Brisant ist der Fall des vierjährigen Palästinensers Mahmud Sadallah. Auf einem Foto hält der Premier der Hamas im Gazastreifen, Ismail Hanije, die Leiche des Kindes auf dem Arm. An seiner Seite befindet sich der ägyptische Premierminister Hischam Kandil, der den toten Jungen küsst. „Das Kind, das heilige, sein Blut fließt noch auf meinen Händen und auf meinen Kleidern. So etwas dürfen wir nicht schweigend hinnehmen“, ruft der Ägypter unter Tränen. Diese Szene beschreibt die israelische Tageszeitung „Ma‘ariv“ in einem Artikel über die Kriegspropaganda der Hamas.
„Mahmud wurde durch israelisches Bombardement getötet“, beteuerten nach dem Vorfall der Vater des Jungen und sein Bruder vor Journalisten. Daraufhin schrieben die Nachrichtenagenturen Reuters, AP und AFP, Mahmud und sein 20-jähriger Nachbar Iman Abu Warda seien bei einem israelischen Angriff umgekommen. Auch der US-Nachrichtensender CNN berichtete von einem weiteren Opfer eines israelischen Luftangriffes.
Der Armeesprecher hingegen dementierte in diesem Fall die Nachricht. Die Luftwaffe habe gerade keine Ziele in der Gegend angegriffen, um den ägyptischen Regierungschef nicht zu treffen. Die „New York Times“ veröffentlichte wenige Stunden nach der Entstehung des Bildes in ihrer Online-Ausgabe eine Beschreibung der Ruhe in dem Viertel in Gaza nach zwei Tagen voller Angriffe. Demnach sei Abu Warda ausgegangen, um Haushaltsgas zu kaufen. Mahmud habe gegen den Rat seines Cousins draußen gespielt.
Doch plötzlich wurde die Ruhe gestört, vermerkte die amerikanische Zeitung. Eine laute Explosion sei in dem Viertel zu hören gewesen. Abu Warda, der mit einem Gasbehälter zurückgekehrt war, und der kleine Junge kamen ums Leben. Die „New York Times“ wies darauf hin, dass die Beschädigungen nicht auf eine von einem israelischen F-16-Flugzeug abgefeuerte Bombe hindeuteten. Dies lasse die Möglichkeit aufkommen, „dass eine Rakete, die durch Palästinenser abgefeuert wurde, für die Todesfälle verantwortlich ist“.
Palästinenser bestätigen israelische Version
Einen Tag später zitierte die britische Zeitung „The Telegraph“ Experten des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte (PCHR). Diese hätten festgestellt, dass offenbar eine fehlgegangene palästinensische Rakete in dem Viertel eingeschlagen war. Der stellvertretende Leiter des Zentrums, Hamdischa Kura, sagte, es sei nicht das erste Mal gewesen. Angehörige des Jungen stützten nun Israels Version. Sie hatten nach eigenen Angaben keine Flugzeuge gehört. Für einen Beschuss durch die Marine wiederum ist der Ort zu weit vom Meer entfernt. Der Krater ließ ebenfalls auf eine kleinere Rakete schließen.
Das Komitee für Genauigkeit in der Nahostberichterstattung in Amerika (CAMERA) schickte eine Beschwerde an die amerikanischen Medien, die von einem israelischen Angriff sprachen. Die Organisation teilte mit, dass daraufhin Reuters eine weitere Meldung publiziert habe: Das PCHR hatte Mahmuds Namen nicht in die Liste der Opfer des israelischen Beschusses aufgenommen.
Der Arzt Nachum Schachaf fühlte sich angesichts des Vorfalles an den zwölfjährigen Palästinenser Mohammed al-Dura erinnert: „Ich war sicher, dass die Palästinenser versuchen würden, etwas ähnliches zu machen wie im Fall Mohammed al-Dura“, sagte er gegenüber „Ma‘ariv“. Er war zu dem Schluss gekommen, dass Mohammed im Jahr 2000 nicht durch eine israelische Kugel getötet wurde, wie die Palästinenser es behaupteten.
„Siegesmeldungen“ auf Facebook
Während der achttägigen israelischen „Operation Wolkensäule“ teilte der bewaffnete Arm der Hamas über Facebook mit, die Gruppe habe ein F-16-Flugzeug abgeschossen. In einem weiteren Eintrag hieß es, erstmals sei es gelungen, eine Rakete zur Knesset in Jerusalem zu feuern. „Wir haben geschworen, den Zionisten das Leben zur Hölle zu machen, so dass sie den Augenblick bedauern, in dem sie Dscha‘abari ermordet haben“, erläuterte die palästinensische Organisation den angeblichen Beschuss des israelischen Parlamentes – und nahm dabei Bezug auf den Hamas-Führer Achmed al-Dscha‘abari. Mit dem gezielten Angriff auf ihn hatte die Operation am 14. November begonnen.
