Bundesaußenminister Guido Westerwelle fehlen zwar noch die „Eckdaten“, aber er warnt schon vor einer Zuspitzung. „Jeder muss jetzt seine Verantwortung kennen, jetzt ist die Stunde der Deeskalation.“
Der russischen Verurteilung Israels wird der Halbsatz vorangestellt: „Wenn sich die Berichte über Attacken der Kampfjets bestätigten…“
Auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat eigenen Angaben zufolge keine Informationen über einen israelischen Angriff auf syrischem Staatsgebiet.
Als einzige zuverlässige Quelle für den Angriff bleiben so nur namenlose amerikanische Beamte, die der „New York Times“ Informationen gesteckt haben, während das offizielle Washington jeglichen Kommentar verweigert. Die „New York Times“ hat aus ihrer gleichen namenlosen Quelle von einer „israelischen Bestätigung“ erfahren. Jerusalem habe Washington im Voraus informiert, behauptet die amerikanische Zeitung, während Israel schweigt und nichts bestätigt.
Beweise für einen Angriff können deshalb nur aus Syrien eingeholt werden, zumal der Libanon alles dementiert hat und selbst UNO-Beobachter in der Region nichts bemerkt haben, wie UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon bei seiner Verurteilung Israels feststellte. Lediglich die täglichen Verletzungen des libanesischen Luftraumes durch Aufklärungsflüge israelischer Drohnen und Kampfflugzeuge wurden in Beirut bestätigt.
In Syrien gibt es keine unabhängigen Journalisten mehr. Niemand hat die angeblich von Israel angegriffenen Stätten besucht und gefilmt.
„Exklusive Bilder“ geben keinen Aufschluss
Rätselhaft bleibt, wieso die Syrer standhaft das Bombardement eines Lastwagenkonvois dementieren, während sie darauf bestehen, dass ein Forschungszentrum in Dschumraja bei Damaskus teilweise zerstört worden sei. Dabei habe es zwei Tote und fünf Verletzte gegeben. Der arabische TV-Sender „El-Madschadim“ brachte dazu „exklusive“ Bilder. Doch zu sehen sind nur züngelnde Flammen an einer anonymen Hauswand.
Zu dem vermeintlichen Angriff auf den Lastwagenkonvoi werden keinerlei menschliche Opfer erwähnt, Tote oder Verletzte. Normalerweise sind nach israelischen Angriffen, gleichgültig wo, Tote und Verletzte immer die erste und wichtigste Angabe.
Mangels besseren Informationen ist inzwischen die Rede von Luftangriffen auf beide Ziele, das Forschungszentrum und den Konvoi.
Bei aller Ungewissheit fragt sich, wieso die Syrer den Angriff auf den Konvoi abstreiten, aber die Attacke auf das Forschungszentrum mit zweitägiger Verspätung zum wahren Ziel der Israelis deklarieren.
Assad-Regime in Bedrängnis
Da bleibt nur politische Spekulation. Das Forschungszentrum wurde angeblich schon von den Rebellen angegriffen. Das kann der syrische Präsident Baschar al-Assad nicht eingestehen. Wenn Assads Propagandisten jetzt aber behaupten, dass Israel diese Regierungseinrichtung angegriffen habe, so zwingt er die Arabische Liga und selbst dem syrischen Regime feindlich gesinnte Araber zur Solidarität und zu einer Verurteilung Israels.
Das Eingeständnis einer Attacke auf den Lastwagenkonvoi hätte einen gegenteiligen Effekt für das Assad-Regime. Denn niemand hat bisher feststellen können, in welchem Auftrag die Lastwagen angeblich moderne SA-17-Flakraketen in Richtung Libanon abtransportierten. Waren es Rebellen, in Syrien aktive Hisbollah-Kämpfer oder gar die syrische Armee? Dass die Lastwagen Raketen und keine chemischen oder biologischen Kampfstoffe geladen hätten, wird allein israelischer Vernunft zugeschrieben. Denn Treffer hätten die ganze Gegend verseucht.
Sollte die syrische Regierung ihre aus Russland angelieferten Waffensysteme in den Libanon bringen, würde sich das Assad-Regime in Schwierigkeiten begeben. Zum einen wäre das eine Verletzung der Lieferverträge mit Moskau. Zum anderen würde das Amerikanern und Israelis den Vorwand liefern, militärisch in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen. Die USA und Israel haben eine Lieferung moderner Waffen oder biologischer und chemischer Kampfstoffe an die libanesische Hisbollah-Miliz als „Rote Linie“ bezeichnet. Deshalb musste Assad den Lastwagenkonvoi dementieren und das Forschungszentrum vorschieben.
Seit zwei Jahren hat Israel eine bewusste und sehr weise Politik befolgt, zu den Vorgängen des arabischen Frühlings eisern zu schweigen. Eine israelische Sympathiebekundung für oder gegen einen der bedrängten Diktatoren oder deren Opposition hätte eine Bumerangwirkung. Denn die von Israel positiv bewerteten Bürgerkriegsparteien würden augenblicklich in „zionistische Agenten“ verwandelt und zu „Verrätern“.
Assad kann von einem israelischen Angriff auf Ziele der syrischen Regierung nur profitieren, da sich nun die ganze arabische Welt gezwungen sieht, sich mit dem Präsidenten zu solidarisieren und gegen die „zionistischen Aggressoren“ ins Feld zu ziehen.