Suche
Close this search box.

Mohammed Mursi – Der Weg zur Macht

Als Dr. Mohammed Mursi am 30. Juni 2012 sein Amt als fünfter Präsident der Arabischen Republik Ägypten antrat, hielten viele den Ingenieur und Dozenten, der unter anderem in den USA studiert hat, noch für uncharismatisch, ja einfältig, jedenfalls aber für schwach – vor allem im Blick auf das traditionell allmächtige Militär.
Mohammed Mursi hat nach eineinhalb Monaten im Amt die ägyptische Militärführung entlassen.

Eigentlich hätte Mursi nur Chairat a-Schater, den charismatischen Führer der Muslimbruderschaft, vertreten sollen, weil der nicht zur Präsidentschaftskandidatur zugelassen worden war. Doch dann erwies sich der Mann, der am 25. August 1951 als Mohammed Mursi Issa al-Ajjat in einfachsten Verhältnissen im Nildelta geboren worden war und sich noch daran erinnern kann, wie er auf dem Esel zur Schule ritt, als gewiefter Realpolitiker.
Jahrzehntelang war die Muslimbruderschaft, in der Mursi als Hardliner und Ideologe galt, unter Hosni Mubarak verboten gewesen, wurde gegängelt und brutal verfolgt. Nach einer Revolte, die 850 Ägypter mit ihrem Leben bezahlten, dem Sturz des langjährigen Diktators und dem Wahlsieg der Islamisten, verkündete die Armeeführung den militärischen Notstand. Die Generäle der alten Garde hatten sich die Kontrolle über Gesetzgebung und Finanzen verschafft. Sie glaubten, die Zügel fest in der Hand zu haben, um die Verfassung und damit die Zukunft ihres Landes festschreiben zu können.
Doch dann entließ der streng gläubige Universitätslehrer, kaum eineinhalb Monate im Amt, die gesamte Militärführung und annullierte die von ihr erlassenen Machteinschränkungen des Präsidenten. Vier Tage später folgten am 16. August der Chef des Geheimdienstes und der Kommandeur der Präsidentengarde in den Zwangsruhestand. In der ersten Septemberwoche schickte Mursi noch einmal 70 Generäle nach Hause und wechselte den Obersten Militärrat aus. Einige Tage zuvor hatte die Verfassungsversammlung entschieden, der Präsident habe künftig die Macht, mit Rückendeckung der Volksversammlung Kriege zu erklären. Beobachter vermuten, dass die Obama-Administration bei der unblutigen Machtübergabe der säkularen Militärs an den Muslimbruder die Finger im Spiel hatte.
Gleichzeitig setzte Mursi zehn von insgesamt 27 Gouverneuren seines Landes neu ein. Während unter seinem Vorgänger, dem Kriegshelden und Luftwaffengeneral Hosni Mubarak, eine militärische oder geheimdienstliche Laufbahn Voraussetzung für die Ernennung zum Gouverneur gewesen war, ist es jetzt Rechtgläubigkeit. Der Schura-Rat ernannte einen neuen Nationalen Rat für Menschenrechte, dessen Mitglieder mehrheitlich streng islamischen Hintergrund haben. Mursi besetzte den obersten Presserat und die Chefsessel der Regierungszeitungen neu, während das Komitee zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung grünes Licht für einen Paragrafen gab, der „die Lästerung Allahs, des Propheten Mohammeds oder seiner Gefährten“ unter Strafe stellt.
Die Muslimbruderschaft nutzt in ihrem Heimatland Ägypten modernste Medien, um ihren Stand in der öffentlichen Meinung zu zementieren. Anfang September erschien Fatma Nabil als erste Nachrichtensprecherin verschleiert im ägyptischen Fernsehen. Jahrelang habe sie „bittere Ungerechtigkeit“ erduldet und sei jetzt glücklich, die Nachrichten lesen zu dürfen. Immerhin sollte in diesem Beruf die Qualifikation zählen und nicht die äußerliche Erscheinung.
Säkulare Medien unter Druck
Arabische Webseiten berichten derweil, die Muslimbrüder setzten säkulare Medien massiv unter Druck. Mitte August machten Berichte die Runde, Gegner der Islamisten würden misshandelt, gefoltert und „nackt an Bäume vor dem Präsidentenpalast gekreuzigt“. Der britische Fernsehsender Sky News veröffentlichte einen Bericht über die Kreuzigungen, nahm ihn dann aber schnell wieder von seiner Webseite – vermutlich aus Sorge um seinen Ägyptenkorrespondenten. Ein Dementi, etwa wegen schlampiger Recherchen, hat es jedenfalls nie gegeben.
Doch derartige Gerüchte bewegen den Durchschnittsägypter kaum. Mursi hält seine Versprechen. Die Armee ist aus der Politik verdrängt. Er weiß, das Herz seines Volkes zu gewinnen, indem er für öffentliche Ordnung sorgt. Ganz Ägypten konnte in Radio und Fernsehen mit verfolgen, wie der berüchtigte Mafiaboss und brutale Handlanger des alten Regimes, Sabri Nachnuch, in Handschellen abgeführt wurde. Jeder weiß: Der neue Präsident fürchtet nur Allah allein. Dreiviertel aller Ägypter, so eine jüngste Umfrage, sind mit ihrem neuen Präsidenten nach 60 Tagen im Amt zufrieden.
Mohammed Mursi übt seine Autorität weit schneller und entschiedener aus, als viele erwartet hätten. Er selbst soll einen verfassungsrechtlich festgeschriebenen Schutz der Zivilrechte, allerdings eingebettet in islamisches Recht, befürworten. Sein neues Ägypten soll ein ziviler – im Gegensatz zum bislang „militärischen“ – Staat sein. Mursi will einem nationalen, demokratischen, konstitutionellen und modernen Staat vorstehen, der ausdrücklich kein „religiöser“ sein soll. „Wir sind gegen niemanden“, betont der erste wirklich frei gewählte Präsident des bevölkerungsreichsten arabischen Landes, „sondern dafür, unsere Interessen durchzusetzen“.
Islamische Übermacht in der Führungsriege
Als er am 27. August sein neues präsidiales Führungsteam vorstellte, fand sich darin kein einziger Vertreter der Opposition oder gar ein Liberaler. Zwei Drittel der Mitglieder stammen aus der Muslimbruderschaft und von den Salafiten. Daneben gibt es einige Technokraten. Wie versprochen gehören ein Kopte – der Autor und Aktivist Rafik Habib, Mitglied in der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei der Muslimbruderschaft – und eine Frau – Omaima Kamel, die Frauenbeauftragte der Partei – dem Präsidententeam an. Das Wahlversprechen, einen Christen und eine Frau zu Vizepräsidenten zu machen, hielt er allerdings nicht. Kritiker bemängeln nicht nur die islamistische Übermacht in der Führungsriege, sondern auch die große Anzahl der Berater und die fehlende Klarheit im Blick auf ihre Machtbefugnisse. Fraglich bleibt, wie ernsthaft Mursi tatsächlich auf Stimmen außerhalb der Muslimbruderschaft hören wird.
So profilierte sich Mohammed Mursi in weniger als zwei Monaten als der neue starke Mann am Nil. Nach Entmachtung der Armee genießt er ohne Parlament oder Verfassung präzedenzlose Freiheiten und ist praktisch uneingeschränkter Herrscher in Ägypten. Lediglich die Rechtsprechung, die sich historisch immer wieder als unabhängig erwiesen hat, ist noch nicht völlig in seiner Hand.

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen