrhundert von der Kiewer Rus zurückgedrängt wurde.

Die Chasaren, ein Volk aus der Krim, sind gemäß mittelalterlicher Legenden zum Judentum übergetreten. Der israelische Professor Schlomo Sand hielt die Überlieferungen für bare Münze und schrieb seinen Verkaufsschlager „Die Erfindung des jüdischen Volkes“. Antisemiten und Palästinenser, wie der preisgekrönte Bethlehemer Pastor Mitri Raheb, griffen das Motiv auf, um zu behaupten, dass heutige Juden wie der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu rassisch nicht mit dem biblischen Volk Israel verwandt seien und deshalb in „Palästina“ nichts zu suchen hätten.
Professor Schaul Stampfer, Historiker für Sowjetisches und Osteuropäisches Judentum an der Fakultät für die Geschichte des Jüdischen Volkes der Hebräischen Universität in Jerusalem, hat jahrelang alle schriftlichen wie archäologischen Quellen für diese Legende durchgeforstet und kommt zum Schluss: Alles ist falsch. Es gebe keine zuverlässige historische Quelle für die Behauptung, dass die Chasaren Juden waren. Weder Volk noch Elite seien zum Judentum konvertiert.

Frühmittelalterliches Volk

Zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert gab es ein Chasarenreich zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer. Die Chasaren hinterließen kein schriftliches Erbe und auch die archäologischen Funde sind rar. Im Jahr 969 hat Svyatoslav von Kiew das Chasarenreich überrannt. Seitdem hat man nicht mehr viel von dem Volk gehört.Doch die Erzählung von der Konversion zum Judentum wurde weiter überliefert. Erste Berichte darüber tauchen in muslimischen Schriften und zwei hebräischen Schriften aus dem 10. Jahrhundert auf. Der bekannte jüdische Dichter Jehuda Halevi aus dem spanischen Toledo (1075-1141) griff das Motiv auf und benutzte es in seinem klassischen philosophischen Werk „Kusari“ als Rahmenhandlung, um das Judentum gegen Attacken muslimischer Denker, Karäer und anderer „Häretiker“ zu verteidigen.
In der Moderne erhielt die Geschichte der konvertierten Chasaren neuen Aufwind mit dem 1976 erschienenen populärwissenschaftlichen Sachbuch von Arthur Koestler „Der dreizehnte Stamm“. Forscher haben ihm umgehend Fehler und Irrtümer nachgewiesen, aber Antizionisten und Antisemiten beriefen sich auf Koestlers Werk, um die Legitimität des Staates Israel zu bestreiten. Der überzeugte Zionist Koestler war sich des Missbrauchs bewusst und schrieb: „Ob die Chromosomen seines Volkes nun die Gene der Chasaren oder solche semitischer, romanischer oder spanischer Herkunft enthalten, ist irrelevant und kann nicht das Existenzrecht Israels in Frage stellen.“ In der Sowjetunion wurde die Chasarentheorie zur Rechtfertigung für Antisemitismus und zur Legitimation russischer Eroberungen, etwa in der Krim, herangezogen.

Zweifel an Überlieferung

Stampfer hat alle Quellen geprüft, die von anderen Wissenschaftlern ungeprüft übernommen worden sind, um dem Ursprung dieser Geschichte auf die Spur zu kommen. Er stellt fest: Archäologen haben im Chasarenland keine Gräber mit typisch jüdischen Symbolen oder andere archäologische Hinweise gefunden. So bleiben nur Textdokumente, wie ein Briefwechsel aus dem Jahr 960 zwischen dem spanisch-jüdischen Diplomaten Hasdai ibn Schaprut und Joseph, dem König der Chasaren, sowie Beschreibungen arabischer Autoren. Stampfer kommt zu dem Schluss, dass alle diese Dokumente eine „Kakophonie von Verdrehungen, Widersprüchen, eigenen Interessen und andere Anomalien“ enthalten. Manche Texte seien falschen Autoren zugeschrieben worden. Historische Berichte, etwa eines „Sallam der Übersetzer“, 842 vom Kalifen von Al-Wathiq ausgesandt, erwähnte zwar die Chasaren, aber mit keinem Wort deren Konversion zum Judentum.

