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„Ein Gruß vom Kurdi“

Mit Bravour hat Joachim Gauck seinen ersten Staatsbesuch in Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten hinter sich gebracht. Darüber scheint man sich einig in der Delegation des Bundespräsidenten, die ihn Ende Mai auf einer Reise nach Israel und ins Westjordanland begleitete. Demütig, gewinnend, immer wieder emotional bewegt, ja, zu Tränen gerührt - so sei das neu gewählte deutsche Staatsoberhaupt aufgetreten.

Man ist begeistert von der Persönlichkeit des neuen Bundespräsidenten, hofft, dass noch ein bisschen Gauck bleibt, wenn der Neue als oberster Deutscher eingeschliffen ist. Ohne vorgefertigte Meinungen habe er um Antworten gerungen, mit führenden Politikern freundschaftliche Verbindungen geknüpft.

Auf beiden Seiten führte Bundespräsident Gauck intensiv Gespräche mit maßgeblichen Entscheidungsträgern. Dabei fand er noch Zeit für kurze Begegnungen mit dem "kleinen Mann" – im Weizman-Institut mit jungen Wissenschaftlern, bei einer Schuleinweihung unweit von Nablus, mit deutschen Volontären und sozial Engagierten. "Sie alle bilden so etwas wie einen Schmuck dieser Stadt", meinte Gauck vor Vertretern kirchlicher und zivilgesellschaftlicher Einrichtungen kurz vor seinem Abflug. "Die Begegnungen mit vielen engagierten Menschen hier in der Region sind es, die mir am Ende dieser Reise in einer äußerst schwierigen politischen Situation doch ein gewisses Maß von Hoffnung gestatten."

Diskutiert wurde, warum der Bundespräsident die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Sicherheit Israels sei Teil deutscher Staatsräson, zu korrigieren müssen meinte. Ausdrücklich gelobt wurden Gaucks kritische Äußerungen zur israelischen Siedlungspolitik – oder besser gesagt, seine "Anmerkungen", die als "Ausdruck einer stabilen Freundschaft" zu verstehen seien. Bei alledem betonte Gauck unermüdlich, wie schon unzählige bundesdeutsche Politiker vor ihm, die historisch begründete Verantwortung Deutschlands für den jüdischen Staat. Der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem versprach er in Gedichtform ins Gästebuch geschrieben – wohl als "Gegengedicht zum Israelgedicht von Günter Grass", wie ein deutscher Besucher beobachten wollte – "wiederzukommen" und mahnte: "Vergiss nicht! Niemals."

Doch, was denken Israelis über den (laut Deutscher Presse-Agentur) so "stark beachteten Israel-Besuch" des deutschen Staatsoberhaupts? Wie ist Gaucks Staatsbesuch in Israel aufgenommen worden?

Israelis nehmen Besuch kaum wahr

Zeitgleich mit dem Start des Präsidentenjets vom Ben-Gurion-Flughafen in Richtung Berlin schraubt Rabbi Akiva vor einer roten Ampel im Feierabendverkehr von Jerusalem das Fenster seines uralten Kombi herunter. Zu Beginn einer dieser typischen israelischen Unterhaltungen, die meist dadurch enden, dass die weiter hinten stehenden Autofahrer die Weiterfahrt beim Grünwerden der Ampel durch ein vielstimmiges Hupkonzert erzwingen, meint er: "Du musst den Leuten erklären, warum ein Israeli die Schachweltmeisterschaft an einen Inder verloren hat!" Auf die Frage, was er zum Gauck-Besuch denke, zuckt er die Schulter: "Wer ist das?"

Schaul, Chef einer Autowerkstatt, der seit vielen Jahren Tag für Tag Autos einer bekannten deutschen Automarke wartet und repariert, antwortet mit derselben Gegenfrage. Und David, gemeinhin "Dodi" genannt, ein Reifenhändler, der stolz Urkunden von den in Deutschland erfolgreich absolvierten Fortbildungsseminaren präsentiert, meint nach einer ausführlichen Erklärung über die Bedeutung des hohen Besuchs lapidar: "Grüß ihn vom Kurdi, wenn Du ihn siehst." – Mit "Kurdi" wird in Israel nicht nur ein Einwanderer aus dem türkischen, syrischen, irakischen oder persischen Kurdistan bezeichnet, sondern gleichzeitig auch ein leicht dickköpfiger, mit weniger als durchschnittlicher Intelligenz ausgezeichneter, dafür aber einem umso größeren Mundwerk begabter Zeitgenosse.

Es erweist sich als schwierig, dieser Tage einen Israeli zu finden, der den Besuch von Bundespräsident Gauck überhaupt wahrgenommen hat. In Radio und Fernsehen wird (fast) gar nicht darüber berichtet. Am letzten Tag des Israelbesuchs druckt das Massenblatt "Yediot Aharonot" auf Seite 14 (!) ein Bild der beiden Präsidenten aus Yad Vashem, die auflagenstärkste, weil kostenlose Verteilzeitung "Israel Hajom" auf Seite 5 eine kurze Erwähnung, laut Gauck sei der Iran eine Bedrohung des ganzen Westens, und die Tageszeitung Ma´ariv überhaupt nichts über den "viel beachteten Besuch".

Doch vielleicht sind "Kurdi" und Boulevardpresse der falsche Ort, um etwas über die Bedeutung des Besuchs von Bundespräsident Gauck für Israel zu erkundigen. Eine israelische Abiturientin nimmt den ihr erteilten Auftrag sehr ernst und befragt 30 Lehrer und 50 Schüler an einer der Eliteschulen der israelischen Hauptstadt: Drei Lehrer und drei Schüler haben von dem Besuch gehört. Kein einziger weiß, wie der höchste Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland heißt.

Tatsächlich sind die Schachweltmeisterschaft in Moskau, die Überführung von Terroristenleichen an die Palästinensische Autonomiebehörde, Irans Drohung, Israel anzugreifen, sollte der Westen in Syrien eingreifen, das Diktat der Ultraorthodoxen, der neue Computervirus "Flame", ein möglicher Boykott israelischer Waren beim Schweizer Konzern Migros und die Frage, wie "pornografisch" Nachrichten über Verbrechen berichten dürfen, aus israelischer Sicht so wichtig, dass für eine Berichterstattung über den Besuch des deutschen Bundespräsidenten kein Raum mehr bleibt.

Der Grund für das israelische Desinteresse an den Befindlichkeiten eines deutschen Präsidenten auf Israelbesuch kann daran liegen, dass man sich in Israel darüber im Klaren ist, dass die deutschen Ansichten weder etwas an der Einstellung der Palästinenser gegenüber Israel noch am Wachstum israelischer Siedlungen ändern. Auch wird die Bundesrepublik Deutschland niemals an der Seite Israels in einen Krieg zur Sicherung des Existenzrechts eines jüdischen Staates ziehen. Staatsräson hin oder her, letztentscheidend ist der Wille des deutschen Elektorats – und der ist mit sechs U-Booten wohl schon überstrapaziert.

Vielleicht ist durchschnittlichen Israelis und den sie repräsentierenden Journalisten der Gauck-Besuch auch deshalb so egal, weil die israelisch-deutschen Beziehungen (im Gegensatz zu den deutsch-israelischen Beziehungen!) mittlerweile so selbstverständlich sind, dass der junge Durchschnittsisraeli weder Emotionen noch besondere Verpflichtungen erwartet, sondern schlicht Fairness. Sie erwarten weder tränenreiche Emotionen noch wortreiche Solidaritätserklärungen, sondern schlicht und einfach so behandelt zu werden, wie alle anderen Völker auch.

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