„Christen sind die meistverfolgte Minderheit weltweit!“ Das ging im Februar als Meldung um die Welt. Unklar blieb, nach welchem Maßstab dieser Superlativ zustande kam: Sind Christen die am meisten verfolgte Minderheit gemäß der Anzahl der Länder, in denen sie verfolgt werden? Oder wurde die Menge der Toten und Flüchtlinge gezählt? Der Syrienexperte Professor Ejal Zisser prophezeite auf dem Weltgipfeltreffen zum Kampf gegen den Terror im israelischen Herzlija: „Der arabische Frühling ist das Ende des orientalischen Christentums.“
Selektive Wahrnehmung
Erst als auffällig viele verbrannte Kirchen in Ägypten in Medienberichten auftauchten, wurde über die Verfolgungen koptischer Christen dort berichtet. Das Schicksal der Christen im Irak, in Libyen, dem Sudan oder Nigeria wurde im so genannten „christlichen Abendland“ kaum wahrgenommen. Im syrischen Bürgerkrieg wurde die Zerstörung christlicher Dörfer und uralter Kirchen in Damaskus, Aleppo und anderen Städten mit tausendjähriger Vergangenheit nur am Rande erwähnt. Ausführlicher wurde über „schwere Kämpfe“ im syrischen Dorf Ma‘alula berichtet, dessen Bewohner seit 3.000 Jahren das Aramäische bewahrt haben, die Muttersprache von Jesus Christus.
Gründe für das Wegschauen
Für das auffällige Schweigen der „christlichen Welt“ zu Christenverfolgung in der islamischen Welt gibt es mehrere Gründe.
Europa präsentiert sich als „christliche Wertegemeinschaft“, wenn es darum geht, die muslimische Türkei aus der EU fernzuhalten. Doch mit Blick auf „christliche Gemeinschaften“, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, ist von dieser „christlichen Wertegemeinschaft“ nichts zu spüren. In einer Welt, wo besonders der Islam eine gesetzgebende Rolle in Gesellschaft und Politik spielt, hat das langfristig fatale Folgen. Für offizielle Vertreter des schiitischen wie sunnitischen Islams war der 11. September 2001 ein erster Höhepunkt der Eroberung „Roms“, also des christlichen Westens. Diese religiös motivierte, aber politisch und militärisch gemeinte Kriegserklärung ignoriert der Westen. Es passt nicht mehr in sein Konzept, als „christliche Gemeinschaft“ definiert zu werden.
Problematisch erweist sich bei den Christen des Orients das Phänomen der Treue von Minderheiten zum jeweiligen Unterdrückerregime. Nur so können sie ihr physisches Überleben sichern. Das galt für die Juden im europäischen Mittelalter wie für Christen und Juden in islamischen Ländern, wo sie als „Dhimmis“ geduldet wurden. Für die Juden in der arabischen Welt brach dieses System schon im 19. Jahrhundert zusammen, als christliche Imperialmächte ihren rassisch definierten Antisemitismus erst nach Damaskus und dann in den Irak und nach Ägypten exportierten. Die Gründung des Staates Israel bedeutete das Ende der 3.000 Jahre alten jüdischen Gemeinden in Ländern mit „biblischen“ Traditionen wie Babylon (Irak), Jemen, Syrien, Ägypten und Libyen. Doch die „aufgeklärte“ Welt interessierte sich nicht für die Juden. Bis heute ist nur die Rede von arabischen Flüchtlingen aus Palästina, nicht aber von der Vertreibung von wesentlich mehr jüdischen Flüchtlingen aus allen arabischen Ländern. Zum Verhängnis wird die Nähe zum Diktator, sobald es, wie jetzt beim „arabischen Frühling“, zum Umsturz kommt und die wehrlosen Minderheiten plötzlich als Kollaborateure Saddam Husseins, Hosni Mubaraks oder Baschar al-Assads dastehen.
Schweigen des Vatikan
Der Vatikan als prominentester Sprecher der westlichen Christenheit ist auffallend zurückhaltend. Dabei sollte man doch gerade von Kirchen Solidarität erwarten, wenn Menschen der gleichen Glaubensrichtung verfolgt werden. Im Irak war der säkulare Saddam Hussein der Garant für das Überleben der Christen, in Syrien ist es Baschar al-Assad. Deshalb vermied der Vatikan bisher jede Kritik an Assad.
Symptomatisch war der weltweite Gebetsaufruf des Papstes gegen einen amerikanischen Angriff auf Syrien. Die Entrüstung über militärisches Eingreifen der Amerikaner klingt pazifistisch, ist aber unglaubwürdig, wenn militärisches Eingreifen etwa der Hisbollah aus dem Libanon ignoriert wird und Völkermord wie der Einsatz von Massenvernichtungswaffen kein Anlass für internationale Friedensgebete oder Lichterketten sind.
Immerhin gibt es „Kirche in Not“, ein „weltweites Hilfswerk päpstlichen Rechts“. 2013 wurde die Dokumentation „Christen in großer Bedrängnis“ veröffentlicht. In kurzen Kapiteln wird die Lage der Christen in China, Myanmar, Ägypten, Tansania, Kuba und weiteren Ländern dargestellt. Von einer Million Christen im Irak 2003 gebe es heute nur noch 300.000. Gespickt mit faktischen Fehlern ist das Kapitel „Israel und die palästinensischen Gebiete“, obgleich Israel das einzige Land zwischen Marokko und Afghanistan ist, wo die Anzahl der Christen in absoluten Zahlen seit 1948 stetig wächst.
Symbolische Erniedrigung
Beispielhaft für die Lage der Christen in der arabischen Welt sei hier ein von den Medien verschwiegenes Ereignis. Am 23. Dezember 1994, als PLO-Chef Jasser Arafat in Bethlehem feierlich einzog, wandte er sich vom Dach der Geburtskirche an das unter ihm versammelte Volk. An der Kirchenwand hingen erstmals palästinensische Nationalflaggen. Auf das Dach hatte man ein Modell des muslimischen Felsendoms gehievt. Noch symbolhafter hätte die angestrebte Herrschaft des Islam über das Christentum nicht kundgetan werden können. Journalisten aus aller Welt standen auf einem höheren Dach und konnten diese Beleidigung des Christentums nicht übersehen. Wieso ist dieser Skandal weltweit wegzensiert worden? Unbeachtet blieb auch eine „Ikone“ mit Arafats Abbild über dem Eingang zur Geburtskirche, durch den Christen nur tief gebückt das Innere betreten konnten. Solange über derartige symbolische Akte ein Tuch des Schweigens gelegt wird, bleiben auch Mord und Vertreibung unerwähnt, sofern als Täter nicht die üblichen Sündenböcke ausgemacht werden können, speziell die Amerikaner und Israelis.
Christen ignorierten Zeichen
Die Welt und sogar die Christen im Orient wollten das Zeichen an der Wand der systematischen Vertreibung aller Juden aus den arabischen Ländern nicht sehen. Inzwischen sind Libyen, der Irak, Saudi-Arabien und Syrien „judenfrei“. In Ägypten leben noch zehn alte Jüdinnen und im Jemen noch maximal 60 Juden. Heute droht den ältesten christlichen Gemeinden das gleiche Schicksal wie zuvor den Juden, weil der Islam keine „Ungläubigen“ duldet. So wird eine weitere große Kultur ausgerottet. Wie hatte doch Heinrich Heine sinngemäß gesagt? „Wer Buddhafiguren sprengt, und vorschlägt, die Pyramiden zu schleifen, weil sie das Symbol von Götzendienst sind, wird am Ende auch Menschen verbrennen.“