Vor drei Wochen hatte Erdogan „alle rote Linien“ überschritten, indem er in Wien, bei einer UNO-Konferenz, den Zionismus mit Faschismus gleich gesetzt und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet hat. Diese Äußerung brachte ihm scharfe Kritik der Amerikaner und sogar des UNO-Generalsekretärs ein (Israelnetz berichtete). Obama nutzte das, den Kompromiss zu einer „Versöhnung“ auszuhandeln.
Eine öffentliche „Entschuldigung“ Israels zu dem Vorfall auf der Mavi Marmara blieb aus. Erdogan musste sich mit einer offiziellen amerikanischen und israelischen Erklärung zu einem Telefongespräch mit Obama und dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu zufrieden geben. Netanjahu äußerte darin lediglich „Bedauern“ für die Todesopfer und „entschuldigte“ sich beim türkischen Volk nur für „unbeabsichtigte operative Fehler“. Gegenüber den Türken konnte Erdogan diese Formulierung als „israelische Entschuldigung“ verkaufen, während Netanjahu sagen konnte, er habe sich gar nicht entschuldigt. „Bedauern“ für die Toten hatte der israelische Regierungschef schon zuvor geäußert.
Die Forderung nach einer Entschädigung für die Opfer, darunter Aktivisten der als Terror-Organisation eingestuften IHH, umgeht Israel, indem es Gelder in einen Fonds einzahlt.
Auf eine von Ankara geforderte Strafverfolgung der beteiligten Soldaten musste Erdogan verzichten. Auch eine Aufhebung der Seeblockade konnte er nicht durchsetzen. Er musste sich mit telefonischen Beteuerungen Netanjahus zu „Erleichterungen“ des Personen- und Warenverkehrs nach Gaza begnügen.
Wegen erneuten Raketenbeschusses hatte Israel erst wenige Stunden zuvor eine zeitweilige Schließung des „Kerem Schalom“-Warenterminals beschlossen. Zudem hatte Israel die Fischereizone vor der Küste wieder von 12 auf nur 3 Kilometer reduziert.
Ein wichtiges Symbol für die „Normalisierung“ der Beziehungen ist die Rückkehr der Botschafter auf ihre Posten in Tel Aviv und Ankara.
So gelang es Obama mit diplomatischen Tricks, einen gefährlichen Nahostkonflikt auszuräumen, der eine schwere Belastung für die strategischen Interessen der NATO, der USA, Israels und letztlich auch der Türkei bedeutete. Ohne die amerikanische Vermittlung wären Ankara und Jerusalem wohl kaum fähig gewesen, die politisch und emotional bedingte Krise zu überwinden.
Hintergrund
Bei der Razzia der israelischen Marine auf dem türkischen Schiff Mavi Marmara 2010 hatte es neun Tote unter den türkischen Aktivisten gegeben und Verletzte auf beiden Seiten. Für Israel war das Entsenden der Mavi Marmara mit bewaffneten Aktivisten an Bord ein türkischer Kriegsakt. Genauso betrachteten die Türken das Kapern des Schiffes und die Toten als „Kriegserklärung“.
Dahinter steckte das Bestreben des türkischen Premierministers, sich als Führer der islamischen Welt zu profilieren. Deshalb hatte er in Davos 2009 den israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres schwer beleidigt, was in der Welt Empörung ausgelöst hatte, aber für Erdogan ein Mittel war, sich in der Türkei feiern zu lassen.
Bis dahin waren Israel und die Türkei militärisch, politisch und wirtschaftlich engste Verbündete. Davon profitierten die USA. Der Bruch zwischen Ankara und Jerusalem, mitsamt handfesten Kriegsdrohungen der Türkei gegen Israel, störten die amerikanischen Interessen, zumal infolge des „arabischen Frühlings“ kein Verlass mehr auf andere „Freunde“ der Amerikaner war, zum Beispiel Ägypten.
Die Zeit war reif geworden, weil Erdogan sich mit seinem islamistischen Kurs und der Annäherung an Israels schlimmste Feinde, darunter Syrien und der Iran, zunehmend isoliert hatte. Eine frisch geschlossene „Freundschaft“ mit dem syrischen Präsidenten Baschar Assad endete abrupt, als in Syrien der Bürgerkrieg ausbrach. Auch die türkischen Annäherungsversuche an Ägypten und den Iran blieben erfolglos.
Dani Ajalon, ehemaliger israelischer Vize-Außenminister, sagte am Samstag, dass Israel schon vor drei Jahren eine „telefonische Entschuldigung“ angeboten habe. Doch Erdogan habe das damals als „unzureichend“ ausgeschlagen.