Der militärische Hamas-Flügel behauptete ferner, fünf Raketen hätten vor der Küste des Gazastreifens israelische Raketenschiffe getroffen. Überdies hätten die Palästinenser eine Drohne östlich des Flüchtlingslagers Dschabalija abgeschossen.
Der Experte für den Nahen Osten und die islamische Welt an der Akademische Hochschule Netanja, Tal Pavel, entdeckte in einem palästinensischen Forum ein Bild, das offenbar bedrohlich wirken sollte. Darauf waren Hamas-Anhänger zu sehen, die ein Foto von einem israelischen Soldatenausweis hochhalten. „Einzelheiten folgen später“, hieß es dort. Der Politiker Jehuda David hielt fest: „Sie wollten das Gefühl vermitteln, dass sie unlängst einen Soldaten entführt hätten. Das Bild ist echt, wurde aber im Jahr 2006 aufgenommen.“
Ja‘akov Cohen vom „Middle East Media Research Institute“ (MEMRI), das arabische Medien beobachtet, sagte: „Sie haben immer einen psychologischen Kampf geführt. In der Vergangenheit sagten sie, dass sie mit den Köpfen der israelischen Soldaten Fußball spielen würden. Aber nie zuvor haben wir von Prahlerei mit Einschlägen in Flugzeuge und in Raketenschiffe gehört. Normalerweise haben sie sich bemüht, eine gewisse Glaubwürdigkeit zu wahren, aber diesmal sind sie eine Stufe höher gestiegen. Möglicherweise rührt das aus einer Notlage her. Wenn sie kein Siegesbild haben, verbreiten sie Lügen.“
Der Fachmann für psychologische Kriegsführung an der Universität Haifa, Janiv Leviathan, merkte an, dass die Palästinenser der Hamas Glauben schenkten. Trotz der übertrieben wirkenden Lügen hörten sie nicht die israelischen Sender. „In der Geschichte der psychologischen Kriegsführung ist die stärkste Waffe die Wahrheit. Im Zweiten Weltkrieg hörten Bewohner in den Ländern, die von den Deutschen besetzt waren, die BBC, weil sie dort die Wahrheit bekamen.“
BBC und „Yahoo“ in der Kritik
„Ma‘ariv“ weist in dem Zusammenhang darauf hin, dass die BBC mittlerweile selbst nicht immer wahrhaftig sei. So habe der Reporter Jon Donnison über Twitter das Bild eines Kindes verbreitet, das bei den Auseinandersetzungen in Syrien verletzt worden war. Dazu schrieb er allerdings: „Herzzerreißend, der Schmerz in Gaza“. Später entschuldigte er sich mit den Worten, er habe das Bild vom Account eines anderen Journalisten übernommen.
„BBC Watch“ warf Donnison vor, die angebliche Nachricht ohne Überprüfung der Faktenlage veröffentlicht zu haben. Dies zeige, dass er nicht unschuldig sei. Außerdem kam die Organisation zu dem Schluss, dass das Foto von dem palästinensischen „Journalisten und sozialen Aktivisten“ Hasem Baluscha stammte. In mehreren Fällen hatte die Hamas selbst syrische Kriegsopfer als Palästinenser ausgegeben.
Kritik an den Yahoo-Nachrichten übte CAMERA. Dort waren unter der Schlagzeile „Die Kinder von Gaza im Kreuzfeuer gefangen“ zwei israelische Kinder zu sehen, die in Nitzan zu einem Schutzraum eilen. Die amerikanische Organisation wandte sich an Yahoo mit der Bitte, den Fehler zu berichtigen. Den Fall kommentierte sie mit den Worten: „Vielleicht ist es zuviel verlangt, wenn man ‚Yahoo News‘ auffordert, zu begreifen, dass, anders als die Kinder, die in Gaza leiden, israelische Kinder nicht im Kreuzfeuer gefangen sind, sondern dass die Raketen von Hamas und Islamischem Dschihad mit Absicht auf sie gerichtet werden.“
Der Wissenschaftler Menachem Klein von der Universität Bar-Ilan kommt zu dem Schluss: „Letztlich macht sich diese Propaganda über den IQ der Palästinenser lustig.“ Er sehe in den Falschmeldungen der Hamas weder Weisheit noch eine geordnete Gedankenlinie oder eine professionelle PR-Arbeit. „Vielleicht glauben einige Menschen in Gaza diese Berichte, aber ich tue mich schwer zu glauben, dass die palästinensische Gesellschaft das akzeptiert. Sie gehen als Lügner und nicht als Sieger hervor.“