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Alte Kamellen aufgewärmt: „Töte zuerst“ von Dror Moreh

Der Oscar-nomininierte Film über den israelischen Inlandsgeheimdienst „Schabak“ kommt im Gewand einer sachlichen Dokumentation daher, verkürzt aber die historischen Fakten und verschafft der politischen Meinung des Regisseurs Gehör.
Versammelte sechs ehemalige Chefs des israelischen Inlandsgeheimdienst vor der Kamera: Regisseur Dror Moreh

Schon der deutsche Titel des Films „Töte zuerst“ des israelischen Regisseurs Dror Moreh, wie er bei der ARD ausgestrahlt worden ist, stimmt nachdenklich. Erstmals melden sich sechs ehemalige Chefs des Inlandsgeheimdienstes „Schabak“ vor der Kamera zu Wort, um über ihre Fehler und die moralische Problematik ihrer teils schmutzigen und moralisch umstrittenen Arbeit zu sprechen. Im Original heißt der Film „The Gatekeepers“ (Torwächter). Der Koproduzent NDR beschloss jedoch, ein halbes Zitat von Geheimdienstchef Avi Dichter als Titel zu verwenden. Wie Andrea Lauser von der „Deutsch-Israelischen Gesellschaft“ in Freiburg in einem Briefwechsel mit dem NDR richtig feststellte, lautet das komplette Zitat aus dem Talmud: „Wenn jemand kommt, dich zu töten, steh auf, und töte ihn zuerst.“
Das ist die klassische Definition von Notwehr, wie sie auch im deutschen Grundgesetz verankert ist und für jeden deutschen Polizisten gilt. Gleiches gilt auch für Militär- und Geheimdienste. Sie haben die Aufgabe, die Bürger ihres Staates zu beschützen. Und wenn diese mit Gewalt angegriffen werden, ist es oft unumgänglich, selber Gewalt anzuwenden.
Neben diesem verkürzten und deshalb verfälschenden Titel des für den Oscar vorgeschlagen „Dokumentarfilms“ muss man sich fragen, was der Film bezweckt. Jenen, die fern von Israel leben und den israelischen Geheimdienst wohl für eine Verbrecherorganisation halten, liefert der Film eine billige Bestätigung für Israel als Staat, der vermeintlich palästinensischen Terror provoziert und selber Schuld am mangelnden Frieden und den eigenen Toten trägt. Doch zeigt dieser Film eher einen Staat mit Geheimdienstchefs, für die Moral der höchste Wert ist, und gerade deshalb kehren sie die eigenen Fehler hervor.
Wer die mit manipulierten historischen Filmdokumenten dargestellten Ereignisse verfolgt oder gar miterlebt hat, erfährt nichts Neues über die gezielt herausgepickten Pannen und Skandalaffären des Geheimdienstes.
Kein Hinweis auf Terror vor dem Sechstagekrieg
So ist willkürlich 1967 als Ausgangspunkt ausgewählt worden. Geschickt wird ausgeblendet, dass palästinensischer Terror und arabische Kriege gegen Israel und seine jüdische Bevölkerung schon vor 1967 existierten. Im Vorspann werden nur Gaza und das Westjordanland thematisiert, obgleich Israel 1967 auch die ägyptische Sinaihalbinsel und die syrischen Golanhöhen eroberte, wo auch Menschen leben. Gar kein Thema sind die in Israel lebenden Araber, die heute zwanzig Prozent der Bevölkerung ausmachen. Wiederholt stellt der Film auch sie als ein akutes „Sicherheitsproblem“ dar, indem sogar arabische Knesset-Abgeordnete wie Asmi Bischara gemeinsame Sache mit dem Feind machten. Ebenso blendet der Film den weltweiten Antisemitismus und islamistische Vernichtungsaufrufe und -träume gegen Israel aus.