Beweis des Ungeschehenen

Der Mangel an jeglichen zuverlässigen Quellen und der Mangel einleuchtender Gründe für einen Übertritt zum Judentum bringen Stampfer zur Erkenntnis, dass die Konversion der Chasaren eine Legende ohne faktische Basis ist. Weder ein Chasarenkönig noch die Chasarenelite sei jemals jüdisch geworden.
„Ich hätte nicht gedacht, wie schwierig und herausfordernd es sein kann, den Beweis für etwas zu bringen, was nie passiert ist“, sagte Stampfer. Viele Seiten in Geschichtsbüchern der Juden, Russen und Chasaren müssten neu geschrieben werden, darunter über den jüdischen Einfluss auf das frühe Russland und ethnische Kontakte.

Der Wert der Wissenschaft

Stampfer meint, dass Wissenschaftler ungern liebgewonnene Paradigmen aufgäben, darunter die herrliche Legende eines Chasarenkönigs, der ein frommer Jude geworden sei. Doch wissenschaftliche Geschichtsschreibung müsse zwischen Wahrheit und Erfindung unterscheiden, wenn zu viele Anomalien auftauchten.
Das scheint umso wichtiger zu sein, wenn eine unbewiesene historische Legende bis heute von der russischen Propaganda missbraucht wird, um ein Eingreifen in der Krim zu rechtfertigen, oder dazu dient, die Existenz des jüdischen Volkes und die Legitimität des Staates Israel in Frage zu stellen.

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5 Antworten

  1. Es ist immerhin interessant, dass man bis heute von den Chassiden oder dem Chassidismus spricht, der im heutigen Israel eine Rolle spielt. Woher kommen wohl all die schönen melancholischen Lieder, die Kaftane und der bemerkenswerte Hut? Die Ostjuden werden auch die Ashkenasim genannt. Man findet leider ausser Koestlers Beschreibung keine Literatur über die Geschichte der Ostjuden. Ist es Absicht oder Desinteresse?
    Es lohnt sich dem nachzugehen! Dann wird es nämlich spannend 🙂
    Warum erhalten geflüchtete Juden aus der Ukraine sofort einen israelischen Pass und die anderen Ukrainer nicht? Irgendetwas läuft da schief! Es lohnt sich die Geschichte der Ostjuden zu erforschen, woher sie eigentlich kommen, denn sie siedelten als Flüchtlinge hauptsächlich in Kiew und Lemberg! May God bless them!

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    1. Stellt sich nur die Frage: Warum man nicht russische Historiker bei den ganzen Übermittlungen herangezogen hat. Oder ist es doch das man die Chasaren 1774 im Osmannenkrieg aus dem russischen Reich verbannt hat. Chasaren waren weder Muslime noch Christen und schon gar nicht Juden. In ihrem Kult waren Blutopfer, Pädophilie und Inzest ein Glaubenssatz. Durch die Vertreibung der Russen, sind die Chasaren in der ganzen Welt verstreut und haben das Judentum adaptiert, aus der die heutige Kabbalah entstammt. Muslimische Geistliche behaupten, das die Nachfahren heutige in der politischen und wirtschaftlichen Elite sitzen und Blutrache an Russland geschworen haben.

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      1. “ In ihrem Kult waren Blutopfer, Pädophilie und Inzest ein Glaubenssatz.“
        Genau solche „Glaubenssätze“ wurden in Europa über Jahrhunderte den jüdischen Glaubensgemeinschaften unterstellt und als immer wieder willkommene Begründung für alle möglichen Repressalien und Pogrome herangezogen. Somit erscheint es als Teil einer, wie auch immer gearteten, Argumentationskette mehr als ungeeignet.

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    2. „Grundsätzlich kann jede Person jüdischer Abstammung die israelische Staatsbürgerschaft erlangen. Das Rückkehrgesetz (Law of Return) in Israel erlaubt Juden aus der ganzen Welt, die israelische Staatsbürgerschaft zu beantragen und sich im Land niederzulassen.“
      Bevorzugte Behandlung als solche gegenüber sonstigen Migranten erfahren Ukrainische Menschen derzeit auch in D. Bekommen „die anderen Ukrainer“ irgendwo sonst in der Welt sofort einen Pass?

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  2. Es ist ein Tabu Khazarische Geschichte /Ashkenazische Geschichte nachforschen! Weil alle fakten zeigen nicht an Semiten sondern zur Türkentum !

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