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Vorgezogene Neuwahlen in Israel?

JERUSALEM (inn) – In Israels Regierungskoalition kriselt es. Die nächsten Neuwahlen sind nach voller vierjähriger Kadenz von Premierminister Benjamin Netanjahu erst in einem Jahr, im Oktober 2013, vorgesehen. Aber schon jetzt sprechen die Politiker, als stünden sie mitten im Wahlkampf und reden vorgezogene Neuwahlen herbei.
Israelische Politiker denken über vorgezogene Neuwahlen nach. Im Bild: Premierminister Netanjahu

Premierminister Netanjahu steht unter Zeitdruck. Bis Jahresende muss er einen neuen Staatshaushalt vorlegen. Gelingt ihm das nicht, sieht das Gesetz automatisch das Ende seiner Regierung und Neuwahlen vor. Jeder weiß, dass drastische Kürzungen bevorstehen. Die Weltwirtschaftskrise trifft Israels Exporte in die EU und reduziert die Staatseinnahmen. Ein großes Schuldenloch muss gestopft werden. Soziale Verpflichtungen müssen genauso finanziert werden wie erhöhte Ausgaben für die Sicherheit, verursacht durch den Bau eines Sicherheitszauns entlang der Grenze zur Sinaihalbinsel und den Kauf neuer „Stahlkappen“ zur Abwehr von Kurzstreckenraketen aus dem Gazastreifen auf israelische Städte im Süden des Landes.
Budgetstreichungen sind bekanntlich nirgendwo populär. So könnte Netanjahu beschließen, keinen Haushalt vorzulegen und es auf Neuwahlen ankommen zu lassen. Die Schuld dafür könnte er seinen Koalitionspartnern und sogar der Opposition zuschieben wegen unverantwortlicher finanzieller Forderungen. Den nächsten Haushalt müsste dann die nächste Regierung ausarbeiten.
Netanjahu hätte auch noch weitere gute Gründe, nicht bis Oktober zu warten. Israels innenpolitische Landschaft hat sich seit den Wahlen vor drei Jahren grundlegend gewandelt. Netanjahus gefährlichste Konkurrenz war damals die Kadima-Partei unter der Führung von Zippi Livni. Die hatte sogar mehr Stimmen erhalten als Netanjahus Likud-Partei. Aber Livni scheiterte mit dem Aufbau einer Koalition und musste das Mandat an Netanjahu abgeben. Wegen Führungsschwächen Livnis folgte Ex-General Schaul Mofas in der Parteispitze. Doch Mofas stürzte Kadima weiter in den Abgrund, als er im Mai eine 70 Tage andauernde „Große Koalition“ mit Netanjahu einging. Der Regierungschef trickste den politisch naiven Mofas souverän aus und jagte die bis dahin größte Oppositionspartei ganz schnell wieder in die Wüste. Das Überleben der von Ariel Scharon gegründeten Kadima-Partei steht in Umfragen auf der Kippe.
Kommt Olmert zurück?
Das kann sich jetzt freilich ändern, nachdem der frühere Parteichef Ehud Olmert seine Korruptionsprozesse glimpflich überstanden hat. Olmert gilt in Israel als die einzige Führungsfigur mit dem Format, Netanjahu bei Wahlen ernsthaft herauszufordern. Doch Olmert bräuchte Zeit, um sich wieder zu positionieren. Auch das wäre für Netanjahu ein Grund, alternativlos als einziger denkbarer Kandidat für den Regierungschef dazustehen und nicht bis Oktober auf Olmert zu warten.
Barak kein Konkurrent
Verteidigungsminister Ehud Barak, wie Netanjahu und Olmert ebenfalls Politiker mit Erfahrung als Premierminister, stellt für Netanjahu keine echte Konkurrenz dar. Barak hat seinen Posten als Parteichef der sozialistischen Arbeitspartei aufgegeben und eine eigene Partei gegründet. Voraussichtlich schafft sie bei Wahlen nicht einmal die Sperrklausel von zwei Prozent. Doch Barak verwaltet noch die „Heilige Kuh“, das Verteidigungsministerium. Ihm wird vorgeworfen, sich mit Rückzugsplänen aus dem Westjordanland und nicht-abgesprochenen Konzessionen an die Palästinenser bei den Amerikanern eingeschmeichelt zu haben. Für Netanjahu wäre auch das ein Grund, durch vorgezogene Neuwahlen seinen Verteidigungsminister auszuschalten.
Die oppositionäre Arbeitspartei hat unter der neuen Führung der Journalistin Schelly Jachimowitch zwar an Popularität dazugewonnen. Doch die junge Parteichefin gilt bei Außen- und Sicherheitspolitik als zu unerfahren, um das Amt des künftigen Regierungschefs zu füllen. Auch der neue Stern am politischen Himmel Israels, TV-Star Jair Lapid, benötigt wohl noch Zeit, um sich dem Wähler vorzustellen.
Die orthodoxen Parteien spielen bei diesen Gedanken keine Rolle, da sie bei stabiler Wählerschaft und mit politischer Flexibilität an jeder Koalition teilnehmen könnten, gleichgültig ob links oder rechts.
Atomstreit Argument für Neuwahlen?
Ein letztes und vielleicht schlagendes Argument für vorgezogene Neuwahlen lieferte Netanjahu in seiner denkwürdigen Rede in der UNO. Dort hatte er mit einer Bomben-Karikatur die Fortschritte des iranischen Atomprogramms dargestellt. Indem er behauptete, dass der Iran erst im Frühjahr und spätestens im Sommer den kritischen Punkt, nämlich 70 Prozent des Weges bis zum Bau einer Atombombe erreicht, hat er bis dahin auch einen israelischen Angriff ausgeschlossen. Sollte Netanjahu tatsächlich eine Attacke auf die iranischen Atomanlagen planen, obgleich er das bisher nicht angekündigt hat, würde auch das in sein innenpolitisches Konzept perfekt passen.
Netanjahu würde aus Neuwahlen im Frühjahr voraussichtlich gestärkt hervorgehen und hätte dann ein frisches Mandat, nicht nur notwendige Kürzungen im Staatshaushalt durchzusetzen. Er könnte dann mit dem neuen US-Präsidenten die Gefahr einer iranischen Atombombe mit frischem Mandat meistern, ohne Rücksichten auf einen Wahlkampf in den USA oder in Israel.

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