Der Film enthält sogar faktische Ungenauigkeiten. Im dramatischen Ton eines historischen Nachrichtensprechers von 1967 wird da verkündet: „Plötzlich gelangten eine Million Palästinenser unter israelische Kontrolle“. Das ist eine anachronistische Formulierung, denn diese Araber wurden frühestens ab 1968 als „Palästinenser“ bezeichnet.
Die Geheimdienstchefs beklagen mit politisch gefärbter Kritik an der Regierung und dem Parlament, dass „alle“ Mitglieder eines rechtsgerichteten jüdischen Terror-Rings vorzeitig begnadigt worden seien. So soll dem ahnungslosen Zuschauer weisgemacht werden, dass die israelischen Regierungen selbst mit Verbrechern unter den Siedlern gemeinsame Sache machen. Doch auch das ist faktisch falsch. Nicht nur sitzt der Rabinmörder weiterhin im Gefängnis. Auch Ami Popper oder Jona Abruschmi, die aus politischen Motiven Araber ermordet haben, sitzen weiterhin hinter Gittern, während der Staat Israel Hunderte arabische Massenmörder nach teilweise nur kurzer Haftstrafe freiließ, im Rahmen von Gefangenenaustauschen. Darüber fällt in dem Film kein einziges Wort.
Regisseur Dror Moreh hatte die sechs noch lebenden Geheimdienstchefs zu Pannen befragt, die in Israel längst bis ins letzte Detail diskutiert worden sind. Ein klassisches Beispiel ist die Tötung von zwei Terroristen, die einen Bus der Linie 300 entführt hatten. Beide Männer waren lebendig gefangen worden, was Pressefotos belegten. Nach ihrer Festnahme wurden sie von Geheimdiensten ermordet.
Der Film thematisiert Peinlichkeiten, etwa Soldaten, die mangels Arabischkenntnissen während einer Volkszählung den Arabern an der Haustür erklären: „Wir sind gekommen, euch zu kastrieren“, anstatt korrekt zu sagen: „Wir wollen euch zählen.“ Etwas Humor heitert so das ernste Thema ein wenig auf.
Billige Polemik
Gewiss ist es pikant, mit Geheimdienstchefs über Moral und „Grenzen der Legalität“ zu philosophieren. Andererseits ist die Masche der Geheimdienstler etwas plump, die Fehler und Missstände auf ihre ehemaligen Vorgesetzten, nämlich die jeweiligen Regierungschefs, abzuschieben. Das ist billige politische Polemik, die in einem vermeintlichen „Dokumentarfilm“ nichts zu suchen hat.
Natürlich ist es positiv, wenn Geheimdienstagenten über „außergerichtliche Hinrichtungen“ nachdenken.
Am Ende muss man sich fragen, was die selbstkritischen Geheimdienstchefs bezwecken, wenn sie mit ihren Vorgesetzten, den Premierministern, abrechnen, die Pannen und eigenen Fehler hervorkehren und dann auch noch politische Ratschläge erteilen.
Die Antwort dazu ist einfach. Die Interviewten sind heute allesamt Privatleute, teils sind sie nach ihrem Geheimdienst noch in die Politik eingestiegen. Der Film ist für sie eine billige Methode, sich zu profilieren und mit Ruhm zu bekleckern. Sie haben nichts Neues erzählt und nur alte Kamellen aufgewärmt. Und weil auch die moralischen Fragen längst ausdiskutiert sind, wird der Film in Israel gar nichts bewirken, zumal er populistisch und mit billigen Mitteln die private politische Meinung des Regisseurs hinausposaunt. Das ist sein gutes Recht und in Israel ein verbreitetes Phänomen.
Eine andere Frage ist, wie der Film im Ausland, und besonders in Deutschland, aufgenommen wird. Da hat allein schon der vom NDR (im Einvernehmen mit dem Regisseur) ausgewählte Titel „Töte zuerst“ dem Film eine inakzeptable politische Stoßrichtig erteilt.

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